"Ocean Viking" rettet 182 Menschen
18. Februar 2020Der Notruf kam gegen 5.30 Uhr morgens: Ein völlig überfülltes Holzboot mit Flüchtlingen treibt rund 130 Kilometer vor der Küste Libyens. Als die Nachricht die "Ocean Viking" erreicht, ist sie rund 22 Seemeilen von dem in Not geratenen Boot entfernt. In ein bis zwei Stunden könnte sie vor Ort sein. Nicholas Romaniuk, Einsatzleiter auf der "Ocean Viking", ändert den Kurs. Er beschließt, sich die Lage vor Ort näher anzusehen. Schließlich gilt die Informationsquelle für diese Meldung - die NGO "Alarm Phone" - als glaubwürdig. Im Kern ist es ein Netzwerk von zivilen Aktivisten in Europa und Nordafrika. An sie wenden sich diejenigen, die auf hoher See im Mittelmeer in Not geraten. Alarm-Phone informiert dann andere NGOs - darunter auch SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen - sowie die zuständige Küstenwache.
Der Ernstfall tritt ein
Während sich die "Ocean Viking" der Gegend nähert, in der das Flüchtlingsboot sein soll, nimmt Nicholas Romaniuk Kontakt auf mit der EUNAVFOR MED Operation Sophia. Das ist eine internationale militärische Krisenbewältigungsoperation der EU, die den Menschenschmuggel bekämpft. Nicholas Romaniuk erhält die genauen Koordinaten des Flüchtlingsbootes; zudem noch eine Schätzung, wie viele Personen sich auf dem Holzboot befinden sollen. Es heißt, 90 Menschen seien in Not geraten. Am Ende werden es 84 sein.
Plötzlich kommt Bewegung auf der Brücke: Nicholas Romaniuk hat bei einem Blick durch das Fernglas das Holzboot gesichtet. Er lässt die orangefarbenen Rettungsboote startklar machen. Wenige Minuten später jagen zwei Rettungsboote los, jedes mit einer dreiköpfigen Besatzung. Das Mutterschiff folgt.
Gefährliche Bergungsaktion
Schon bald erscheint das blaue Boot der Flüchtlinge am Horizont. Die Menschen an Bord winken den Helfern mit ausgestreckten Armen zu. Das Boot beginnt zu schwanken. Die wichtigste Aufgabe der Retter ist jetzt die Flüchtlinge zu beruhigen.
Tanguy, der den Einsatz der kleinen Rettungsschiffe leitet, redet beruhigend auf die Überlebenden ein: Alle würden mitgenommen, es sei auf der "Ocean Viking" genügend Raum für alle, sie würden auch nicht zurückgebracht werden nach Libyen, von wo sie am Vortag gestartet sind. In den kommenden 30 Minuten Minuten erhält jeder der Flüchtlinge eine Rettungsweste ausgehändigt. So stellen die Helfer sicher, dass, selbst wenn das Boot umkippt, niemand ertrinkt. In drei Touren bringen zwei Rettungsboote die Flüchtlinge, die vor allem aus Bangladesch und aus Marokko stammen, zur "Ocean Viking". Es sind ausschließlich Männer, darunter 21 Jugendliche unter 18 Jahren, die sich ohne Eltern oder Verwandte auf den gefährlichen Seeweg nach Europa gemacht haben. Alle Flüchtlinge bekommen einen Beutel mit neuer Kleidung, einer Decke, energiereicher Nahrung sowie Trinkwasser.
Erneute Alarmmeldung
Im Laufe des Tages zieht sich der Himmel über der "Ocean Viking" zu, der Wind wird stärker, die Wellen deutlich höher. Am späten Nachmittag informiert Alarm-Phone erneut Nicholas Romaniuk, dass ein Schiff in Not geraten sei, diesmal ein Schlauchboot. Die "Ocean Viking" gibt Vollgas. Nach einer Stunde erreicht sie die Überlebenden, die ebenfalls winken, als sich die Retter nähern. Die Gefahr, dass das lange Schlauchboot umkippt, ist groß. Das Schiff ist völlig überladen und treibt wie eine Nussschale hin und her.
Tanguy hat es dieses Mal deutlich schwerer, die Überlebenden zu beruhigen. Einigen wollen sich vordrängeln, um als erste im Rettungsboot Platz nehmen zu können. Am Ende werden alle 98 Menschen gerettet. Die meisten kommen aus Nigeria und Ghana, mehrere aus Senegal, Guinea, Gambia, Mali, Togo oder Guinea Bissau. 14 der Geretteten sind Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren. Auch eine Frau ist unter den Überlebenden.
Die Retter auf der "Ocean Viking" bereiten sich auf weitere Aktionen vor.