Obama geht, Europa bangt
15. November 2016Es begann im Sommer 2008 als ein großes Fest der Liebe an der Berliner Siegessäule. Deutsche und Europäer jubelten dem Mann zu, der mit seinem Slogan "Yes we can" die Herzen eroberte. Man wusste nicht so genau, was der Wahlkämpfer Barack Obama können könnte, aber er verbreitete Optimismus und stellte vor allem einen erfrischenden Gegensatz zum damaligen Amtsinhaber George W. Bush dar. Der hatte Europa mit seiner Interventionspolitik im Irak eher gespalten. Jetzt hoffte man auf einen, der vereinen konnte.
In Prag, im Frühjahr 2009, kurz nach seinem Amtsantritt, versprach Präsident Obama, sich für eine Welt ohne Atomwaffen zu engagieren. Die Europäer waren bis auf wenige Ausnahmen begeistert. In einer weiteren Rede in Kairo versprach er ein neues Verhältnis zur arabischen Welt aufbauen zu wollen. Im gleichen Jahr erhielt der Mann, der den Rückzug der USA aus Afghanistan und dem Irak vorantrieb, den Friedensnobelpreis. Bei einem der vielen Abschieds-Interviews scherzte Barack Obama kürzlich in einer Talkshow: "Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich den Preis bekommen habe." Es waren Vorschusslorbeeren, die sich in den Augen vieler Europäer dann doch als verfrüht erwiesen hatten.
Größte Leistung der "Trittbrettfahrer"
Europa erholte sich viel langsamer als die USA von der globalen Finanzkrise, die durch die Pleite einer US-Bank ausgelöst wurde. Die Euro- und Staatsschuldenkrise erschütterten die EU bis ins Mark, gefolgt von der Ukraine-Krise und der Flüchtlingskrise der vergangenen Jahre. Die EU wurde aus der Sicht Obamas zunehmend handlungsunfähiger und -unwilliger. In Interviews mit der Zeitschrift "The Atlantic" bezeichnete der Präsident im April 2016 die europäischen Verbündeten als Trittbrettfahrer, die amerikanische Leistungen und Führung in Anspruch nähmen, aber selbst nicht bereit seien, Solidarität zu liefern oder ihre Militärausgaben zu steigern. Im selben Monat beschwor Obama die Europäer aber auch auf der Hannover-Messe, ihren Mut nicht sinken zu lassen und gegen die eigenen Krisen anzukämpfen. "Europa ist eine der größten politischen Leistungen der Neuzeit", sagt er als einer, der von außen komme und die Europäer daran erinnern müsse, was sie bewahren sollten. Da war wieder der Obama von 2008 zu spüren, der gegen die "European Angst" sein beherztes "Yes we can" setzt.
Vorrang für Asien?
Zwischendurch allerdings hatten die Europäer auch ernste Zweifel, wie ernst es Barack Obama mit seiner Zusammenarbeit mit Europa meint. Er wollte Asien zum Angelpunkt seiner Außenpolitik machen. Das hat nur bedingt geklappt. Bei der Intervention in Libyen habe er sich zu sehr darauf verlassen, dass Frankreich und Großbritannien ihre Verantwortung schultern, gibt der scheidende Präsident heute zu. Von Verbündeten aus dem Nahen Osten, wie den Saudis, zeigte er sich ebenfalls enttäuscht. Elmar Brok, erfahrener Außenpolitiker im Europäischen Parlament, zog nach den ersten vier Jahren der zurückhaltenden Außenpolitik Obamas eine nüchterne Bilanz. "Auf der Arbeitsebene besteht ein gutes Verhältnis. Aber die EU und die USA haben bisher keine strategischen Akzente setzen können, die dazu führen, dass Europäer und Amerikaner in dieser sich wirtschafts- und machtpolitisch verändernden Welt enger zusammenarbeiten", sagte Brok 2012 der Deutschen Welle.
Tiefpunkt der Beziehungen war zumindest aus deutscher Sicht die Abhöraffäre rund um den US-Geheimdienst NSA. Nicht nur alle Europäer wurden flächendeckend bespitzelt, selbst vor dem privaten Handy von Angela Merkel machte die NSA nicht halt. Peinlich. Dabei schätzte Obama doch nur die Bundeskanzlerin als wirkliche europäische Führungspersönlichkeit ein, hieß es aus dem Weißen Haus.
Russland gemeinsam isolieren
Erst die Ukraine-Krise, provoziert von Russland, hat die transatlantische Gemeinschaft wieder stärker zusammengeschweißt. Obama und die EU agierten nicht immer synchron beim Vorgehen gegen Moskau, aber am Ende doch einigermaßen geschlossen. Aus seiner Frustration über die langen europäischen Entscheidungsprozesse und die oftmals zerstrittenen EU-Staaten hat Obama keinen großen Hehl gemacht. Diese Sicht gipfelte in dem Ausspruch der Staatssekretärin im Außenministerium, Victoria Nuland, auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise: "Fuck the EU". Vergiss die Europäer, die sich sowieso nie einig werden!
An seiner transatlantischen Bündnistreue ließ Obama trotzdem keine Zweifel erkennen. Auf mehreren NATO-Gipfeln versicherte er den östlichen Mitgliedsstaaten Unterstützung im Fall einer russischen Aggression. Ins Baltikum, nach Polen, Rumänien und Bulgarien werden neue, wenn auch kleine Verbände verlegt. Die USA erhöhten unter Obama ihre Verteidigungsausgaben für Europa. Schließlich brachten die USA und die EU nach zehn Jahren zäher Verhandlungen den Deal mit dem Iran zur Einstellung des Atomwaffenprogramms zustande. Gescheitert ist der Versuch, ein Freihandelsabkommen (TTIP) auszuhandeln. Die USA hätten sich einfach zu wenig bewegt, bemängelte der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, Bernd Lange, im DW-Interview. Aber auch mit Asien ist das Handelsabkommen TPP nicht unter Dach und Fach. Der amerikanische Senat hat es bis heute nicht ratifiziert.
"Die Ära ist vorbei"
Der Fraktionschef der Liberalen im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt, glaubt, dass die Europäer Obama noch schmerzlich vermissen werden. Mit der Wahl Donald Trumps würden sich die USA nur noch mit sich selbst beschäftigen und TTIP sei tot: "Wenn die Amerikaner international eingegriffen haben, wie im Irak, hat Europa mit moralischen Vorträgen über imperiale Überdehnung geantwortet. Wenn die Amerikaner nicht oder zu spät oder nicht ausreichend eingegriffen haben, wie in Libyen oder Syrien, haben die Europäer mehr Führung von den USA verlangt." Diese bequeme Dynamik der transatlantischen Beziehungen sei nun vorbei, glaubt Verhofstadt. Nicht nur die Ära Obama ist mit Trump vorüber. Europa müsse seine Probleme jetzt selber lösen und könne sich nicht mehr auf die USA verlassen.