Gold-Turnerin Biles - Ikone mit dramatischer Geschichte
2. August 2024Die ersten Takte des Welthits "Are you ready for it" von US-Sängerin Tailor Swift wummerten aus den Boxen in der Bercy Arena in Paris. Wenige Sekunden nahm sich Simone Biles Zeit und lauschte der Musik. Anspannung und Konzentration waren der 27-Jährigen anzumerken. Dann begann sie ihre letzte Übung im Mehrkampf-Finale - in ihrer Parade-Disziplin, dem Bodenturnen.
Zuvor hatte die Mehrkampf-Olympiasiegerin von Rio 2016 beim Sprung mit einem gebückten Jurtschenko-Doppel-Salto, den bei den Frauen-Wettkämpfen sonst niemand springt, bereits ein dickes Ausrufezeichen gesetzt. Zwar unterlief ihr an ihrem schwächsten Gerät, dem Stufenbarren, ein großer Fehler. Doch den konnte sie am Schwebebalken wieder wettmachen, wo sie erneut glänzte.
Simone Biles: "Gold bedeutet mir die Welt"
Am Boden zeigte Biles zu den Klängen des Swift-Songs dann noch einmal, warum sie als mit Abstand beste Turnerin der Welt gilt. Gleich beim ersten Sprung katapultierte sie sich in zwei, drei Meter Höhe, überschlug sich und rotierte mehrfach und landete wieder auf beiden Füßen. Ihr breites Grinsen und der tosende Applaus von den Rängen verriet, dass es ein perfekter Sprung war.
Es folgten weitere atemraubende Kunststücke, und am Ende wurde Biles mit dem Olympiasieg im Mehrkampf belohnt. "Dieses Gold heute bedeutet die Welt für mich", sagte sie. "Ich bin superstolz auf meine Leistung, es ist eine wunderbare Erfahrung." Für Biles war es nach Gold im Teamwettbewerb bereits der zweite Triumph bei den Olympischen Spielen in Paris.
Hollywood-Prominenz in Paris dabei
Die US-Amerikanerin hat Turnen auf ein neues Level gehoben, da sind sich alle einig. Und wenn sich bei einem Wettkampf der Turn-Queen regelmäßig nicht nur zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer bewundernd die Augen reiben, sondern auch die Hollywood-Elite in der Halle mitfiebert, dann ist klar, welchen Status Biles bereits erreicht hat.
Als sie bei ihrem ersten Wettkampf in Paris durch die Bercy Arena flog, hielt selbst der ehemalige US-Präsident Barack Obama nach eigenen Worten daheim vor dem Fernseher die Luft an. In den sozialen Netzwerken würdigte Obama den Turnstar als "GOAT", als Größte aller Zeiten. Auf der Tribüne in Paris drückten Hollywood-Star Tom Cruise, Rapper Snoop Dogg, die Sängerinnen Lady Gaga und Ariana Grande ihrer Landsfrau die Daumen.
"Also das ist richtig krass", freute sich auch die 16 Jahre alte deutsche Turnerin Helen Kevric, die bei ihrem ersten olympischen Mehrkampf einen sehr guten achten Platz belegte. "Snoop Dogg war im Haus, Ariana Grande auch. Die haben mich jetzt auch turnen gesehen. Das kann nicht jeder von sich behaupten, das ist eine Riesensache."
Biles kämpft mit Depressionen
Doch Biles' Beliebtheit hat nicht nur sportliche Gründe. Die Geschichte der Turnerin hat auch eine Schattenseite. Bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 hatte Biles, nach ihren vier Goldmedaillen von Rio 2016 ein weiteres goldenes Kapitel hinzufügen wollen. Dann aber verlor sie einem Sprung die Orientierung in der Luft. Alle Sicherheit war weg.
Biles stieg wegen mentaler Probleme aus dem Mannschafts-Mehrkampffinale aus - und bestritt danach zwei Jahre lang keine Wettkämpfe mehr, um sich zu erholen. Sie habe so etwas wie eine Vorahnung gehabt, sagt Biles rückblickend: "Wahrscheinlich wusste ich, dass ich in eine Depression geraten würde. Aber es gab einen Mechanismus in mir, der das ausblendete."
Simone Biles: "Es war zu viel"
"Wenn man schaut, was ich in den letzten sieben Jahren alles durchgemacht habe, hätte ich nie wieder zum Olympia-Team gehören dürfen", sagte die Rekord-Weltmeisterin später dem "New York Magazine". "Ich hätte schon lange vor Tokio aufhören sollen."
Im Januar 2018 hatte Biles öffentlich gemacht, dass sie von ihrem ehemaligen Teamarzt Larry Nassar sexuell missbraucht worden war. Biles und hunderte weitere Turnerinnen klagten gegen Nassar. Dies habe einen "hohen emotionalen Tribut" gefordert, räumte Biles ein. "Es war zu viel. Aber ich wollte nicht zulassen, dass er mir etwas wegnimmt, wofür ich hart gearbeitet habe, seit ich sechs Jahre alt war." Der ehemalige Teamarzt wurde zu einer Gefängnisstrafe von insgesamt 175 Jahren verurteilt.
Biles will in Paris weitere Medaillen holen
Nach zwei Jahren Wettkampfpause hat sich Biles zurück auf die Weltbühne des Turnens gekämpft. Nun stellt sie als absolute Ikone des Frauenturnens wieder alle Konkurrentinnen in den Schatten. Und nach bereits zwei Goldmedaillen in Paris will die 27-Jährige weiter angreifen: In den Einzel-Finals im Sprung, am Boden und auf dem Schwebebalken winken ihr weitere Medaillen.
Ihr Lebensmotto hat Biles auf ihrer Haut verewigt. Ihr linkes Schlüsselbein ziert ein Tattoo, "Still I Rise" steht dort in schwarzer Tinte geschrieben. Es ist ein Auszug aus dem wortgewaltigen Gedicht der 2014 verstorbenen schwarzen Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou. Worte der Inspiration, Worte der Widerstandsfähigkeit, des Wiederaufstehens. Biles hat sie mit Leben gefüllt.