Nordwest-Grenzprovinz vor einem Bürgerkrieg?
18. Juli 2007Die Gewalt insbesondere gegen pakistanische Sicherheitskräfte im Nordwesten des Landes ist offensichtlich eine Reaktion darauf, dass die Armee Mitte letzter Woche die radikale Rote Moschee in Islamabad erstürmt hat. Allein am Wochenende (14./15.7.) starben ungefähr 70 Menschen in der Region, seitdem reißen die Anschläge nicht ab. Pakistans Regierung hat sich indessen zum umstrittenen Waffenstillstand mit so genannten "lokalen Taliban" in dem pakistanischen Grenzbezirk Nordwaziristan bekannt. Das Abkommen war erst im vergangenen September zwischen radikalen Kämpfern und Islamabad abgeschlossen, dann aber von den Militanten am Wochenende aufgekündigt worden.
Die Regierung bemüht sich nun, das Abkommen zu retten, auch wenn erste Verhandlungen am Dienstag gescheitert sind. Viele im Establishment denken wie der Ministerpräsident der neben Waziristan liegenden Nordwest-Grenzprovinz, Akram Khan Durrani von der Islamisten-Allianz MMA: "Ich halte es für ein Unglück, wenn dieses Abkommen – was Gott verhüten möge - bricht. Das hätte dramatische Auswirkungen, nicht nur in den gesamten Stammesgebieten wie Nordwaziristan, sondern auch in den besiedelten Gebieten. Das ganze Land würde Schaden nehmen."
Kritiker sprechen von Kapitulation
Viele Kritiker im In- und Ausland sehen dies aber anders. Sie haben der pakistanischen Regierung Kapitulation vor den Taliban vorgeworfen, als diese nach relativ erfolglosen, aber dennoch verlustreichen Militäroperationen in den Stammesgebieten einen Deal nach dem anderen einging – je einen in den Regionen Süd- und Nordwaziristan sowie einen dritten in der Region Bajaur.
Diese Deals sollten eigentlich dafür sorgen, dass ausländische Kämpfer aus den Grenzgebieten verschwinden und keine Angriffe nach Afghanistan mehr stattfinden. In Wirklichkeit, so die Kritiker, hat diese Politik dazu geführt, dass die Taliban in weiten Landstrichen entlang der afghanischen Grenze praktisch nach Belieben schalten und walten können. "Die weiche Linie, die die Regierung in den vergangenen zwei Jahren besonders in Nordwaziristan verfolgt hat, hat diese Vorfälle gefördert", glaubt Mehmood Shah, ehemaliger Staatssekretär für die halb-autonomen Stammesgebiete und pensionierter Brigade-General. "Wenn sie dagegen wie im Fall der Roten Moschee Härte zeigt, kann der Frieden erhalten werden." Danach müsse die Regierung zusätzlich eine Reform-Agenda umsetzen, meint Shah. "Es braucht natürlich Zeit, das geltende Recht, das die Leute nicht mögen, zu verändern. Aber damit muss die Regierung jetzt beginnen."
Sonderregeln in Stammesgebieten
In den Stammesgebieten gelten bislang nicht die gleichen demokratischen Rechte wie im Rest des Staates. Die Gebiete werden nach kolonialer Tradition teilweise aus Islamabad und teilweise von lokalen Stammesführern regiert.
Letzten Endes sei Demokratisierung neben militärischer Härte das beste Mittel, den Militanten den Nährboden zu entziehen, glaubt Mehmood Shah - in ganz Pakistan und besonders im Nordwesten. Er plädiert dafür, dass die Regierung im Kampf gegen die militanten so genannten Dschihadis mit den Koranschulen und Religionsgelehrten ebenso zusammenarbeitet wie mit den islamistischen Parteien. Allerdings müssten die Grenzen klar gezogen werden: "Wenn die religiösen Parteien die Dschihadi-Kultur benutzen, um politisch davon zu profitieren, dann müssen sie davon abgeschreckt werden", sagt Shah. "Und wenn sie nicht damit aufhören, muss das gesetzlich geregelt werden - und zwar so, dass man sie dann aus dem politischen Prozess ausschließen kann."
Angriffe auf Hilfsorganisationen
Die anderen politischen Parteien müssten sich genauso in den Stammesgebieten engagieren können wie Nichtregierungsorganisationen, fordert Mehmood Shah. Doch die Zivilgesellschaft hat Schwierigkeiten, sich zu behaupten. Viele Nichtregierungsorganisationen verlassen die Region. In der Nordwest-Grenzprovinz gab es nach der Erstürmung der Roten Moschee auch mehrere Übergriffe auf Hilfsorganisationen. "Die Militanten denken, dass Musharraf ein Liberaler ist und einen aufgeklärten, gemäßigten Islam fördert", erklärt Shahabuddin Khan von Actionaid Pakistan, "und in ihren Augen stehen Nichtregierungsorganisationen für eben diese liberale Kultur."
Der Spielraum ist also beschränkt für zivile Akteure. Zusätzlich erschwert werden politische Lösungen für die Grenzregion durch den außenpolitischen Faktor: Die Militäraktionen der USA in Afghanistan sind unter den Paschtunen in der Nordwest-Grenzprovinz äußerst unpopulär. Und solange Musharraf am Bündnis mit den Amerikanern festhält, wird er hier nur schwer Gehör finden. Der pakistanische Oppositionsführer Maulana Fazlur Rehman, ebenfalls von der islamistischen MMA, bringt es so auf den Punkt: "Es hängt alles an Afghanistan. Afghanistan wirkt sich auf die Stammesgebiete aus, die Stammesgebiete wirken sich auf die besiedelten Gebiete der benachbarten Nordwest-Grenzprovinz aus. Die Provinz-Regierung hat die Lage immer wieder unter ihre Kontrolle gebracht, aber sie steht dort doch nicht alleine in der Verantwortung!"