Norddeutsche kämpfen gegen in Syrien
8. September 2013Zum Urlaub eignet sich die Bürgerkriegsregion Syrien momentan nicht. Seit zwei Jahren führt der Machthaber Baschar al-Assad einen grausamen Krieg gegen das eigene Volk. Bisher hat die internationale Staatengemeinschaft den Morden und Gewalttaten aus sicherer Entfernung zugeschaut, doch die Schreckensbilder vom mutmaßlichen Giftgasanschlag des Assad-Regimes am 21. August haben auch die Staatsmänner der Welt nicht kalt gelassen. Mit einem militärischen Vergeltungsschlag wollen sie Assad und seine Truppen bekämpfen. Doch die Pläne sind ins Stocken geraten.
Andere haben keine Lust mehr zu warten. Sie sind die knapp 4000 Kilometer von Hamburg bis nach Syrien gereist, um die syrischen Rebellengruppen in ihrem Kampf gegen Baschar al-Assad zu unterstützen. Teilweise haben sie die Strecke mit dem Auto zurückgelegt oder sind mit dem Flieger bis in die Türkei geflogen. Von dort ging es weiter über die Grenze nach Syrien. Nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) ist seit Beginn des Jahres 2013 allein aus Hamburg rund ein Dutzend junger Islamisten nach Syrien gereist, um sich an Kampfhandlungen zu beteiligen. "Das Besondere an ihnen ist, dass sie sehr jung sind. Teilweise sind sie nur 18 oder 19 Jahre alt", sagt Carolin Fromme, die für den NDR die Geschichte recherchiert hat. Der Großteil von ihnen verfüge über die deutsche Staatsbürgerschaft, habe jedoch einen Migrationshintergrund.
Leichte Beute für die Islamisten
"Wir wissen aus Sicherheitskreisen, dass sie zum Teil in Jugendbanden in Hamburg aktiv sind", sagt die Journalistin. Einige der Aktivisten seien zudem mit der in Deutschland verbotenen "Hizb-u-Tahrir"-Organisation in der Hansestadt in Kontakt gewesen. "Hizb-u-Tahrir" steht in Verdacht, die jungen Männer in Deutschland für ihre Zwecke zu rekrutieren. Auch in Kiel ist eine Moschee ins Blickfeld des Verfassungsschutzes geraten: Die Ibnu Taymiya Moschee. Seit Jahren wird die Gemeinde vom Staat beobachtet. Zuletzt geriet sie in die Schlagzeilen, als der Deutsch-Tschetschene Aslanbek F. im Januar 2013 in Syrien ums Leben kam. Aslanbek F. soll sich einem organisierten Netzwerk angeschlossen haben, mit dem er in den "Heiligen Krieg" zog. Erste Kontakte soll er in besagter Kieler Moschee geknüpft haben. Was auffällt: Oft kommen die jungen Islamisten aus armen Familien und sind leicht manipulier- und beeinflussbar.
Torsten Voß, stellvertretender Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, verfolgt die Szene und kennt ihre Beweggründe. "Es sind Personen, die den Dschihad unterstützen. Sie wollen sich dort durch Teilnahme an Kampfhandlungen radikalisieren", erklärt er. Die Islamisten würden Deutschland mit dem Ziel verlassen, sich entweder direkt an den Kämpfen zu beteiligen oder islamistische Gruppen finanziell zu unterstützen.
Einreise als Mutprobe oder Abenteuerurlaub
Dabei sind viele der Sympathisanten dem Hamburger Verfassungsschutz bisher überhaupt nicht als Islamisten aufgefallen. Vielmehr gehe es den Jugendlichen offenbar darum, einfach vor Ort gewesen zu sein. Das würden sie dann mit den passenden Bildern dokumentieren, die sie auf Blogs oder in sozialen Netzwerken wie Facebook veröffentlichen. Die Fotos zeigen Männer, die mit Waffen posieren. Das sei wichtig, um ihren Ruf in der extremistischen Hamburger Szene zu festigen, sagt Voß. Die Reise nach Syrien dient also für einige als Abenteuer und Mutprobe.
Das legen auch die Zahlen des Verfassungsschutzes nahe, wonach schon sechs Männer nach nur wenigen Wochen in Syrien wieder nach Hamburg zurückgekehrt sind. Was die Männer genau auf dem Weg nach und in Syrien machen, sei dabei nicht immer einfach nachzuvollziehen. Es sei nicht einmal klar, ob alle Ausreisenden auch an ihrem Zielort ankommen. Deutschlandweit sind nach Angaben von Verfassungsschützern bisher etwa 120 Personen nach Syrien gereist, die im Verdacht stehen, islamistische Gruppen zu unterstützen. Diese Zahl hatte sich in den vergangenen Monaten stark erhöht.
Andreas Breitner (SPD), der Innenminister des nördlichsten Bundeslandes Schleswig-Holstein, zeigte sich besorgt über die neue Entwicklung: "Diese Personen stellen eine erhöhte Gefahr dar, wenn sie weiter radikalisiert und mit größerer Gewaltbereitschaft zurückkommen." Solche Personen hätten häufig auch an einer Ausbildung in Terrorcamps teilgenommen. Ähnlich äußerte sich auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. "Wenn sie wiederkommen, werden sie in der Szene wie Helden gefeiert", sagte er. Viele Rückkehrer seien emotional so aufgeladen, dass die Gefahr bestehe, dass sie in Deutschland Anschläge vorbereiten, Gleichgesinnte dazu ermuntern oder Attentäter ins Land schleusen.
Gefahr für Anschläge in Deutschland?
"Es gibt keine konkreten Anschlagspläne", sagt die NDR-Journalistin Carolin Fromme. "Allerdings haben die sechs Hamburg-Rückkehrer in Syrien auch gelernt, mit Waffen umzugehen oder Kontakte geknüpft. Und das beobachtet der Verfassungsschutz natürlich jetzt ganz genau." Die deutschen Sicherheitsbehörden können versuchen, die Islamisten - die sie unter Beobachtung haben - von ihren Reisen abzuhalten. So ist es rechtlich möglich, ihnen den Reisepass abzunehmen und die Ausreise zu verbieten. Einigen gelingt es aber dennoch, sich in Ausland abzusetzen. Syrien ist einfach über die Türkei zu erreichen. Auch mit ihrem Personalausweis können sie weit bis nach Syrien vorrücken.