Grundstein für das Wirtschaftswunder
27. Februar 2013Noch heute sind viele Deutsche stolz auf das Wirtschaftswunder. Das Wachstum in der Nachkriegszeit war gewaltig, allein zwischen 1953 und 1963 verdoppelte sich die Wirtschaftsleistung der jungen Bundesrepublik. Generationen von Schülern haben seitdem gelernt, "dass wir ein so unglaublich tüchtiges Volk sind", das von den USA mit Geld für den Wiederaufbau unterstützt wurde. "Das ist ein sehr bedauerlicher Teil der Verdrängung von Geschichte in diesem Land", sagt Joachim Kaiser.
Kaiser arbeitet bei "erlassjahr.de", einem Bündnis, das sich für die Entschuldung von Entwicklungsländern einsetzt. Die Deutschen hätten lange verdrängt, so Schuldenexperte Kaiser, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg selbst hoffnungslos überschuldet waren – ähnlich wie heute Griechenland.
Erst das Londoner Schuldenabkommen von 1953 habe der deutschen Wirtschaft wieder Luft zum Atmen gegeben, sagt die Historikerin Ursula Rombeck-Jaschinski von der Universität Stuttgart. "Man kann sogar behaupten, dass das Wirtschaftswunder ohne das Schuldenabkommen gar nicht möglich gewesen wäre."
30 Milliarden DM Schulden
Rund 70 Länder hatten damals Forderungen gegen die Bundesrepublik, teils aus der Zeit vor dem Krieg, teils aus der Zeit danach. Insgesamt beliefen sich die Schulden auf rund 30 Milliarden D-Mark. Sparen und mühsames Abzahlen war für die Westdeutschen keine Option. Im Gegenteil: Die Wirtschaft brauchte dringend frisches Geld, um Wiederaufbau und Wachstum zu finanzieren.
Das war auch dem Bankier Hermann-Josef Abs klar, der die Delegation der Bundesrepublik bei den Verhandlungen in London anführte. Seine Parole: Aus den Gläubigern von heute sollten die Geldgeber und Investoren von morgen werden.
Die Verhandlungen begannen im Sommer 1952, sie waren zäh und schwierig. Würden die Gläubiger auf Geld verzichten? War den Deutschen zu trauen? "Es hat sogar eine Situation gegeben, wo es fast zum Abbruch der Verhandlungen gekommen wäre", erzählt die Historikerin Ursula Rombeck-Jaschinski. "Die Deutschen hatten den ausländischen Gläubigern ein Angebot vorgelegt, das aus Sicht des deutschen Finanzministeriums das Äußerste war, was möglich war. Dagegen betrachteten die Gläubiger das Angebot geradezu als eine Unverschämtheit."
Das Misstrauen der Gläubiger
Die Deutschen mussten nachbessern, dann gingen die Verhandlungen weiter. Die Parallelen zu den heutigen Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern sind offensichtlich. Auch damals in London ging es darum, die richtige Balance zu finden. Die Gläubiger wollten möglichst viel von ihrem Geld wiedersehen, gleichzeitig sollte die Bundesrepublik wirtschaftlich nicht überlastet werden.
"Vor allem die Briten vertraten die Ansicht, die Deutschen könnten im Grunde auch alles zurückzahlen", so Rombeck-Jaschinski. "Aber dem haben die US-Amerikaner einen Riegel vorgeschoben, denn die waren daran interessiert, dass Deutschland noch Geld für anderes übrig hatte, insbesondere für die Wiederbewaffnung."
Das Abkommen, das die Teilnehmer der Schuldenkonferenz schließlich am 27. Februar 1953 unterschrieben, fiel für die westdeutsche Wirtschaft äußerst günstig aus: etwa die Hälfte der Schulden wurde erlassen, der Rest langfristig umgeschuldet.
Geburt der Exportnation
Zudem legte die Einigung den Grundstein für die deutsche Exportstärke. Denn die Bundesrepublik musste ihre Schulden nur bedienen, wenn sie durch den Außenhandel Geld verdiente. Die Gläubiger hatten somit ein Interesse daran, deutsche Waren zu kaufen, sagt Jürgen Kaiser von "erlassjahr.de". Seiner Ansicht nach könnte eine ähnliche Regelung heute auch dem hoch verschuldeten Griechenland helfen – zumal das Land vor der Krise noch Milliarden für Panzer aus Deutschland ausgegeben hatte.
"Würde man sagen: Die Deutschen bekommen erst dann wieder Geld, wenn sie einen griechischen Handelsbilanzüberschuss zulassen – dann würden die Griechen ziemlich lange exportieren und deutsche Touristen unterbringen, bis sie diese verdammten Panzer bezahlt hätten", so Kaiser.
Historikerin Rombeck-Jaschinski sagt, die Situation vor 60 Jahren sei nicht einfach auf die heutige Problematik übertragbar. Allerdings empfiehlt sie den Deutschen, bei den Verhandlungen mit Griechenland nicht zu vergessen, dass ihr eigenes Land auch einmal hoffnungslos überschuldet war und Hilfe nötig hatte.