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Nordkoreas rätselhafte Kapitalisten-Stadt

Mathias Bölinger9. Mai 2006

Vor vier Jahren irritierte Nordkorea die Welt mit Plänen für eine kapitalistische Sonderwirtschaftszone. Dann passierte nichts. Nun wird über eine Neuauflage spekuliert.

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Brücke in den Kapitalismus: Blick von China über den Yalu nach SinuijuBild: picture-alliance / dpa

Wie so oft, wenn es um Nordkorea geht, sind die Vorgänge geheimnisvoll: Bewohner der chinesischen Grenzstadt Dandong und Händler an der Grenze beobachten emsige Aktivitäten in der nordkoreanischen Stadt Sinuiju, berichtet eine Studie des amerikanischen Nautilus-Instituts. Unternehmen würden an- und Bewohner umgesiedelt. Die Militärbetriebe und Regierungsbehörden, denen Handel mit dem Ausland erlaubt ist, eröffneten in Sinuiju Büros. Die Sonderverwaltungszone Sinuiju an der chinesischen Grenze solle wieder belebt werden, vermutet das Institut, das sich sicherheitspolitischen Fragen in Asien widmet. "Es gibt kein offizielles Wort darüber, aber sie bereiten die Sonderwirtschaftszone vor", wird ein nordkoreanischer Geschäftsmann zitiert. Und unter den Bewohnern kursiere das Schlagwort von einem "neuen Hongkong."

"Total kapitalistisch"

Vor vier Jahren hatte die nordkoreanische Führung erstmals eine solche Sonderverwaltungszone angekündigt. Die Pläne für den Übergang des stalinistischen Staats in den Kapitalismus klangen abenteuerlich: 132 Quadratkilometer Nordkorea sollten eigene Gesetzte bekommen und teilweise von Ausländern verwaltet werden. Und als Währung sollte der US-Dollar gelten. Um die Bevölkerung vor schädlichen Einflüssen zu schützen, hätte man sie umgesiedelt und das Gebiet mit einer hohen Mauer umschlossen. Die alte Stadt Sinuiju, wo das einzige Licht nachts von der hell angestrahlten Kim Jong-Il-Statue kommt, sollte "plattgemacht" werden, wie es der designierte Verwaltungschef, der niederländisch-chinesische Geschäftsmann Yang Bin, formulierte. Sinuiju sollte komplett neu gebaut werden und "total kapitalistisch" sein.

Gouverneur Yang Bin von Nordkoreas Enklave droht Prozess
Orchideenkönig Yang Bin sollte Gouverneur von Sinuiju werdenBild: Picture-alliance / dpa

Der in Nanjing geborene Yang war in den achtziger Jahren zum Studieren in die Niederlande gegangen. Nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz erhielt er politisches Asyl und später die niederländische Staatsangehörigkeit. In den neunziger Jahren kehrte er nach China zurück, handelte mit Orchideen und Immobilien und wurde zum zweitreichsten Mann Chinas. Geschätztes Vermögen laut Forbes: 900 Millionen Dollar.

Schuften für den Erzfeind

Ausgerechnet das Wirtschaftswunderland China setzte dem Reich des Orchideenkönigs dann aber schon bald eine Ende: Yang Bin wurde verhaftet und wegen Betrugs und Korruption zu 18 Jahren Haft verurteilt. Seitdem ist in Nordkorea von den Plänen für die kapitalistische Enklave keine Rede mehr. Zwar hat Pjöngjang inzwischen einige kleine Reformen durchgeführt, die vor allem den Bauern marktwirtschaftliche Schlupfwinkel im Plansystem bieten. In Kaesong nahe der innerkoreanischen Grenze wurde eine Sonderwirtschaftszone für südkoreanische Unternehmen gegründet. Während sich einige Kilometer weiter eine Million Soldaten bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen, schuften hier ausgewählte nordkoreanische Arbeiter unter staatlicher Aufsicht für die Konzerne des Erzfeindes.

Nordkorea Südkorea Demarkationslinie
Bewaffnet bis an die Zähne: Soldaten der beiden KoreasBild: AP

Dass in Sinuiju ein kontrolliert kapitalistischer Feldversuch nach dem Vorbild von Kaesong geplant ist, ist aber eher unwahrscheinlich. Zu sehr sei die Region der Kontrolle Pjöngjangs schon entglitten, sagt Hanns Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. "Auf der unteren Ebene hat die Regierung keine Kontrolle mehr über die Kader." Anders als der 38. Breitengrad, der die beiden Koreas trennt, ist die chinesisch-nordkoreanische Grenze durchlässig. "Handel, Korruption, Kriminalität und vielleicht auch Produktion" seien längst grenzübergreifend. Die Grenztruppen seien käuflich, berichtet Hilpert. "Zöllner in Sinuiju ist einer der lukrativsten Jobs in Nordkorea."

Ob sich nun tatsächlich die späte Verwirklichung von Yang Bins kapitalistischem Traum anbahnt oder einfach nur der Geschäftssinn der lokalen Kader neue Blüten treibt: Sinuiju ist zum Einfallstor des Auslands nach Nordkorea geworden. Südkoreanische Medien berichteten, dass täglich Waren im Wert von sechs Millionen Dollar über den Yalu-Fluss gehen. Aber auch diese Zahl stammt aus dem Raunen im Grenzgebiet.