Grüne: Nouripour und Lang wollen Vorsitz
28. Januar 2022Es sind bewegte Zeiten für die Partei der Grünen: Erst seit ein paar Wochen sind sie - erstmals seit 2005 - wieder Teil einer Bundesregierung. Am Wochenende endet die Zeit von Annalena Baerbock und Robert Habeck an der Spitze der Umweltschutzpartei. Vier Jahre haben sie die Grünen geführt, jetzt ist Baerbock deutsche Außenministerin und Habeck Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz.
Das Statut der Grünen verbietet es, dass Minister gleichzeitig Parteivorsitzende sind. Das soll Machtmissbrauch und Ämterhäufung verhindern. Und so kandidieren auf dem weitgehend digitalen Parteitag in Berlin am Freitag und Samstag zwei Bundestagsabgeordnete für die Nachfolge: Omid Nouripour und Ricarda Lang. Ihre Wahl für die nächsten zwei Jahre gilt als sicher.
Ein gebürtiger Iraner mit viel außenpolitischem Fachwissen
Nouripour ist Mitglied in renommierten Clubs wie der Atlantikbrücke, aber man kann ihn auch mit Lederjacke und voller Leidenschaft auf der Tribüne seines Lieblingsvereins Eintracht Frankfurt finden. Dort, in der Banken-Stadt am Main, holte er bei der Bundestagswahl im September 2021 auch ein Direktmandat.
Der gebürtige Iraner, Außenpolitik-Experte seiner Fraktion, blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. 1988 kam er, damals 13 Jahre alt, mit seinen Eltern aus dem Iran nach Deutschland. Zuvor war ein Onkel vom Regime in Teheran hingerichtet worden, die Familie fürchtete um ihr Leben - auch wegen des Kriegs zwischen dem Iran und dem Irak.
Nicht immer ein Diplomat
Nouripour hatte schon im Iran begonnen, Deutsch zu lernen, in Deutschland machte er Abitur. Sein Studium brach er später ab und wurde Berufspolitiker. Jetzt sagte er der DW: "Ich möchte Parteivorsitzender werden, weil ich dieser Partei alles schulde, was ich heute bin. Und ich glaube, dass ich da was zurückgeben kann. Ich habe eine feste Vorstellung, was jetzt die Aufgabe ist. Die ist groß, aber außerordentlich spannend." Immerhin könnte er jetzt Vorsitzender einer Regierungspartei werden.
Manch einer hatte sich nach der Bundestagswahl im Herbst gewundert, warum Nouripour nach der Einigung auf eine Koalition mit SPD und FDP nicht selbst ins Außenamt wechselte. Aber Annalena Baerbock war Kanzlerkandidatin der Grünen gewesen und strebte selbst in das Amt.
Vielleicht lag es auch daran, dass Nouripour gegenüber nicht-demokratischen Regimen schnell jede Diplomatie aufgibt. Über das Emirat Katar, Ort der nächsten Fußball-Weltmeisterschaft, sagte er jüngst: "Sehr viel deutet darauf hin, dass die Katarer diese WM gekauft haben, aber die Deutschen sind bei gekauften Weltmeisterschaften jetzt nicht die besten moralischen Lehrmeister."
Wegen Millionenzahlungen an einen katarischen Funktionär gab es Korruptionsvorwürfe gegen die Organisatoren der WM 2006 in Deutschland um Franz Beckenbauer. Wegen Verjährung kam es nicht mehr zu einer gerichtlichen Klärung.
Frühere Chefin der Grünen Jugend
Wie Nouripour hat auch Ricarda Lang, geboren 1994 in der Nähe von Stuttgart, bereits angekündigt, das eher enttäuschende Ergebnis der Partei bei der Bundestagswahl aufarbeiten zu wollen, ohne die damalige Spitzenkandidatin Baerbock zu beschädigen.
Schon seit zwei Jahren ist Lang, die frühere Chefin der Grünen Jugend, stellvertretende Parteivorsitzende. Bundestagsabgeordnete ist sie seit dem vergangenen Jahr. Auch sie brach ihr Studium ab, um sich der Politik zuzuwenden. Lang ist die erste offen bisexuelle Abgeordnete. Ihre Schwerpunkte sind Sozial- und Klimapolitik, die 28-Jährige gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels.
Für eine allgemeine Impfpflicht
Immer wieder ergreift Lang offen das Wort gegen Rechtsextremismus und Populismus auf den Straßen und im Netz. Das klingt auch durch, wenn sie sich wie jetzt für eine allgemeine Impfpflicht gegen das Corona-Virus ausspricht, die der Bundestag in den nächsten Wochen debattiert: "Wir dürfen uns in der Debatte um die Impfpflicht nicht von einem kleinen Teil der Bevölkerung treiben lassen, der sich stark radikalisiert hat, der sich gegen staatliche Verwaltung als solche stellt und womöglich Polizistinnen und Journalisten angreift."
Die Ukraine, Russland und der Klimaschutz
Neben der Neuwahl des Vorstandes werden natürlich auch aktuelle Fragen den Parteitag bestimmen: die Krise um die Ukraine und Russland, die Frage möglicher Waffenlieferungen an Kiew, die ersten Versuche der Regierungs-Grünen, ihren Markenkern Klimaschutz voranzutreiben. Und eben der doch eher ernüchternde Ausgang der Bundestagswahl, auch wenn sie die Grünen zurück an die Macht brachte.
Aber noch zu Beginn des vergangenen Jahres hatte die Partei von der Kanzlerschaft geträumt, dann unterliefen Baerbock im Wahlkampf Fehler: Ihren offiziellen Lebenslauf musste sie wegen ungenauer oder falscher Angaben zu Mitgliedschaften und Studienabschlüssen korrigieren.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Corona-Bonus-Zahlungen
Ob und wie die grüne Basis ihren Unmut darüber auf dem Parteitag noch einmal ausspricht, bleibt abzuwarten. Zu allem Überfluss ermittelt jetzt sogar die Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Untreue gegen den alten Bundesvorstand.
Dabei geht es, wie ein Parteisprecher bestätigte, um die Mitwirkung der Mitglieder des Bundesvorstandes an Beschlüssen zur Auszahlung von sogenannten Corona-Boni, die 2020 an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle und zugleich an den Bundesvorstand gezahlt worden waren.
Das ist alles lange bekannt und stört die Grünen doch beim richtigen Start in das Regierungsgeschäft. Es kommt viel Arbeit zu auf den neuen Vorstand. Und auf die Grünen in der Regierung.