NSA und BND: Merkel muss Farbe bekennen
15. Februar 2017Zwei Zitate von Angela Merkel sind aufs engste mit ihrer dritten Amtsperiode als Kanzlerin verknüpft. Der eine Satz fiel im Sommer 2015 und sollte Zuversicht angesichts der vielen ankommenden Flüchtlinge verbreiten: "Wir schaffen das." Den anderen ließ sie im Herbst 2013 fallen und er sollte Empörung zum Ausdruck bringen, weil der US-Geheimdienst NSA auch ihr Handy abgehört hatte: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!" Wenn man beide Sätze im Internet sucht, liefert Google höchst unterschiedliche Trefferzahlen: rund 1,6 Millionen für das Flüchtlingspolitik-Zitat und lediglich 25.000 für das über die NSA-Spionage.
Die große Differenz spiegelt unerwartet deutlich die gefühlte öffentliche Relevanz der beiden Themen wider. Flüchtlinge spielen eine ungebrochen große Rolle - sowohl in der Politik als auch im Alltag der Menschen. Das systematische Ausspionieren unserer Privatsphäre durch Geheimdienste hingegen ist mehr oder weniger zum Experten-Thema geworden. Die Erregung nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden kurz vor der Bundestagswahl 2013 dauerte nur rund ein Jahr.
Prominente Zeugen
Seit drei Jahren tagt der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages - das Interesse an seiner Arbeit tendierte oft gegen Null. Es sei denn, prominente Zeugen erschienen: Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Merkels früherer Kanzleramtschef Ronald Pofalla, dessen Nachfolger Peter Altmaier oder der inzwischen ebenfalls ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler. Und nun die Bundeskanzlerin, mit deren Befragung das Gremium die Beweisaufnahme anschließen will. Danach muss der Abschlussbericht geschrieben werden, in den die Aussagen und Stellungnahmen von weit über hundert befragten Zeugen und Sachverständigen einfließen müssen. In der zweiten Juni-Hälfte soll der Text fertig sein.
Der Name Merkel wird in dieser Fleißarbeit sicherlich oft vorkommen. Dennoch sind die Erwartungen der Abgeordneten an die Einlassungen der Regierungschefin eher gering. Warum sollte sie mehr über die Machenschaften der NSA und des BND wissen als ihre dafür zuständigen Fachmänner? Wie wenig die angeblich über das Abhören auch befreundeter Staaten wussten, wurde am vergangenen Montag deutlich, als nacheinander der Geheimdienst-Beauftragte Klaus-Dieter Fritsche, Kanzleramtschef Altmaier und zu später Stunde Merkels Sprecher Steffen Seibert ihre Sicht auf die Dinge darlegten.
Empörung oder taktisches Manöver
Die tatsächliche oder zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit lässt sich mit einem Satz Fritsches zusammenfassen: "Wenn man keine Hinweise hat, dass man fragen sollte, fragt man nicht." Dabei gab und gibt es weiterhin viele offene Fragen: Wer wusste wann, dass auch der BND befreundete Staaten belauscht und nicht nur die NSA? Warum wusste das Kanzleramt nichts? Schließlich hat es die Fach- und Dienstaufsicht über den deutschen Auslandsgeheimdienst. Auf diese Fragen muss sich Merkel als Zeugin im Untersuchungsausschuss einstellen. Vor allem aber wollen die Abgeordneten von ihr wissen, wie ihr berühmter Satz gemeint war: "Ausspähen unter Freuden, das geht gar nicht!"
War das ehrliche Empörung? Oder doch nur ein taktisches Manöver - in der Hoffnung, die Aufregung würde sich schnell legen? SPD-Obmann Christian Flisek vermutet, Merkel habe einen "Schutzwall" um sich gezogen, um möglichst wenig über das Gebaren der Nachrichtendienste zu erfahren. Fritsche sei als ihre "persönliche Firewall" eingezogen worden. Flisek hätte aber erwartet, dass Merkel die NSA/BND-Affäre zur "Chefsache" macht. Auch die Opposition wirft der Kanzlerin fehlenden Aufklärungswillen vor.
Hans-Christian Ströbele von den Grünen ist fest davon überzeugt, "dass Merkel viele Informationen hatte". Einerseits hofft er bei ihrem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss auf "Wahrheit, Klarheit und Glaubwürdigkeit". Andererseits rechnet er mit eher dürftigen Antworten auf seine Fragen und die der anderen Abgeordneten, "weil wir wieder Wahlkampf haben".
Damit spielt Ströbele auf den Beginn der NSA/BND-Affäre wenige Monate vor der Bundestagswahl 2013 an. Merkels damaliger Kanzleramtschef Pofalla erklärte den Skandal nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKGr) kurzerhand für beendet.
Aus Sicht der Opposition wollte er das Thema damit - wider besseres Wissen über die tatsächliche Dimension des Ausspähens - aus dem Wahlkampf heraushalten. Welche Motive auch immer damals im Spiel waren - für Merkel scheint die Rechnung weitgehend aufgegangen zu sein. Die Affäre wird zwar auch in Verbindung mit ihrem Namen erinnert werden, aber eben nur wegen dieses einen Satzes: "Ausspähen unter Freuden, das geht gar nicht!"
Martina Renner, Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuss, ärgert das. Für sie ist es einer "größten Geheimdienst-Skandale mit den geringsten Folgen".