NSU-Prozess: Im Namen des Volkes...
...werden am 11. Juli vor dem Oberlandesgericht München die Urteile gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" gesprochen. Begonnen hat das Strafverfahren am 6. Mai 2013. Ein Blick zurück.
Das Gesicht des NSU: Beate Zschäpe
Neun Männer mit Migrationshintergrund werden zwischen 2000 und 2006 mit derselben Pistole vom Typ "Ceska" erschossen. Die Polizei tappt im Dunkeln. In den Medien ist von "Döner-Morden" die Rede. Am 4. November 2011 explodiert in Zwickau ein Wohnhaus. Im Schutt entdecken Ermittler die Tatwaffe und ein Bekenner-Video. Vier Tage später stellt sich Beate Zschäpe der Polizei.
Das mutmaßliche NSU-Trio
Schon 1998 ist Beate Zschäpe mit ihren rechtsextremistischen Freunden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in den Untergrund gegangen. Das Trio lebt fast 14 Jahre unentdeckt an verschiedenen Orten, zuletzt in Zwickau. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Terrorgruppe mordend und bombend quer durch Deutschland reiste. Seinen Lebensunterhalt soll sich der NSU durch Raubüberfälle finanziert haben.
Die Opfer
Neun Männer und eine Frau soll der NSU ermordet haben. Das erste Opfer, Enver Şimşek, erlag am 11. September 2000 seinen schweren Verletzungen. Die Namen der weiteren Opfer: Abdurrahim Özudogru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç (oben, v.l.), Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat (unten, v.l.) und die Polizistin Michèle Kiesewetter (oben, r.).
Bomben-Anschläge in Köln
In der überwiegend von Türken bewohnten Keupstraße explodiert am 9. Juni 2004 eine mit Nägeln gefüllte Bombe. Mehr als 20 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Bereits am 19. Januar 2001 detoniert in einem Laden in der Probsteigasse ein Sprengsatz. Ein 19-jähriges Mädchen mit iranischen Wurzeln erleidet Verbrennungen, Schnittwunden, einen Schädelbruch und geplatzte Trommelfelle.
Ende einer Flucht
Am 4. November 2011 scheitert in Eisenach ein Banküberfall. Die Täter können zunächst entkommen, werden aber von der Polizei verfolgt. Kurze Zeit später werden in einem qualmenden Wohnmobil die Leichen von zwei Männern entdeckt. Die äußeren Umstände lassen darauf schließen, dass sie sich das Leben genommen haben. Es handelt sich um die mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Das letzte Versteck
Wenige Stunden nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos explodiert in Zwickau ein Wohnhaus. Brandstifterin soll Beate Zschäpe sein. Damit will sie offenbar Spuren in der gemeinsam mit ihren Freunden genutzten Wohnung vernichten. Im Schutt der Ruine entdecken Ermittler unter anderem die Tatwaffe der NSU-Mordserie vom Typ "Ceska" und ein Bekenner-Video.
Das Bekenner-Video
In einem makaberen Video mit der beliebten Trickfilm-Figur Paulchen Panther bekennt sich der NSU zu den Morden an neun Männern und an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Halit Yozgat war, wie sieben weitere Opfer, türkischer Herkunft. Da Theodorus Boularides griechische Wurzeln hatte, hat der NSU tatsächlich acht Türken erschossen. Die im Video zu sehende Zahl ist also falsch.
Prozess-Auftakt
Am 6. Mai 2013 beginnt vor dem Oberlandesgericht München der NSU-Prozess. Die einzige Überlebende des mutmaßlichen Terror-Trios, Beate Zschäpe, erscheint im dunklen Hosenanzug und macht auf die meisten Beobachter einen betont selbstbewussten Eindruck. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr unter anderem vor, "in zehn Fällen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen einen Menschen getötet zu haben".
NSU-Helfer?
Außer Beate Zschäpe sind im NSU-Prozess vier Männer als mutmaßliche Unterstützer angeklagt. Nur der ehemalige Funktionär der rechtsextremen NPD, Ralf Wohlleben (unten, r.), darf in der Berichterstattung mit ganzem Namen genannt werden. Bei André E., Carsten S. (oben, v.l.), und Holger G. (unten, l.) muss der Name aus Gründen des Persönlichkeitsrechts abgekürzt werden.
Zschäpe bricht ihr Schweigen
Am 9. Dezember 2015 passiert das Unerwartete, nachdem Beate Zschäpe zweieinhalb Jahre geschwiegen hat: Sie lässt eine Aussage verlesen, in der sie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos der Mord-Serie bezichtigt. Im Sommer hatte sie sich mit ihren Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm überworfen. Seitdem wird sie zusätzlich von Hermann Borchert und Mathias Grasel verteidigt.
Der V-Mann-Skandal
Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz im Umfeld des NSU? Diese Frage liegt von Anfang an wie ein Schatten über dem Prozess. Der rechtsextreme Verfassungsschutz-Spitzel (V-Mann) Tino Brandt schildert als Zeuge ausführlich, wie er seit den 1990er Jahren den "Thüringer Heimatschutz" (THS) aufbaute. In dieser Organisation radikalisierte sich das spätere NSU-Trio Zschäpe. Böhnhardt und Mundlos.
Als Halit Yozgat erschossen wurde...
...war ein Beamter des Verfassungsschutzes am Tatort, einem Internetcafé in Kassel. Der V-Mann-Führer Andreas T. will nichts von dem Mord am 6. April 2006 mitbekommen haben, obwohl das Opfer im Eingangsbereich lag. Yozgats Vater Ismael schildert im NSU-Prozess auf bewegende Weise, wie er seinen sterbenden Sohn in den Armen hielt. Im Gerichtssaal hat er ein Kinder-Foto von Yozgat bei sich.
Proteste am Rande
Demonstrationen gegen die Verstrickung staatlicher Stellen in den NSU-Komplex gibt es immer wieder. Zahlreiche Organisationen, darunter die Initiative "Keupstraße ist überall" beteiligen sich an den Aktionen. In der Kölner Keupstraße explodierte am 9. Juni 2004 eine mutmaßlich vom NSU mit Nägeln gefüllte Bombe
NSU-Untersuchungsausschüsse
Auch der Deutsche Bundestag versucht Licht ins Dunkel des NSU-Komplexes zu bringen. Im August 2013 übergibt der Vorsitzende des ersten Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (r.), Parlamentspräsident Norbert Lammert den über 1000 Seiten dicken Abschlussbericht. Das Urteil ist eindeutig: "Staatsversagen". Später gibt es weitere Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene.
Das gebrochene Versprechen
Am 23. Februar 2012 findet im Berliner Konzerthaus die zentrale Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer statt. Eine schonungslose Aufklärung der Verbrechen verspricht Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) Semiya Şimşek (r.) und anderen Opfer-Angehörigen. Doch die sind tief enttäuscht angesichts vernichteter oder unter Verschluss gehaltener Verfassungsschutz-Akten. Ihr Verdacht: Der Staat weiß mehr.
Bundesanwaltschaft fordert Höchsstrafe
Bundesanwalt Herbert Diemer und seine Kollegen beginnen im Sommer 2017 ihre Plädoyers. Für Beate Zschäpe fordern sie die Höchststrafe: lebenslänglich bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließende Sicherungsverwahrung. Für Ralf Wohlleben und André E. fordert die Anklage zwölf Jahre Gefängnis, Holger G. soll für fünf Jahre hinter Gitter und Carsten S. für drei.
Zschäpes Alt-Verteidiger fordern Freilassung
Im April 2018 beginnen die Verteidiger-Plädoyers der Angeklagten. Beate Zschäpes erst 2015 hinzugekommenen Anwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel beantragen für ihre Mandantin eine Strafe von maximal zehn Jahren. Ihre Alt-Verteidiger Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm (v.r.n.l.) überraschen mit der Forderung nach Zschäpes sofortiger Entlassung aus der Untersuchungshaft.
Der Vorsitzende Richter
Manfred Götzl ist Vorsitzender Richter im NSU-Prozess. Der von ihm geführte Strafsenat am Oberlandesgericht München fällt die Urteile gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten. Die Meinungen über den 64-Jährigen gehen zuweilen auseinander. Einige Nebenkläger-Anwälte hätten sich manchmal eine straffere Prozess-Führung gewünscht. Insgesamt aber genießt Götzl großen Respekt.