Nordkorea im Blick der Experten
15. Juli 2013"In Nordkorea tut sich was", glaubt Rüdiger Frank. Der deutsche Korea-Experte, der unter anderem an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang studierte und Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien ist, war zuletzt im Mai in Nordkorea. Er stellte im Juni vor seinem Eröffnungsbeitrag bei der Diskussion von Nordkorea-Experten der privaten Bertelsmann-Stiftung in Berlin Fotos seines jüngsten Besuches voran. Sie zeigen nordkoreanische Jugendliche mit Inline-Skatern, moderne Stadtbusse in Pjöngjang, Nordkoreaner mit Handys, modernisierte Kim-Il-Sung-Statuen und Gebäudefassaden sowie den Verkauf von Kühlschränken in einem Souvenirladen. "Dieser Kleinhandel ist heute erlaubt oder wenigstens geduldet", sagt Frank.
In Nordkoreas inzwischen zwei Millionen Handynutzern sieht Frank eine neue Mittelschicht. Und Pjöngjangs militärische Drohungen vom März und April, die nach dem letzten nordkoreanischen Atomtest die Welt in Atem hielten, seien nicht nur negativ zu sehen: Es könnte sich dabei um ein innenpolitisches Manöver Kim Jong Uns gehandelt haben, nämlich dergestalt, dass Hardliner mit der Demonstration militärischer Stärke abgelenkt oder zufriedengestellt werden sollten, damit überfällige Reformen leichter in Angriff genommen werden können. Doch Frank räumt ein, dass er dafür allenfalls Indizien sehe, ein klarer Kurswechsel sei nicht zu erkennen.
Nordkorea spielt auf Risiko
Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Johannes Pflug, stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe, ist weniger gelassen. "Wir haben schon oft so eine Krise erlebt, aber dieses Mal war sie knapp unterhalb der Schwelle zur Gewalt", sagte Pflug. Stärker hätte Nordkorea gar nicht drohen können, ohne Gewalt anzuwenden. Nordkoreas Spiel mit dem Feuer habe die Militarisierung in Ostasien gefördert, kritisiert Pflug. Auch Frank räumt ein, dass man sich in diesem Frühjahr nicht habe sicher sein können, dass Pjöngjang das "alte Spiel" spiele.
Der südkoreanische Ex-Ministerpräsident Kim Hwang Sik sagte, Nordkoreas aggressives Verhalten zur Zeit des Regierungswechsels im Süden Ende Februar sei nichts Neues gewesen. Deshalb habe man dort auch nicht verschreckt reagiert. Damit sei Nordkoreas Drohpolitik ins Leere gelaufen. Nordkoreas Grundverhalten habe sich nicht verändert, meinte Kim, der gerade am Institut für Korea-Studien an der Freien Universität Berlin forscht.
Südkorea setzt auf Dialog
Die Nordkorea-Politik des bis Februar amtierenden Präsidenten Lee Myung Bak, dem Kim damals als Ministerpräsident diente und der dem Norden keine Unterstützung mehr ohne Gegenleistung gab, wollte Kim keine Mitverantwortung für das verschlechterte bilaterale Verhältnis geben. Die innerkoreanischen Beziehungen hätten sich doch schon zur Zeit der sogenannten Sonnenscheinpolitik verschlechtert, meinte Kim. 2000 hatte der damalige Präsident Kim Dae Jung für diese Annäherungspolitik den Friedensnobelpreis erhalten. Nordkorea aber habe diese Politik nur ausgenutzt und damals schon einen Atomtest durchgeführt und auch vor militärischen Provokationen nicht zurückgeschreckt, meinte Kim Hwang Sik.
Kim weigerte sich auf die Frage zu antworten, ob auch Südkorea Atomwaffen anstrebe, wenn Nordkorea sich von den seinen nicht mehr abbringen lasse. Stattdessen sagte er: "Wir versuchen einen Dialog mit Nordkorea zu führen. Wir streben eine Normalisierung der Beziehungen an. Dieser Weg ist sehr schwierig, aber ohne Alternative."
Neue Rolle Chinas
Eine bessere Lage sieht Park Myung Lim wegen der veränderten Interessen Chinas. Der frühere südkoreanische Präsidentenberater, der heute Professor für Regionalstudien an der Yonsei-Universität in Seoul ist und ebenfalls Gast am Institut für Korea-Studien der FU Berlin, glaubt, dass China Nordkorea heute nicht mehr erlauben würde, einen Krieg zu beginnen. Jetzt sende Chinas Regierung mit ihrem Empfang für Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye ein starkes Signal an Nordkorea. Früher habe Peking Pjöngjang immer mit Vorrang behandelt, doch heute bekomme Südkorea die Vorzugsbehandlung.
Die Frage des Moderators Matthias Nass, diplomatischer Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit", nach der Zukunft des nordkoreanischen Regimes hielt Nordkorea-Experte Frank für wenig zielführend: "Wir wissen doch nicht mal, wann Kim Jong Un geboren wurde oder ob er wirklich auf ein Internat in der Schweiz ging. Deshalb weigere ich mich zu spekulieren." Stattdessen sagte er: "Die Herausforderung für den jungen Machthaber Kim Jong Un besteht darin, Nordkoreas Deng Xiaoping zu werden, ohne als Michail Gorbatschow oder gar Nicolae Ceausescu zu enden." Mit anderen Worten: Ohne seinen Staat oder gar sich selber dem Untergang zu weihen.
Chancen für Frieden und Aufschwung
Doch gebe es die Chance, dass Kim zum nordkoreanischen Park Cheung-hee werde, meinte Frank. Der Vater der heutigen südkoreanischen Präsidentin hatte den Süden mit einer stark gesteuerten Privatwirtschaft zum Aufstieg geführt. "Nordkorea hat billige Arbeitskräfte, die preiswerter als in China sind, es hat Bodenschätze und eine 1.400 Kilometer lange Grenze zu China, dem größten Markt der Welt", so Frank.
Aus dieser ungewöhnlichen Perspektive hatten die meisten der rund einhundert Zuhörer Nordkorea sicher noch nie gesehen. Wen das nicht überzeugte, dem sagte Moderator Nass zum Abschied: "Wieder einmal gleicht eine Diskussion über Nordkorea einem Stochern im Nebel. Doch das mit den besten Experten, die wir zu Nordkorea derzeit in Deutschland haben."