Philip Glass' Oper "Echnaton": Monotheismus und Gewalt
12. März 2018In der Oper "Echnaton", die erstmals 1984 über die Bretter ging, geht es um den gleichnamigen ägyptischen Pharao und Ehemann von Nofretete, der während seiner Herrschaft im 14. Jahrhundert vor Christi eine neue monotheistische Religion mittels Gewalt durchsetzte. In der musikalischen Erzählung des amerikanischen Komponisten Philip Glass verliert der Pharao und Prophet des Sonnengottes Amun das Vertrauen seiner Untergebenen und wird nach 17-jähriger Herrschaft durch einen Volksaufstand abgesetzt. In der zweieinhalbstündigen Oper, die noch bis zum 28. Juni 2018 im Theater Bonn zu sehen ist, werden die zentralen Figuren nur grob skizziert; zur feierlichen Musik von Glass singen sie Texte in ägyptischer, akkadischer, aramäischer und deutscher Sprache.
Da die Oper keine Handlung im eigentlichen Sinne hat, lässt sie Spielraum für Interpretationen. Die Regisseurin und Choreografin Laura Scozzi fokussiert sich auf ein Kernthema des 21. Jahrhunderts: religiöser Dogmatismus und seine Auswirkung auf historische Gesellschaften und die heutige Welt.
Anstatt die vom Countertenor dargestellte Titelfigur ins Zentrum zu stellen, wird die Szene von einer jungen Tänzerin beherrscht. Die Ebenen der Zeit vermischen sich, das von der Tänzerin dargestellte verhaltensgestörte Schulmädchen verliebt sich in den Pharao und wird zur waffentragenden, fanatischen Anhänger seiner Religion. Am Hofe des Herrschers folgt sie ihm schließlich bis in den Tod.
Kostüme und Szene der bunt-schillernden Inszenierung sind sowohl historisierend als auch neu; man sieht etwa ein modernes Klassen- oder Wohnzimmer und gleichzeitig altägyptische Gräber auf der Unterbühne. Während Echnaton das Wort Gottes von einem großen Bauwerk aus verkündet, wird die Fassade durch Videotechnik zerstört und immer wieder neu aufgebaut, um eine Synagoge, eine altchristliche Kirche oder ein Moschee darzustellen; indessen künden Graffitimaler mit ihren Sprühdosen von der Überlegenheit ihres jeweiligen Gottes.
Im DW-Gespräch erklärt die Regisseurin Laura Scozzi das Konzept der Produktion und ihren Interpretationsansatz beim Musiktheater.
Interview mit der Laura Scozzi, Regisseurin von "Echnaton"
Deutsche Welle: Muss man die Oper "Echnaton" von Philip Glass gut kennen, um Ihre Deutung zu verstehen?
Laura Scozzi: Eigentlich nicht. Ich habe eine neue Geschichte erfunden. Es gibt natürlich den geistigen Rahmen, aber mir geht es darum, das Publikum auf der emotionalen Ebene zu erreichen.
Hilft Ihnen die Musik von Philip Glass dabei?
Seine Musik ist für mich sehr nah am Leben selbst. Sie hat etwas stets Vorwärtsdrängendes, wie ein Lebenskreislauf. Es steckt eine unglaubliche Energie drin, die sich dann auch in den Bewegungen der Tänzer ausdrückt.
Sie konzentrieren sich auf ein zeitloses Thema, das uns aber auch heute viel beschäftigt: die Religion. Was ist Ihr Kerngedanke dabei?
Mir scheint, dass man, sobald es einen Gott gibt, an den man glaubt, die Welt einteilt in die, die an diesen Gott glauben, und die anderen, die dies nicht tun. Und das sind die Feinde, die man bekämpfen muss. Dann verändern sich die Botschaften von Liebe und Brüderlichkeit in Hassbotschaften. Es geht mir um die unterschiedliche Art und Weise, wie man einen religiösen Text deuten kann. Wie man auf einen Text schaut, hängt zum Beispiel davon ab, an welchem Punkt man gerade in seiner Lebensentwicklung steht. Botschaften von Liebe und Botschaften vom heiligen Krieg oder andere, die mit Gewalt verbunden sind, sind immer gleichzeitig vorhanden. Je nachdem, wer die Texte liest und wie man sie interpretiert, gibt es sehr viel Spielraum für unterschiedliche Auslegungen.
Welche Rolle spielt die historische Figur Echnaton dabei?
Ursprünglich steht er für ein eher kosmologisches Religionsbild. Der Sonnengott wird dann personifiziert. Echnaton sagt: "Er sprach zu mir." Aus der Sonnenscheibe wird also ein individueller Gott. Und das macht die Religion im Stück natürlich vergleichbar mit den großen drei monotheistischen Religionen - aber eher auf exemplarischer Ebene.
Muss man ein historisches Sujet in modernen Bildern erzählen, damit die Menschen von heute es begreifen können?
Eine heutige Theaterinszenierung muss selbstverständlich in irgendeiner Art und Weise auf das reagieren, was wir heute in unserer Gesellschaft erleben und was uns bewegt. Auf der anderen Seite heißt das Stück natürlich "Echnaton", und wir kommen nicht umhin, diese historische Figur, die vor 3000 Jahren gelebt hat, auch zu behandeln. Für mich ist es wichtig, das Stück zu hinterfragen und Elemente aus der heutigen Welt darin zu suchen.
Wie reagieren die Zuschauer?
Ich spüre ihre Reaktion gewaltig. Und sie ist nicht immer positiv. Was Inszenierung, Tanz, Oper oder Theater betrifft, ist Deutschland das Land der Avantgarde schlechthin. Auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Mir kommt es aber vor, als ob die Oper doch noch als zu heilig empfunden wird. Sie ist wie ein Riesenelefant, den man ungern anfasst und bewegt. Aber wenn es darum geht, die Kunst voranzubringen, ist die Missachtung oder die Verletzung von Regeln ganz wichtig. Nur so kann die Kunst sich weiterentwickeln.
Laura Scozzi, die 1964 in Mailand geboren wurde, begann ihre Karriere als Tänzerin und Choreografin. In den letzten Jahren tritt sie als anerkannte Regisseurin auf beiden Seiten des Atlantiks hervor und arbeitet weiterhin eng mit Tänzerinnen und Tänzern zusammen. In ihren bildstarken Produktionen spricht sie oft provokative oder kontroverse Themen an, etwa Flucht oder Religion.
Mit Laura Scozzi sprach Rick Fulker.