Neues Asylrecht in der Warteschleife
30. November 2015Wer den Streit um das sogenannte Asylpaket II besser verstehen will, dem könnte ein Blick auf die erst Mitte Oktober beschlossenen Verschärfungen helfen:
- Beschleunigte Asylverfahren
- Schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber
- Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer; als solche gelten nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro
- Mehr Sach- und weniger Geldleistungen für Asylbewerber
- Keine Sozialleistungen für ausreiseunwillige abgelehnte Asylbewerber
Auf diese Kernpunkte verständigten sich Konservative und Sozialdemokraten, aber auch das vom Grünen Winfried Kretschmann regierte Baden-Württemberg stimmte zu. Denn das erste Asylpaket beinhaltet auch Verbesserungen für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive, insbesondere einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt. Außerdem verdoppelte der Bund seine Unterstützung für Länder und Kommunen auf zwei Milliarden Euro in diesem Jahr, 2016 wird der Zuschuss sogar über vier Milliarden liegen. Pro Flüchtling soll dann eine Pauschale von 670 Euro fließen, außerdem sind finanzielle Hilfen für den Wohnungsbau und die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger vorgesehen.
Beim Familiennachzug bestand schon Einigkeit
Der Kompromiss sorgte allerdings nur kurze Zeit für Ruhe, weil die Zahl der Flüchtlinge trotz aller Restriktionen weiter ansteigt. Das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes soll erklärtermaßen unangetastet bleiben. Also hat jeder Schutzsuchende einen gesetzlichen Anspruch auf Einzelfallprüfung. Angesichts von einer Million Flüchtlinge allein in diesem Jahr wird sich der Bearbeitungsstau trotz beschleunigter Verfahren nur langsam auflösen lassen. Vor diesem Hintergrund muss man den Streit um ein zweites Asylpaket sehen. Hinzu kommt ein fehlendes europäisches Konzept.
Warum sich CDU/CSU und SPD noch nicht auf weitere Maßnahmen verständigen konnten, ist im Moment schwer zu beurteilen. Noch Anfang November sah es nach einer schnellen Einigung aus. Die Koalitionäre waren sich sogar bei einem besonders sensiblen Thema scheinbar einig: der Einschränkung des Familiennachzugs. Bei Flüchtlingen ohne endgültiges Bleiberecht sollte diese Möglichkeit zwei Jahre lang ausgesetzt werden. Damit, lautete die Begründung, sollten falsche Fluchtanreize vermieden werden. Als Indiz verwiesen die Befürworter einer Begrenzung auf zigtausende minderjährige Flüchtlinge. Die würden vorgeschickt, um ihre Eltern und andere enge Angehörige schnellstmöglich nachholen zu können.
Die neuen Streitpunkte wirken eher kleinkariert
Offener Dissens besteht im Regierungslager bei einem anderen, auf den ersten Blick weniger brisanten Detail: der medizinischen Hilfe. Die SPD pocht auf eine bessere Versorgung schwangerer, minderjähriger und behinderter Asylbewerber. Die Union ist dagegen, weil auch höhere medizinische Standards ein Fehlanreiz sein könnten. Gestritten wird außerdem über den Kostenanteil, den Flüchtlinge für Deutschkurse zahlen sollen. Während die SPD zehn Euro monatlich für alle Asylbewerber will, verlangt die Union 36 Euro - allerdings nur für diejenigen, die an den Kursen teilnehmen. Schwer vorstellbar, dass der Kompromiss für ein zweites Asylpaket daran scheitern sollte. Dann schon eher an angeblichen Forderungen aus dem Unionslager, Flüchtlinge sollten sich schriftlich zu Grundwerten wie der Gleichberechtigung von Mann und Frau bekennen.
Ursprünglich wollte die Koalition noch in diesem Jahr weitere Asylrechtsregelungen beschließen. Daraus wird durch den zuweilen kleinkariert anmutenden Streit nichts mehr. Es gebe noch Beratungsbedarf, sagte eine Regierungssprecherin am Montag in Berlin. Die Gespräche würden "ein paar Tage länger" dauern. Über "irgendwelche Termine" wolle sie nicht spekulieren. Das tut um so mehr die Öffentlichkeit, der die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vor knapp einem Monat nach einem Treffen im Kanzleramt einen Kompromiss verkündet hatten. Den kann es nun frühestens 2016 geben. Damit gerät das zweite Asylpaket endgültig in den Wahlkampf. Im März geht es um die künftige Zusammensetzung der Parlamente in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Drei Länder, in denen drei verschiedene Parteien Regierungschefs stellen: CDU, SPD - und Grüne.