Gerechtes NSU-Losverfahren?
23. April 2013Christian Fuchs hat Glück gehabt am 5. März 2013. "Ich war an dem Tag eigentlich auf Recherche unterwegs, habe aber früh noch kurz meine Mails gecheckt", erzählt der freie Journalist der DW. So sah er rechtzeitig die Mail des Oberlandesgerichts (OLG) München, die um 8.56 Uhr ohne Vorankündigung eintraf. Die ersten 50 Journalisten, die sich anmeldeten, hieß es da, würden einen Platz im mit Spannung erwarteten NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe erhalten. Innerhalb einer Dreiviertelstunde hatte Fuchs alle Unterlagen für seine Akkreditierung zusammen. Das war schnell genug - er bekam den 27. Platz.
Heute macht sich Fuchs nur noch wenig Hoffnung, dass er den Gerichtssaal von innen sehen wird. Am 15.04.2013 beugte sich das OLG München einer Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Sitzvergabe nach dem Prioritätsprinzip für unzulässig erklärt hatte, weil keine ausländischen Medienvertreter einen Platz ergattern konnten.
Absolute Chancengleichheit
Da acht der zehn NSU-Mordopfer Türken waren, ist das Interesse bei der türkischen Presse groß. Das Verfassungsgericht legte also fest, dass mindestens drei türkische Journalisten im Saal Platz finden müssen. Doch das OLG vergab nicht einfach drei Publikumsplätze an türkische Medien. Stattdessen werden alle Pressesitze neu in einem Verfahren verlost, bei dem die Medienvertreter in Gruppen und Untergruppen eingeteilt sind. Und alle Journalisten, die vorher wie Fuchs unter den 50 Glücklichen mit einem festen Platz waren, stehen jetzt mit leeren Händen da.
"Der sechste Strafsenat hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts analysiert und abgewogen, welche Verfahren in Frage kommen, um die größte Chancengleichheit zu wahren," sagt Andrea Titz, Richterin und Pressesprecherin am OLG München, der DW.
Durch das komplizierte Losverfahren verschiebt sich der Prozess um drei Wochen nach hinten. Auf die Frage, warum nicht einfach drei zusätzliche Stühle in den Saal gestellt wurden, erklärt sie: "Es hätte dann ja ein neues Vergabeverfahren unter den türkischen Medienvertretern [für diese drei Plätze] stattfinden müssen. Und das wäre in der Kürze der Zeit bis zum eigentlich vorgesehenen Prozessbeginn nicht so möglich gewesen, dass in dieser Untergruppe Chancengleichheit gewahrt worden wäre." Davon abgesehen gäbe es dann immer noch die Schwierigkeit, dass andere Medienvertreter möglicherweise über Benachteiligung geklagt hätten, weil sie unter anderen Bedingungen ihren Sitzplatz erlangen mussten. "Es ist zwingend erforderlich, dass das Vergabeverfahren für alle Medienvertreter gleich ist", betont Titz.
Neue Kategorien
Bei dem Losverfahren werden die teilnehmenden Journalisten in drei Gruppen eingeteilt, von denen jede mehrere Unterkategorien hat. Wer nicht in eine Unterkategorie passt, kommt in den Topf, aus dem die freien Plätze einer jeden Gruppe gelost werden.
Gruppe eins, die kleinste von allen, ist für in- und ausländische Nachrichtenagenturen reserviert. In dieser Kategorie werden fünf der 50 Plätze verlost, zwei davon sind für Agenturen reserviert, die Nachrichten auf Deutsch verbreiten.
Gruppe zwei ist für ausländische Medien. Von den zehn Sitzen dieser Gruppe sind vier für die Unterkategorie "Türkische Medien" reserviert, ein Sitz für ein griechisches Medium und einer für ein persisches. Die restlichen fünf Sitze werden frei unter ausländischen Medien verlost.
Gruppe drei ist mit 35 Sitzen die mit Abstand größte Gruppe. Hier buhlen deutsche Medienvertreter um die Plätze. 13 Plätze werden frei verlost. Die anderen 22 Sitze verteilen sich auf Unterkategorien wie beispielsweise Tageszeitungen, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Privatfernsehen.
"Es ist also eine recht ausdifferenzierte Gruppen- und Untergruppenbildung", sagt OLG-Sprecherin Titz.
Zwei große Gruppen jedoch haben keine eigenen Kategorien: freie Journalisten, und solche, die für Onlinemedien schreiben. Natürlich könne man immer noch mehr Untergruppen hinzufügen, sagt Titz. Aber dann würde jede Untergruppe nur noch eine ungenügende Anzahl an Sitzen erhalten.
"Wenig Ahnung von der Medienlandschaft in 2013"
Für Christian Fuchs kam die Nachricht, dass sein sicherer Platz im Prozess sich in Luft aufgelöst hatte, völlig unerwartet. "Ich war schon mächtig überrascht, und ich war auch ein bisschen geschockt", sagt der Journalist aus Leipzig.
Fuchs findet es aber richtig, dass nun auch ausländische Medien berücksichtigt werden. Er selbst hatte, nachdem er herausfand, dass keine türkischen Journalisten beim Prozess dabei sein sollten, dem Chefredakteur der türkischen Zeitung Hürriyet angeboten, seinen Sitz tageweise zu "teilen", ihn also abwechselnd mit einem türkischen Kollegen zu besetzen. Das wurde vom Gericht nicht erlaubt.
Was ihn stört ist die Tatsache, dass Onlinejournalisten keine eigene Untergruppe für die Verlosung bekommen haben. "Das finde ich schon merkwürdig im Jahr 2013", sagt Fuchs. "Das zeigt, dass das Gericht wenig Ahnung von der Struktur der deutschen Medienlandschaft hat."