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Gesellschaft

Nigeria: Warten auf das Wunschkind

Katrin Gänsler
26. August 2019

Kinderlose Paare sind in Nigeria oft Kritik und Spott ausgesetzt. Ein Ausweg kann eine künstliche Befruchtung sein, die sich aber nur wenige Paare leisten können. Deshalb ist der Druck groß, eine zweite Frau zu heiraten.

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Der lange Weg zum Wunschkind in Nigeria
Babangida Ahmed und Zulayhatu Babangida haben 15 Jahre auf ein Baby gewartetBild: DW/Katrin Gänsler

Zulayhatu Babangida wiegt den zehn Monate alten Muhammadu Auwal hin und her. Der Kleine ist müde, immer wieder fallen ihm die Augen zu. Seine Mutter schaut ihn lächelnd an. Auch Vater Babangida Ahmed ist ganz vernarrt in das Kleinkind. "Wir sind schon seit 15 Jahren verheiratet", sagt Zulayhatu Babangida. "Ich habe jeden Tag gebetet, dass Gott mir eine Schwangerschaft bringt".

Sie spricht leise und schaut immer wieder zu Boden. In Afrikas einwohnerreichstem Staat Nigeria, wo mehr als 200 Millionen Menschen leben und statistisch gesehen jede Frau 4,8 Kinder auf die Welt bringt, ist Kinderlosigkeit ein Tabu-Thema. Deshalb erzählt die 31-Jährige nur wenig über die Jahre, in denen sie vergeblich auf ein Kind gehofft hat. Auch über die Hochzeit und den Druck, den Familie und Verwandte aufgebaut haben, redet sie kaum. "Auf Gebete hat auch meine Familie vertraut. Ich weiß aber nicht, was sie sonst über mich gesagt haben."

Kinderlose Frauen gelten als schlechte Menschen

Besonders Frauen, die keine Kinder haben, müssen sich mitunter allerlei Beschimpfungen anhören. "Sie gelten vielen als schlechte Menschen", sagt Hadiza El-Rufai aus Kaduna. In ihrem 2017 erschienen Roman "An Abundance of Scorpions" muss ihre Hauptfigurebenfalls viele Jahre auf Kinder warten und unternimmt zahlreiche Versuche, um endlich schwanger zu werden. Aktuell ist ihr Buch einer von drei Romanen aus Nigeria, die sich mit Kinderlosigkeit und Unfruchtbarkeit beschäftigen. Neben "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi" von Lola Shoneyin hat sich auch Ayobami Adebayo mit "Bleib bei mir" diesem Thema gewidmet. "Es geht nicht darum, dass der Verfasser eine Lösung anbietet", sagt Hadiza El-Rufai über die Kraft der Literatur. "Er muss vielmehr eine Diskussion anstoßen. Hoffentlich entstehen so positive Entwicklungen".

Der lange Weg zum Wunschkind in Nigeria
Kinderlose Frauen gelten oft als schlechte Menschen, kritisiert Hadiza El-RufaiBild: DW/Katrin Gänsler

Dass Unfruchtbarkeit ein bedeutendes Thema ist, fällt auch in den wohlhabenderen Vierteln der Hauptstadt Abuja auf. In den vergangenen Jahren sind mehrere Kliniken entstanden, die sich auf Fruchtbarkeitsbehandlungen spezialisiert haben. Die älteste ist das Nisa Hospital in Jabi, dessen Gründer Ibrahim Wada ist. 1998 kam hier das erste Reagenzglas-Baby – Hannatu – auf die Welt. Inzwischen bietet das Krankenhaus heute auch Fortbildungsmöglichkeiten für Ärzte aus Krankenhäusern an, erklärt der medizinische Leiter Monday Nenfa Solomon. Die Nachfrage sei groß. Wie viele Menschen tatsächlich vergeblich in Nigeria auf ein Kind warten, lässt sich jedoch kaum sagen. Schätzungen des amerikanischen Guttmacher Institute zufolge zeugen zwischen 25 und 31 Prozent aller Paare nach zwölf Monaten ungeschützten Geschlechtsverkehrs kein Kind.

Künstliche Befruchtung nur für Besserverdienende

In das Nisa Hospital kommen monatlich mehr als 150 Patienten. Nach einer Voruntersuchung wird entschieden, wie aufwändig die Behandlung ausfällt. Davon hängen auch die Kosten ab. "Eine konventionelle In-vitro-Fertilisation kostet, falls die eigenen Eizellen genutzt werden, zwischen 800.000 und einer Million Naira", sagt Monday Nenfa Solomon. Umgerechnet sind das knapp 2.500 Euro. Ähnliche Beträge geben auch andere Kliniken an. Erschwinglich ist das jedoch nur für Besserverdiener. Eine Putzfrau oder ein Fahrer erhalten in Abuja im Schnitt einen monatlichen Lohn von 40.000 bis 55.000 Naira.

Finanzielle Hilfe für künstliche Befruchtungen durch Krankenversicherungen gibt es nicht. "Wir bevorzugen Privatpatienten", erklärt Gynäkologe Solomon. Würden Krankenversicherungen – in Nigeria sind diese ohnehin eine Ausnahme – die Kosten prinzipiell übernehmen, könnte es zu Problemen kommen, falls die künstliche Befruchtung nicht klappt. In Einzelfällen würde die Klinik allerdings Hilfe anbieten können. 

Der lange Weg zum Wunschkind in Nigeria
Eine Behandlung kann mehr als eine Million Naira (rund 2.500 Euro) kosten, sagt Gynäkologe Monday Nenfa SolomonBild: DW/Katrin Gänsler

Eine Zweitfrau muss her

Kann sich ein Paar eine künstliche Befruchtung nicht leisten, müssen andere Lösungen  her. Eine Möglichkeit sind Adoptionen. Die Voraussetzungen dafür sind von Bundesstaat zu Bundesstaat jedoch sehr unterschiedlich. Zahlen zur Häufigkeit von Adoption gibt es nicht. In muslimisch geprägten Regionen entscheidet sich der Mann deshalb häufiger zu einer erneuten Heirat. "Polygamie ist weit verbreitet. Wenn eine Frau also keine Kinder bekommt, ist es gesellschaftlich akzeptiert, dass der Mann eine zweite Frau heiratet, die ihm Kinder gebärt", sagt Hadiza El-Rufai. Innerhalb der Familien bedeute das allerdings viel Stress und Konkurrenz für die Frauen.

In Chachi schüttelt Babangida Ahmed entschieden mit dem Kopf. In all den Jahren, in denen seine Frau Zulayhatu und er auf ein Kind gewartet haben, habe er nie über eine erneute Heirat nachgedacht. "Meine Religion erlaubt es mir zwar. Ich habe mich aber nicht um das Gerede gekümmert." Umso größer war die Freude über den kleinen Muhammadu Auwal, der jetzt friedlich im Schoß seiner Mutter schläft. "Wir sind sehr glücklich und wollen ihm ein gutes Leben und eine gute Ausbildung ermöglichen", sagt Vater Babangida Ahmed.