1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Verfassungsschützer auf Abwegen

Marcel Fürstenau, z.Z. München 12. März 2014

Andreas T. hatte beruflich mit Rechtsextremisten zu tun. Als Halit Yozgat in seinem Internet-Café erschossen wurde, war der Beamte anwesend, will aber nichts bemerkt haben. Auch seine Auftritte im Prozess bleiben dubios.

https://p.dw.com/p/1BOjm
NSU-Mordopfer Halit Yozgat (Foto: dpa)
Mordopfer Halit YozgatBild: picture-alliance/dpa

Andreas T. ist schon Stammgast im Sitzungssaal A 101 des Münchener Oberlandesgerichtes (OLG). Dort findet seit Mai 2013 das Strafverfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) statt. Der Zeuge T. ist zum fünften Mal geladen. Kein Wunder, angesichts der undurchsichtigen Rolle, die er als Beamter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) spielte. Im April 2006 saß T. sogar ein paar Tage in Untersuchungshaft, weil gegen ihn im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat ermittelt wurde. Der türkischstämmige junge Mann war das neunte Opfer in einer Serie von zehn Morden, die dem NSU angelastet werden. Dass T. damals ins Visier der Ermittler geriet, lag nahe, denn er hatte sich zum Tatzeitpunkt in Yozgats Internet-Café aufgehalten.

Unter Mordverdacht geriet T., weil er zunächst behauptet hatte, niemals am Tatort gewesen zu sein. Doch schnell wurde klar, dass der mit Islamismus und Rechtsextremismus befasste Verfassungsschützer sogar häufig Gast im Internet-Café gewesen war. In den Vernehmungen räumte der Beschuldigte ein, im Internet Partnerbörsen besucht zu haben. "Es hat uns alle entsetzt, dass sich Herr T. dort aufgehalten und amüsiert hat", sagte am Mittwoch (12.03.2014) der inzwischen pensionierte LfV-Direktor Lutz Irrgang über das widersprüchliche Verhalten seines früheren Kollegen. Nach dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft habe er ihn aufgefordert, eine dienstliche Erklärung abzugeben. Anschließend sei T. auf seine Veranlassung hin vom Dienst suspendiert worden, sagte Irrgang am 92. Verhandlungstag im NSU-Prozess.

"Denken Sie daran, was Sie Ihrem Sohn schuldig sind"

In einem Gespräch unter vier Augen habe er T. dann mitgeteilt, wenn er noch "irgendetwas" zu diesem Fall zu sagen habe, wäre das jetzt der "letzte mögliche Zeitpunkt". In diesem Zusammenhang sei auch T.s familiäre Situation zur Sprache gekommen: Der zwielichtige Verfassungsschützer war wenige Monate vor dem Mord an Yozgat Vater eines Sohnes geworden. "Denken Sie daran, was Sie ihm schuldig sind", hat Irrgang seinen Angaben zufolge damals indirekt an das Verantwortungsgefühl seines Untergebenen appelliert. Der sei bei seiner Darstellung geblieben und hätte "nichts mehr zu sagen" gehabt. Abgesehen davon habe für ihn mit T.s Entlassung aus der Untersuchungshaft "uneingeschränkt" die Unschuldsvermutung gegolten, betonte der inzwischen 72-jährige Irrgang.

Elektroladen im Gebäude des Internetcafés von Halit Yozgat in Kassel (Foto: dpa)
In diesem Gebäude in Kassel befand sich das Internet-Café von Halit YozgatBild: picture-alliance/dpa

Aus Sicht der Polizei scheint der hessische Verfassungsschutz im Zuge der Ermittlungen gegen T. wenig kooperativ gewesen zu sein. Diesen Eindruck haben Anwälte von Nebenklägern, darunter die Familie Yozgat, aus Ermittlungsakten gewonnen. So soll der Leiter der Sicherheitsabteilung des hessischen Verfassungsschutzes in einem Gespräch mit Vertretern der Staatsanwaltschaft und der Polizei jegliche Auskunft verweigert haben. Behördenchef Irrgang will darüber nicht informiert worden sein.

Der Zeuge T. kann sich selbst auf einem Video sehen

Die Aussage des seit November 2006 pensionierten Verfassungsschutz-Direktors im NSU-Prozess bestätigte den Eindruck, der sich schon im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages ergeben hatte: dass die Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden insgesamt und länderübergreifend miserabel war.

Im Anschluss an die mehrstündige Befragung Irrgangs betrat T. den ihm längst vertrauten Gerichtssaal. Seine Vernehmung begann mit einem etwa einminütigen Video, auf dem er sich selbst im Internet-Café sehen konnte. Die Aufnahmen wurden kurz nach dem Mord gemacht, um den Tathergang rekonstruieren zu können. Im Unterschied zu anderen Besuchern des Cafés will T. keine auffälligen Geräusche gehört haben. Halit Yozgat wurde wie alle anderen Opfer erschossen - mit derselben Waffe vom Typ "Ceska", unter Verwendung eines Schalldämpfers. Auch unter dem Eindruck des Videos blieb T. bei seiner Darstellung.

Vater des Opfers darf keine Erklärung abgeben

Für die im Gerichtssaal anwesenden Eltern Halit Yozgats war der fünfte Auftritt des dubiosen Ex-Verfassungsschützers T. emotional eine schwere Belastung. Der Versuch des Vaters Ismail Yozgat, eine Erklärung abzugeben, war schon tags zuvor fehlgeschlagen: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl lehnte die Verlesung eines vorbereiteten Textes unter Hinweis auf die Strafprozessordnung ab.

NSU Prozess 01.10.2013 München Ismael Yozgat (Foto: dpa)
Für den Vater des Opfers, Ismael Yozgat, ist der Auftritt des Ex-Verfassungsschützers eine emotionale BelastungBild: picture-alliance/dpa

Dass sich Andreas T. im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat auf Abwege begeben hat, bestreitet er nicht einmal selbst. Wohin diese Wege ihn geführt haben, darüber wird im Verlauf des NSU-Prozesses sicherlich noch häufiger zu reden sein. Nebenkläger-Anwälte haben einen weiteren Beweisantrag eingereicht. Als Zeugin soll eine ehemalige Vorgesetzte T.s geladen werden. Sie soll einem Vermerk der Ermittler zufolge im März 2006, also noch vor dem Mord an Halit Yozgat, Andreas T. beauftragt haben, die von ihm geführten V-Leute aus dem rechtsextremen Milieu zu den ungeklärten Morden an mehreren Männern mit ausländischen Wurzeln zu befragen.

Erst durch die Selbstenttarnung des NSU im November 2011 wurde offenbar, wer die mutmaßlichen Täter waren: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe. Dass die Befragung weiterer Zeugen aus dem hessischen Landesamt für Verfassungsschutz neue Erkenntnisse bringt, darf nach den bislang gemachten Erfahrungen bezweifelt werden. Das liegt auch daran, dass zahlreiche Akten auf Anweisung des hessischen Innenministeriums unter Verschluss bleiben.