Ungewisse Rückkehr in die Heimat
8. Juli 2015Der kleine, schmutzigweiße Lastwagen ist schwer mit Getreidesäcken beladen. Der Fahrer muss ordentlich Gas geben, um durch den Fluss zu fahren. Zur Sicherheit haben sich dahinter zwölf Männer versammelt. Falls das klapperige Fahrzeug im Schlamm stecken bleibt, können sie kräftig anschieben. Doch es funktioniert, der kleine LKW schafft es durch den Fluss. Noch ist dieser nicht so tief, da die Regenzeit im Norden des Bundesstaates Adamawa sehr viel später als üblich begonnen hat.
Trotzdem bereitet die kaputte Brücke den Menschen große Sorgen. Auch Stephen Dami Mamza, der katholische Bischof von Yola, der Hauptstadt Adamawas, ärgert sich bei seiner Fahrt in den Norden darüber. "Wenn wir die Brücke ganz neu bauen würden, dann würde es sehr lange dauern. Deshalb möchte ich, dass die Regierung eine Behelfsbrücke bauen lässt", sagt Mamza. Nur so würde gewährleistet, dass Güter und Dienstleistungen in die derzeit recht abgeschnittene Region gebracht werden könnten.
Den Terroristen ausgeliefert
Zerstört hat die Brücke die Terrorgruppe Boko Haram, als diese den Norden Adamawas monatelang besetzt hatte. Auf der Verbindungsstraße zwischen Yola und der 400 Kilometer weiter nördlich gelegenen Provinzhauptstadt Maiduguri ist keine einzige Brücke heil geblieben. Sollten die Terroristen tatsächlich noch einmal in die Region zurückkehren, wäre eine Flucht nach Yola kaum mehr möglich - die Bewohner wären der Miliz schutzlos ausgeliefert.
Doch daran mag die 50-jährige Kwatri, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte, gar nicht denken. Die magere Frau lebt in der Kleinstadt Michika, auf halber Strecke zwischen Maiduguri und Yola. Michika war von September bis Januar von Boko Haram besetzt. Wer konnte, floh nach Yola. Kwatri muss sich auf einen Gehstock stützen, jeder Schritt bereitet ihr Schmerzen. Sie hatte wegen ihrer Gebrechlichkeit keine Möglichkeit, den Ort zu verlassen, überlebte die Horrormonate unter den Islamisten. Bis heute leidet Kwatri an den Folgen: "Mir ist ständig kalt und alle Knochen und Gelenke tun mir weh", erzählt sie. Als die Terroristen in Michika waren, habe sie Angst gehabt, Feuer zu machen: "Das wäre viel zu gefährlich gewesen." Deshalb schlief sie meistens auf dem kalten Boden. Auch Monate später gibt es nirgendwo eine geöffnete Apotheke oder ein Krankenhaus, wo sie lindernde Medikamente bekommen könnte.
Vertriebene wollen in die Heimat zurück
Kwatris Familie ist noch nicht wieder nach Michika zurückgekehrt. Von einem der drei Söhne hat sie schon seit Monaten kein Lebenszeichen mehr erhalten. Viele Familien haben sich auf der Flucht verloren. Niemand konnte die Felder bestellen, die Vorräte sind längst aufgebraucht. Nun steht Kwatri Schlange, um eine Lebensmittelspende der Kirche zu bekommen.
Nach neuesten Zahlen der nigerianischen Nothilfeagentur Nema leben noch immer 1,4 Millionen Menschen als Flüchtlinge. Doch in jene Regionen, die mittlerweile als einigermaßen friedlich gelten, drängen inzwischen viele der Vertriebenen zurück. Einer von ihnen ist Joel Billi. Er hoffte, nach neun Monaten als Binnenflüchtling in Yola wieder in sein eigenes Haus und seinen Alltag in Michika zurückkehren zu können. Doch sein erster Eindruck ist ernüchternd: Es gibt kein funktionierendes Krankenhaus, Schulen und Verwaltung haben geschlossen. Die Regierung habe zwar nie zu einer Rückkehr geraten. Doch lange klang es so, als ob Boko Haram so gut wie besiegt sei. "Wenn die Regierung uns einen Gefallen tun könnte, dann sollte sie uns mehr Soldaten senden", sagt Billi, der sich immer noch unsicher fühlt. "Ein paar sind zwar hier stationiert. Aber wir brauchen mehr."
Angst vor den eigenen Nachbarn
Ein Grund dafür ist, dass viele, die mit Boko Haram gemeinsame Sache gemacht haben, weiterhin in den einstmals besetzten Orten leben. Einige von ihnen hatten sich der Terrormiliz freiwillig angeschlossen, weil sie sich wirtschaftliche Vorteile erhofften, andere wurde gezwungen. Selbst wenn es hier zu keinem neuen Anschlag kommt, herrscht nicht automatisch Frieden. Viel zu viel Angst und Misstrauen haben die Terroristen in den besetzten Kommunen gesät. "Mit einem Prozess der Versöhnung haben wir noch gar nicht begonnen", sagt Billi und versucht dann, etwas optimistisch zu klingen: "Doch wir freuen uns auf jenen Tag, an dem Christen und Muslime wieder gemeinsam an einem Tisch sitzen, sich versöhnen und einander die hässlichen Vorfälle vergeben können."
Dabei sollte eigentlich der Staat helfen und sich um Lebensmittel, Krankenversorgung und Sicherheit kümmern. Doch in Michika ist davon nichts zu spüren. Am Ende seines Besuchs ist deshalb auch Bischof Stephen Dami Mamza ernüchtert: "Wenn wir alles einer Regierung überlassen, die im Moment gar nichts tut, dann werden unsere Leute vernachlässigt. Dann bringt sie schon eine simple Malaria um oder fehlende Lebensmittel. Sie werden sterben."