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Musik

Offener Brief: Musiker ringen um politische Anerkennung

Matthias Beckonert
20. Mai 2021

Peter Maffay, Helene Fischer, Herbert Grönemeyer - sie und viele mehr kritisieren scharf die geplante Urheberrechtsreform in Deutschland. Zu Unrecht, sagt eine Netzexpertin.

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Collage: Peter Maffay, Helene Fischer, Herbert Grönemeyer, H.P. Baxxter (Scooter), Campino (Die Toten Hosen), Marteria
Bekannte Gesichter, die gegen das geplante Gesetz protestieren

Es waren nicht weniger als 1145 prominente Musikschaffende, die sich vor kurzen in einem offenen Brief an die Abgeordneten des deutschen Bundestags gewendet haben. Peter Maffay hat unterzeichnet, ebenso wie Helene Fischer oder Helge Schneider, Kitschkrieg, H.P. Baxxter und Robin Schulz - um nur einige zu nennen. In dem Schreiben ("Das Entsetzen hat kein Ende") protestieren die Musiker und Bands gegen einen Gesetzentwurf, mit dem die europäische Urheberrechtsreform in deutsches Recht umgesetzt werden soll.

Die Stimmung ist seitdem angespannt. Das geplante Gesetz sorge in seiner aktuellen Fassung für eine "Entmündigung" und "Enteignung" von Musikschaffenden, heißt es im Brief. Urheberpersönlichkeitsrechte würden "auf dem Altar des vermeintlichen Verbraucherschutzes geopfert", im Entwurf zeige sich eine "künstler*innenfeindliche Prioritätensetzung". Die rhetorische Aufrüstung und die unter dem Schreiben versammelte Prominenz zeigen gleichermaßen: Die Urheberrechtsreform ist ein hochrelevantes und stark emotionalisiertes Thema.

Ringen um politische Anerkennung

Der offene Brief, könnte man sagen, ist nur das neueste Kapitel einer anhaltenden und heftig geführten Diskussion um die Urheberrechtsreform in der Europäischen Union. Grob lassen sich dabei zwei Konfliktparteien ausmachen: Auf der einen Seite stehen die Internetnutzer und die großen Digitalkonzerne wie Google, Facebook oder ByteDance (TikTok). Während die Nutzer vor allem Zensur durch automatische Upload-Filter und urheberrechtliche Hürden für moderne Kommunikationsformen wie das Meme fürchten, wollten die Großkonzerne die finanziellen und rechtlichen Vorteile eines Urheberrechts nicht aufgeben, das über 20 Jahre alt ist.

Ein Demonstrant hält in Hamburg ein Schild mit der Aufschrift "Filter? Nur für Kaffee!" hoch.
2019 protestierten europaweit gut 100.000 meist junge Menschen gegen die UrheberrechtsreformBild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Auf der anderen Seite übten Urheber (zum Beispiel Musiker) und die Unternehmen, die sie vertreiben, von Anfang an starken Druck auf das Gesetzgebungsverfahren aus. Schließlich verdienen die großen Digitalkonzerne viel Geld an den von den Nutzern erstellten und mit urheberrechtlich eigentlich geschützten Werken angereicherten Inhalten. Eine illegale Verwendung musste bisher aber erst gemeldet und dann gelöscht werden - ein langwieriger und nachträglicher Prozess, über den Urheber schon lange klagen.

Die trocken anmutende Frage nach der Urheberrechtsreform kann damit auch als Ringen um politische Anerkennung gelesen werden. Es verwundert deshalb wenig, dass sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedsstaaten immer wieder betonten, dass es ihnen um einen gerechten Ausgleich beider Seiten ging, als sie die Urheberrechtsreform auf den Weg brachten.

Was steht in der EU-Richtlinie?

Die Richtlinie sieht auf der einen Seite vor, dass nunmehr die Plattformen - und nicht mehr die Nutzer - urheberrechtlich für die Inhalte verantwortlich sind. Demnach sind die digitalen Plattformen sowohl dazu verpflichtet, die illegale Verwendung geschützter Inhalte zu unterbinden, als auch "bestmögliche Anstrengungen" zu unternehmen, von den Urhebern beziehungsweise den Rechteinhabern Lizenzen zu erwerben.

Auf der anderen Seite legt sie fest, dass die Nutzung geschützter Inhalte für Karikaturen, Parodien oder Pastiches (darunter fallen etwa Memes) erlaubt bleiben muss. Die wichtigste Hürde zu einem neuen, dem digitalen Zeitalter angemessenerem Urheberrecht, schien damit endlich genommen. Nur: Die Richtlinie muss bis zum 7. Juni in deutsches Recht umgesetzt werden.

Justizministerin Christine Lambrecht bei einer Kabinettssitzung im Oktober 2020.
Um den Entwurf aus ihrem Ministerium wurde auch intern heftig gestritten: Justizministerin Christine LambrechtBild: Markus Schreiber/dpa/picture-alliance

Nicht nur wird der Kampf um Anerkennung hier auf deutschem Parkett fortgeführt, die Auslegung der Richtlinie wird nun zur entscheidenden Frage. Der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium versteht den EU-Kompromiss dergestalt, dass es für Nutzer einen gewissen Spielraum geben muss. 

Die sogenannte Bagatellgrenze

Kleine Ausschnitte urheberrechtlich geschützter Werke wie Lieder, Musik oder Texte dürfen unter bestimmten Voraussetzungen von Nutzern gepostet werden, ohne dass diese persönlich eine Lizenz dafür kaufen müssen. Eine solche "geringfügige Nutzung" hieße beispielsweise, dass ein Nutzer bis zu 15 Sekunden eines Liedes verwenden dürfte, wobei diese 15 Sekunden weniger als die Hälfte des Originals darstellen und mit anderen Inhalten kombiniert werden müssten. Der Vorteil dieser Bagatellregelung aus Verbrauchersicht: Nutzer müssen keinen Überblick über die Lizenzen der Plattformen haben, wenn Sie sich an die Schwellenvorgaben halten.

Markus Rennhack trägt eine Nickelbrille.
Einer der Mitverfasser des offenen Briefs: der Musiker Markus RennhackBild: Philipp Scholz

Für Musikschaffende hingegen sei diese Regelung katastrophal, meint Markus Rennhack. Er spielt in der Band "unloved", arbeitet für einen kleineren Leipziger Musikverlag und ist einer der Mitverfasser des offenen Briefs. Während die ursprüngliche EU-Richtlinie ein "extrem guter Kompromiss" gewesen sei, mache der deutsche Gesetzesentwurf aus einer Richtlinie zum Urheberrecht in erster Linie ein Verbraucherschutzgesetz, so Rennhack. Schon an den gegeneinander ausgespielten Präfixen "Urheber" und "Verbraucher" zeigt sich: Hier brechen alte Wunden wieder auf. Aber worauf bezieht sich der Vorwurf der falschen Prioritätensetzung?

Infografik Urheberrecht DE

Steigende Umsätze in der Musikindustrie

Grundsätzlich haben Musiker - sofern keine persönlichen oder künstlerischen Entscheidungen dagegen sprechen - mit dem neuen Gesetz zunächst ein besonderes Interesse daran, dass ihre Musik auf den großen Plattformen stattfindet. Immerhin wird hier besonders viel Geld verdient: Wie der Bundesverband Musikindustrie mitteilte, stiegen die Umsätze der deutschen Branche 2020 trotz Pandemie und Auftrittsverboten gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent - über 70 Prozent der Gesamteinnahmen stammen dabei aus dem digitalen Geschäft.

Und auch die Plattformen selbst haben daran ein Interesse: Gerade die unter die Bagatellgrenze fallenden Schnipsel sind in den sozialen Medien wie TikTok, YouTube oder Instagram enorm populär - und je populärer ein Inhalt, desto mehr Geld kann über das Schalten von Werbung daran verdient werden. Nun sieht das Gesetz in solchen Fällen der "geringfügigen Nutzung" ebenfalls eine Vergütung der Urheber vor (also zum Beispiel der Musiker, deren Lieder im erlaubten Rahmen verwendet werden). Das soll über eine Verwertungsgesellschaft passieren, die die Beträge zentral einsammelt und dann verteilt.

Wer bekommt das Geld - und wofür?

Genau daran stößt sich Rennhack besonders: Während die Nutzer mit der Bagatellgrenze aus der Verantwortung gezogen würden, blieben die Urheber außen vor. "Wir haben laut dem Gesetzentwurf keinen Anspruch auf die Nutzungsdaten unserer Inhalte, das ist ausdrücklich ausgespart", moniert Rennhack. "Damit können wir aber auch überhaupt nicht nachprüfen, ob es wirklich eine legale Verwendung war."

Außerdem kritisiert er, dass die Verwertungsgesellschaft den bestehenden Lizenzmarkt beschneiden würden - mit Nachteilen für Nachwuchsmusiker oder solche, die Musik abseits vom Mainstream machen: "Immer, wenn Gelder in irgendwelche Töpfe fließen und dann verteilt werden müssen, wird grob nach irgendeinem Analogieschluss verteilt." Rennhacks Sorge: Dass das Geld in schon bekannten Verhältnissen aufgeteilt wird - etwa in dem Verhältnis, in dem Musiker im Radio gespielt werden. Profitieren würden in diesem Beispiel vor allem Pop-Größen, kleinere Bands und Musiker abseits des Mainstreams aber nicht.

Verteilungsfragen nicht gegen Verbraucher ausspielen

Julia Reda, aufgenommen 2014: eine junge Frau mit Brille.
Die Aktivistin und Urheberrechtsexpertin Julia RedaBild: Rainer Jensen/dpa/picture-alliance

Eine wichtige Diskussion, stimmt Julia Reda zu. Sie setzt sich seit Jahren für eine Urheberrechtsreform ein, die die Rechte von Internetnutzern stärkt und auf Uploadfilter verzichtet. Dafür saß sie bis 2019 für die Piraten-Partei im Europaparlament, daran arbeitet sie aktuell für die Gesellschaft für Freiheitsrechte. "Natürlich muss man schauen, dass die Vergütung auf eine faire Art und Weise verteilt wird." Aber, wirft sie ein, die internen Verteilungsfragen dürfe nicht gegen den Verbraucherschutz ausgespielt werden.

An dem geplanten Gesetz könne man einiges kritisieren, vor allem den vorgesehenen, aus ihrer Sicht aber verfassungswidrigen Einsatz von Uploadfiltern. Die Bagatellregelung hingegen setze den 2019 gefundenen Ausgleich zwischen Nutzern und Urhebern verfassungskonform um und sei ein "akzeptabler Kompromiss". Mehr noch: Der Entwurf stärke die Rechte von Urhebern enorm, sowohl gegenüber den Plattformen als auch gegenüber der Musikindustrie.

Pandemie hat Auftrittsmöglichkeiten lahm gelegt

"Allein die Verpflichtung der Plattformen, Lizenzangebote annehmen zu müssen, ist ein riesiger Fortschritt zum Status Quo." Ginge es der Musikindustrie tatsächlich um eine faire Bezahlung ihrer Künstler, wäre das mit dieser Regelung möglich, so Reda. Und weil die Vergütungsgesellschaften den Vergütungsanspruch von den Plattformen direkt einholen, sei auf der anderen Seite sichergestellt, dass zumindest dieser Anteil direkt an die Kreativen weitergereicht wird. "Insofern enttäuscht es mich ein wenig", schiebt Reda nach, "dass sich der offene Brief so stark auf diese 15 Sekunden einschießt." 

Darauf angesprochen, sagt Rennhack: "Die Aggressivität im Brief liegt auch darin begründet, dass wir so fassungslos darüber sind, wie mit uns umgegangen wird." Die Pandemie lege seit Monaten den Offline-Markt, also die Auftrittsmöglichkeiten, flach, seit Monaten weise man Politiker auf die Schwächen der Entwürfe für den Online-Markt hin. Geändert habe das nichts. "Der Brief war auch ein Verzweiflungsschlag." Ob die Musikschaffenden mit seiner Hilfe eine substanzielle Abänderung des Entwurfes erreichen werden, ist mehr als fraglich - die Frist für die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie läuft am 7. Juni ab. Dennoch steht der offene Brief hochaktuell im Raum: Als Frage nach politischer Anerkennung und als Diskussion um Verteilungsgerechtigkeit.