Omid Nouripour: Integration braucht klare Regeln
2. Dezember 2018Das Bett, in dem sein kürzlich zur Welt gekommener Sohn liegen würde, sollte am Fenster des Kinderzimmers stehen. So habe es sich jedenfalls seine Frau gewünscht, erzählt der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour im DW-Interview der Woche. Er selbst aber sei dagegen gewesen, und zwar mit größter Entschlossenheit. Warum, das konnte er sich zunächst selbst nicht erklären, sagt Nouripour. Erst als er in sich ging, wurde ihm klar: Fenster können zersplittern - etwa bei Druckwellen. Dies hatte Nouripour, Sohn iranischer Immigranten, als Kind selbst erlebt - zur Zeit des ersten Golfkriegs, ausgetragen zwischen Iran und Irak. "Die Vorstellung, dass mein Kind darunter liegt, während die Scheibe zerbricht und zersplittert, das hat mir immense Angst gemacht."
Es ist eine Erinnerung aus vergangenen Zeiten, die eine Sorge auslöst, zu der in Nouripours - nach 30 Jahren in Deutschland - nicht mehr ganz so neuen Heimat kein Anlass besteht. Doch die Geschichte zeigt, welche Erinnerung Menschen mit sich umhertragen, wie sie die Gegenwart auf Grundlage alter, aber teils unverarbeiteter Eindrücke empfinden und bewerten. Diese unterschiedlichen Erfahrungen, so Nouripour, stelle eine der Herausforderungen dar, die es bei der Integration zu bewältigen gelte.
Traumatische Erfahrungen
Ungleich traumatischere Erfahrungen als er selbst, glaubt Nouripour, trügen viele der heutigen Flüchtlinge mit sich. Vor einiger Zeit habe er die Einrichtung einer Kinderhilfsorganisation im Libanon besucht, die sich vor allem um syrische Flüchtlingskinder kümmerte. Zu jener Zeit stand die Stadt Homs unter schwerstem Beschuss. "Und wenn man in diesen Raum gegangen ist und vorher wusste, hier sind Kinder aus Homs, konnte man mit einem Blick erkennen, wer das ist und wer nicht. Das sind Kinder, die haben Dinge erlebt, die eine Seele nicht aushalten kann."
Solche Erfahrungen gelte es im Umgang mit Kriegsflüchtlingen generell zu berücksichtigen. "Es geht nicht darum, dass jeder einzelne hier eine Totalbetreuung bekommt, das ist weder leistbar noch sinnvoll. Wir müssen immer wieder mitdenken, dass die Leute psychologisch eine Last mitbringen."
Gelingende Integration
Nouripour, Jahrgang 1975, war 13 Jahre alt, als seine Eltern mit ihm aus dem Iran nach Deutschland kamen. Mit dem Aufnahmeland, sagt der außenpolitische Sprecher der Grünen, habe er von Anfang an gute Erfahrungen gemacht - insbesondere beim Spracherwerb. Dass der vergleichsweise glatt verlief, verdanke er vor allem seinen Schulkameraden. "Die haben mich nicht ausgelacht, die haben mir einfach ruhig erklärt, wie das ist. Und das ist unter Teenagern, glaube ich, nicht immer normal."
Überhaupt, meint Nouripour: Die Integration wird ganz wesentlich von der Gesellschaft getragen: von Sportvereinen, von Nachbarschaftshilfen, von Betrieben, von Gewerkschaften und Unternehmern. "All das greift ineinander. Und hilft den Leuten, dass sie sich zurechtfinden. So ging es mir auch."
Gegen blinde Akzeptanz
Verständnis bedeutet für Nouripour allerdings nicht blinde Akzeptanz. Flüchtlingen, die Gesetze brechen und gewalttätig werden, müsse man entschieden begegnen: "Man muss den Leuten die Regeln erklären. Gleichzeitig muss man aber auch klar machen, dass diese Regeln tatsächlich auch gelten und dass ihre Verletzungen nicht toleriert werden."
Gegenüber Gewalt und Intoleranz dürfe man keine Toleranz zeigen. "Deshalb ist die Frage der Wertevermittlung immer massiv verbunden mit sehr klaren Regeln. Und mit Grenzen, die man aufweisen muss."
Die Integration, so sieht es Nouripour, folgt einigen wenigen Leitideen. In allererster Linie müssten sich die Flüchtlinge an Recht und Gesetz halten. Auch müssten sie sich anstrengen, um die Chancen, die ihnen das Land biete, zu nutzen. Dazu müsse auch die Aufnahmegesellschaft etwas beitragen - allerdings: "Da geht es nicht darum, dass wir die ganze Zeit Rundumbetreuungspakete abliefern, das ist weder der Job, noch sinnvoll für diese Gesellschaft." Darüber hinaus könnten die Menschen machen, was ihnen beliebe.