Oldies bei Olympia - eine Ausnahme?
20. Februar 2018Deutsche Welle: Claudia Pechstein ist mit 45 Jahren die Älteste im deutschen Olympia-Team. Damit gehört sie zu den ältesten Athleten in Pyeongchang. Nichtsdestotrotz wurden ihr gute Medaillenchancen eingeräumt. Ist Pechstein ein Ausnahmetalent?
Wilhelm Bloch: Claudia Pechstein ist in einer gewissen Weise schon ein Phänomen, das muss man einfach sagen und anerkennen. Wer in diesem Alter noch so viel Leistung bringt ist tatsächlich etwas Besonderes.
Wie schwer ist es grundsätzlich, in diesem Alter solch ein Weltklasse-Niveau zu bringen?
Nun, es kommt auf die Disziplin an. Im Langstreckenbereich - also auch dem Eisschnelllauf und anderen Ausdauersportarten - sind Anforderungen gefragt, die man auch in dem Alter noch bedienen kann. Der Anspruch an Muskeln und die Ausdauerfähigkeit erlauben trotz Leistungsabnahme, dass eine relativ hohe Leistung konserviert wird.
Wenn wir nun von Explosiv- oder Kraftsportarten reden, wo maximale Muskelschnellkraft gefordert ist - wie beim Sprinten oder Gewichtheben - hätte sicherlich auch eine Claudia Pechstein keine Chance mehr. Denn was man auch gesehen hat: Je kürzer die Strecke wird, umso mehr Probleme hat sie. Auch für sie ist es mittlerweile schwierig, über ein bestimmtes Tempo hinauszugehen oder unter einer bestimmten Zeit pro Runde zu bleiben. In dem Alter gibt es ein Limit. Claudia Pechstein besitzt sicherlich nicht mehr die Leistungsfähigkeit, die sie mit 30 hatte. Aber sie hat sie sehr lange konserviert.
Muss ich von klein auf den Sport treiben, um solche Leistungen zu bringen oder gibt es auch Spätzünder, die dafür umso länger durchhalten?
Also die maximale Top-Leistungsfähigkeit werden Sie nicht erreichen, wenn Sie spät einsteigen. Das heißt aber nicht, dass man nicht noch ein relativ hohes Leistungsniveau erreichen kann. Das geht schon. Auch Studien zeigen, dass man auch mit einem höheren Einstiegsalter - mit Mitte 40,50 - im Marathon noch ziemlich gut werden kann. Hier reden wir jedoch nicht von absolutem Weltklasseniveau.
Werden wir in Zukunft mehr ältere Athleten bei den olympischen Spielen sehen? Während einerseits viele Nachwuchssportler dabei sind, werden die Sportler in vielen Disziplinen tendenziell älter. Ein anderes Beispiel ist der 45-jährige Skispringer, der Japaner Noriaki Kasai.
Nun ja, das könnte Zufall sein, aber tatsächlich auch ein Trend. Das liegt vor allem an der Trainingsgestaltung, die sich in den letzten Jahrzehnten sukzessiv verändert hat, und die es älteren Athleten möglich macht, ihr Leistungsniveau länger zu halten.
Inwiefern wird heute anders trainiert?
Ganz generell gesagt unterliegen Athleten heute einer anderen Belastungssteuerung hinsichtlich des Trainingsumfangs, der Intensität und Technik der Bewegungsausführung.
Trainer achten auf ein besseres, professionelleres Belastungs-Regeneration-Management. Es wird nicht mehr so viel dem Zufall überlassen. Das konserviert natürlich auch die Leistungsfähigkeit bei den Athleten - sofern sie einen entsprechenden Lebensstil haben. Und Claudia Pechstein ist sicherlich ein Beispiel, wo man sagen kann, dass sie ein sehr, sehr diszipliniertes Leben führt und die nötige Willenskraft hat. Ansonsten wäre das so nicht machbar.
Ist es denn immer nur von Nachteil, ein "älterer Athlet" zu sein?
Was die reine körperliche Leistungsfähigkeit anbetrifft, nehmen alle Funktionen mit der Zeit ab - mehr oder weniger schnell. Aber da, wo Erfahrung, Bewegungsmuster und so weiter gefragt sind, kann durchaus ein älterer Athlet aufgrund seines Erfahrungsschatzes einen Vorteil haben und vorausschauender reagieren als ein jüngerer Sportler. Doch die reine körperliche Leistungsfähigkeit ist ab 30 Jahren eingeschränkt. Unser Leistungshoch liegt zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr.
Also ist 30 meine Deadline, ab dann werde ich nur noch steifer und unsportlicher.
Haha, naja. Da sind verschiedene Aspekte dabei. "Steif" betrifft ja mehr den passiven Apparat, also das Bindegewebe und so weiter. Das kann relativ lange flexibel gehalten werden.
Es geht aber auch um die muskuläre Leistungsfähigkeit. Leider ist es so, dass sich die Muskulatur mit der Zeit verändert und nicht mehr so viel Leistung abrufen kann. Und mit zunehmendem Alter verläuft der körperliche Abbau nicht mehr linear.
Gibt es Methoden, mit denen ich gegensteuern kann?
Das ist eine gute Frage. Das ist wahrscheinlich eine Sache des bestmöglichen Trainings. Also: Welches Training kann ich machen und wie muss ich Belastung und Regeneration steuern? Da haben wir sicherlich noch nicht DIE Lösung gefunden.
Aber ein wichtiger Aspekt, den man beachten sollte: Auch das Belastungs-Regenerations-Management ändert sich mit dem Alter. Das heißt, je älter der Athlet wird, umso mehr Regenerationszeit braucht er. Die Anpassungsprozesse funktionieren dann nicht mehr so schnell. Wenn man das beim Training berücksichtigt, ist man schon ein ganzes Stück weiter.
Prof. Dr. Wilhelm Bloch ist seit 2004 Leiter der Abteilung für molekulare und zelluläre Sportmedizin des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmediziner an der Deutschen Sporthochschule Köln. Außerdem ist er Vorsitzender des Wissenschaftsrats der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) und Mitglied des European College of Sport Science (ECSS).
Das Interview führte Hannah Fuchs.