Nigeria: Politischer Eklat überlagert Entscheidung über Ausnahmezustand
20. November 2014Eigentlich ist es für Aminu Tambuwal nie ein Problem, in das nigerianische Parlamentsgebäude zu gelangen. Schließlich ist er der Parlamentspräsident. Doch an diesem Donnerstagmorgen (20.11.2014) empfing ihn die Polizei vor dem Tor und wollte ihn nicht hineinlassen, selbst, als er sich auswies. Und so gelangen er und weitere Abgeordnete der Opposition schließlich durch einen Seiteneingang in das Parlament. Dann begann der Tumult: "Auf einmal waren Polizisten im Gebäude", berichtet der DW-Reporter Uwais Abubakar, der von der Parlamentssitzung berichten wollte. "Sie haben angefangen, Tränengas zu versprühen und es kam zu einem wilden Handgemenge. Sie haben die Abgeordneten aus dem Gebäude gedrängt."
Jerry Manwe, selbst Abgeordneter der Regierungspartei PDP, ist empört: "So etwas habe ich nicht erlebt, seit ich 1992 das erste Mal Abgeordneter wurde. So etwas darf auch nicht passieren. Man kann doch nicht in Ruhe arbeiten, wenn da plötzlich Gewehre auf dich zeigen und du mit Tränengas beschossen wirst!"
Parlamentspräsident Tambuwal, dem der Angriff wohl in erster Linie gegolten hat, gehört seit Oktober nicht mehr der Regierungspartei PDP an, sondern der oppositionellen APC. Auf seinen Posten als Parlamentspräsident hat das aber keinen Einfluss. Die Regierung will ihn offenbar aus dem Amt drängen. An diesem Donnerstag sollte das Parlament zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um auf Antrag von Präsident Goodluck Jonathan über die Verlängerung des Ausnahmezustands in den drei Bundestaaten Adamawa, Borno und Yobe im Nordosten Nigerias abzustimmen. Tambuwals Partei ist der Meinung, dass der erstmals im Mai 2013 verhängte Notstand nichts gebracht habe und deshalb nicht verlängert werden sollte.
18 Monate Ausnahmezustand haben nichts bewirkt - im Gegenteil
Der Ausnahmezustand gibt den Sicherheitskräften in der Region weitgehend freie Hand. Das öffentliche Leben schränkt er stark ein, ab 18 Uhr gilt eine Ausgangssperre, abendliche soziale Aktivitäten wie Kinobesuche oder Fußballspiele sind unmöglich geworden. Ziel der Maßnahmen soll es sein, Boko Haram militärisch zu besiegen. Doch dafür fehlt es den Streitkräften an ausreichend Waffen und Ausrüstung, die Moral der Soldaten ist schlecht. Vor Einsetzung des Ausnahmezustands bestand die Terrorgruppe aus einzelnen kleinen Zellen, inzwischen kontrolliert sie ganze Gebiete. Sie hat sich von einer Guerilla-Gruppe zu einer regelrechten Armee entwickelt, die sich mit schweren Waffen Gefechte mit den Sicherheitskräften liefert und immer neue Städte einnimmt. "Es ist klar, dass der Ausnahmezustand versagt hat", sagt der nigerianische Politikanalyst Emman Shehu. Er glaubt: "Mit dem Ausnahmezustand wurde nie ein bestimmter Plan verfolgt. Es ist eine rein politische Aktion, um die lokalen Politiker zu behindern, weil sie nicht der richtigen Partei angehören."
Tatsächlich kommen viele von Präsident Jonathans politischen Gegnern aus dem Norden. So auch Ahmed Lawan von der Oppositionspartei APC. Er repräsentiert den Bundesstaat Yobe im nigerianischen Senat. "Wir können die Probleme im Nordosten des Landes auch ohne den Ausnahmezustand lösen", so Lawan gegenüber der DW. "Aber dafür müssen wir die richtigen Prioritäten setzen und brauchen die richtigen Strategien und Taktiken." In anderen Bundesstaaten wie Kano oder Kaduna, in denen Boko Haram ebenfalls Anschläge verübt, gehen die Sicherheitskräfte auch ohne Ausnahme-Regelung gegen die Terrorgruppe vor.
Die Bewohner der betroffenen Bundesstaaten sprechen sich mehrheitlich gegen eine Verlängerung aus. "Wir haben die Nase voll von diesem Notstand! Unsere Wirtschaft geht den Bach runter wegen dieses Unsinns", schreibt Muhammad Aliyu aus dem Bundessstaat Adamawa auf der Facebook-Seite des Hausa-Programms der DW. Sein Kommentar ist einer von mehr als 1800, die User auf die Frage, was sie von einer möglichen Verlängerung halten, gepostet haben. Kaum ein Thema bewegt die Menschen im Norden mehr. "Wir werden dagegen protestieren, wir werden der Welt unseren Widerstand zeigen, sollte der Ausnahmezustand noch einmal verlängert werden", sagt Sale Bakoro, ein Jugendlicher aus dem Bundesstaat Yobe einem DW-Reporter.
Politische Grabenkämpfe überlagern die Frage nach dem Ausnahmezustand
Nach dem Tränengas-Einsatz im Parlament wurde die Abstimmung über den Notstand auf den 10. Dezember verschoben. Unklar ist, ob er bis dahin noch gilt - offiziell ist er nicht verlängert worden und damit abgelaufen. Präsident Goodluck Jonathan hat sich zu der Frage noch nicht geäußert, er ist auf Auslandsreise in Großbritannien. Für ihn stehen ohnehin die im Februar 2015 anstehenden Wahlen ganz oben auf der Agenda, nicht die Situation im Norden. Dass Parlamentspräsident Aminu Tambuwal von der Polizei am Betreten des Parlaments gehindert wurde, hat weniger mit der Frage des Ausnahmezustandes, als vielmehr mit dem Unwillen der Regierung, ihm den Posten des Parlamentspräsidenten zuzugestehen, zu tun - so interpretieren es viele. Die Aktion ist Teil des politischen Machtkampfes, der in der Hauptstadt Abuja entbrannt ist.
"Menschen werden getötet oder verhungern, die Unsicherheit ist groß - aber die Priorität liegt weiter auf den Wahlen", beklagt sich Mairo Mahmud, eine Frau aus dem Bundesstaat Adamawa, in dem seit 18 Monaten der Ausnahmezustand gilt und Boko Haram dennoch weiter auf dem Vormarsch ist. "Es ist klar, dass es den Politikern um Macht geht, nicht um die Menschen."