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Politik

Obamas bedrohtes politisches Erbe

Michael Knigge
10. Januar 2017

Der künftige US-Präsident Donald Trump kann vieles von dem, was sein Vorgänger Barack Obama erreicht hat, verwässern oder ganz rückgängig machen. Aber nicht alles.

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USA Washington Treffen Obama und Amtsnachfolger Trump
Bild: Reuters/K. Lamarque

Seit Barack Obama als US-Präsident vereidigt wurde, sind acht Jahre vergangen. Doch im Rückblick scheint es, als habe die Welt von heute kaum noch etwas mit der von vor acht Jahren zu tun. Man muss sich den Beginn der Obama-Regierung in Erinnerung rufen, wenn man seine Leistungen bewerten will. Dann wird auch deutlich, dass sich seitdem zwar sehr viel verändert hat, dass das globale Umfeld, in dem Obama agiert hat, aber kaum weniger bedrohlich schien als das, was sein Nachfolger 2017 vorfindet.  

"Obama trat wahrscheinlich zum schwierigsten Zeitpunkt aller Präsidenten seit Franklin D. Roosevelt sein Amt an", meint Professor Iwan Morgan vom University College London. "Die Vereinigten Staaten standen vor der schwersten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, und sie führten zwei Kriege im Ausland. Das war ein sehr schweres Erbe." Hinzu kam noch, dass es Obama im eigenen Land mit einer akuten politischen Polarisierung und mit einer Republikanischen Partei zu tun hatte, deren vorrangiges Ziel darin bestand, ihn zu behindern oder am liebsten ganz aus dem Amt zu werfen. 

Wirtschaft

Dass es Obama gelang, die USA nach der schweren Bankenkrise von 2008 vor dem Abrutschen in eine weitere Große Depression zu bewahren, gehört zu seinen persönlichen Leistungen, was aber heute leicht vergessen wird, glaubt Professor Desmond King von der Universität Oxford. Als Antwort auf die unmittelbaren Folgen der Finanzkrise schaffte es Obama nicht nur, das umfangreichste finanzielle Stützungsprogramm der amerikanischen Geschichte durch den Kongress zu bringen, sondern setzte auch mit dem Dodd-Frank-Gesetz Finanzmarktregulierungen durch, um ähnliche Verwerfungen in Zukunft zu verhindern.

Während Trump viel von Obamas Vermächtnis wieder zunichte machen könnte, "wird das bleiben, was Obama getan hat, um die USA vor neuen Katastrophen zu bewahren", sagt Professor David Sylan von der Universität Genf. Eine dieser Katastrophen war die Finanzkrise, so Sylvan, und Obamas Leistung bestand darin, dafür zu sorgen, "dass sich die USA von der Wirtschaftskrise von 2007/8 erholte".

Obamacare Demonstration in Washington
Viele Amerikaner wollen ihre Krankenversicherung unter Trump nicht wieder verlierenBild: Reuters/J. Ernst

Innenpolitik

Obamas wichtigste innenpolitische Leistung ist die Gesundheitsreform, auch bekannt als Obamacare. "Das ist sein Erbe", sagt King. "Er hat eine allgemeine Krankenversicherung für alle Amerikaner erreicht. Mehrere seiner Vorgänger haben es versucht und sind daran gescheitert." Durch die Gesundheitsreform bekamen Millionen Amerikaner erstmalig einen Krankenversicherungsschutz. "Das ist die wichtigste sozialpolitische Leistung seit den 60er Jahren", sagt Morgan.

Doch Obamacare könnte leicht zu einem der ersten Opfer der Regierung Trump und des republikanisch beherrschten Kongresses werden. Beide haben gesagt, sie würden Obamas wichtigstes innenpolitisches Projekt, das sie von Anfang an bekämpft haben, rückgängig machen und ersetzen.

"Ich glaube, der große innenpolitische Fehler von Obamas Präsidentschaft - und das konnte man kaum in zwei Amtsperioden strukturell ändern - ist das wachsende Wohlstandsgefälle", sagt Morgan. Obama habe das Problem zwar erkannt, aber nicht lösen können, was letztlich zum Aufstieg Trumps geführt habe.

Außenpolitik

Während alle befragten Politikwissenschaftler das Atomabkommen mit dem Iran als Obamas wichtigsten außenpolitischen Erfolg werten, glauben sie gleichzeitig, dass dieses Abkommen leicht von der Trump-Administration zerpflückt werden kann. Daher glaubt Prof. Sylvan, dass Obamas "Weigerung, in Syrien zu intervenieren", als eine von zwei Leistungen Obamas Bestand haben wird, eine, die selbst eine Trump-Regierung wahrscheinlich nicht rückgängig machen wird, denn "sehr wenige Leute haben heute irgendwelche Lust, in Syrien einzugreifen". 

Beerdigung von im Irak gefallenen US-Soldaten
Die Lust auf immer neue Kriege ist der Nation vergangenBild: picture-alliance/dpa

"Nicht in den Krieg zu ziehen", so fasst Sylvans Oxforder Kollege King Obamas außenpolitisches Vermächtnis zusammen, "denn Amerika führt schon so lange Krieg, und immer wieder zum Krieg angestachelt zu werden, aber dem zu widerstehen ist eine enorme Leistung." Viele sähen darin zwar einen Fehler, so King, aber zum ersten Mal in sehr langer Zeit habe es Obama geschafft, den ständigen Strom junger amerikanischer Soldaten, die auf ausländischen Schlachtfeldern den Tod finden, zu stoppen.

Morgan fügt hinzu, die philosophische Grundlage von Obamas Außenpolitik sei einmal die Einsicht in die begrenzten Einflussmöglichkeiten der USA und zum anderen die geplante Verschiebung der Prioritäten weg von Europa und dem Nahen und Mittleren Osten und hin zu Asien. Morgan bewertet Obamas Außenpolitik pessimistisch. Was die Einsicht in die begrenzten Möglichkeiten betrifft, "so dürfte das Trump ganz anders sehen als Obama", und hinsichtlich der Prioritätsverschiebung "glaube ich, dass wir im Rückblick Obamas außenpolitisches Vermächtnis als nicht besonders solide Grundlage sehen werden". Vor allem dadurch, dass Obama in Syrien nicht mehr unternommen habe, so Morgan, habe Russland das Vakuum füllen können mit dem Ergebnis, dass es Russland zum ersten Mal seit den 1970er Jahren gelungen sei, in der Region wieder als wichtiger Akteur aufzutreten. 

Rassenbeziehungen

Egal, wie Trump und die Republikaner im Kongress mit Obamas politischem Vermächtnis umgehen werden, so ist Obama doch schon als erster afroamerikanischer Präsident der Vereinigten Staaten ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Es sei wichtig, sich diese Tatsache erneut vor Augen zu führen, meint King, und sie sei nur durch die Veränderungen möglich gewesen, die die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre durchgesetzt habe.

Plakat Barack Obama Hitler Vergleich USA
Die Tea-Party-Bewegung war sich zu keinem Vergleich zu schade, um Obama zu schadenBild: picture-alliance/dpa/J. Heinz

Die Rassenbeziehungen in den USA haben sich während Obamas zwei Amtszeiten dagegen nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert, meinen die Experten, weil die Wahl des ersten nichtweißen Präsidenten eine rassistisch gefärbte politische Gegenbewegung ausgelöst habe. "Nur Monate nach seiner Amtsübernahme begann eine mächtige weiße Graswurzelbewegung, eine nationale Bewegung, gegen ihn zu agitieren, nämlich die Tea-Party-Bewegung", sagt King. Gleichzeitig wurden Zweifel daran geäußert, dass Obama in den USA geboren worden sei und er damit überhaupt das Recht habe, zum Präsidenten gewählt zu werden.

Dies, so Morgan, habe sich auch deutlich auf die Wahl 2016 ausgewirkt. "Aus meiner Sicht hat eine Art kultureller Minderwertigkeitskomplex bei weißen Amerikanern angesichts eines Schwarzen im Weißen Haus Hillary Clintons Probleme noch verschärft. Der erste afroamerikanische Präsident und dann noch die erste Frau im Weißen Haus, das war vielen Amerikanern einfach zu viel. Sie haben 2016 Trump gewählt."