Schock über Mord an Nemzow
28. Februar 2015Boris Nemzow starb in der Nähe des Kremls, dessen Herrscher er als "Lügner" beschimpfte und dessen "gelenkte Demokratie" er bekämpfte. Die Mörder fuhren nach Polizeiangaben in einem weißen Wagen heran. Sie schossen hinterrücks auf Nemzow, als dieser gemeinsam mit einer Bekannten die Große Steinerne Brücke über die Moskwa passierte.
Vier Kugeln trafen ihn tödlich. Mehrere Menschen sollen Augenzeugen des Verbrechens geworden sein. Wie das russische Innenministerium mitteilte, ereignete sich das Attentat am Freitagabend kurz vor Mitternacht. Noch in der Nacht legten viele Moskauer Blumen an der Brücke nieder.
"Totale Katastrophe"
Nemzow, der 55 Jahre alt wurde, war einer der führenden Köpfe der Opposition in Russland. An diesem Sonntag hätte er auf einer Großkundgebung gegen den Krieg in der Ukraine auftreten sollen.
Keine drei Stunden, bevor er ermordet wurde, übte der prominente Politiker in einem Radiointerview noch einmal scharfe Kritik an seinem Hauptgegner, Präsident Wladimir Putin: "Wenn man die Macht in den Händen eines einzigen Menschen konzentriert, dann kann das nur zur Katastrophe führen - zu einer totalen Katastrophe."
Putin selbst ließ über seinen Sprecher mitteilen, die Bluttat trage alle Zeichen eines Auftragsmordes. Es handele sich um eine politische "Provokation". Die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörde, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB seien angewiesen, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen.
"Kämpfer für Rechte, die allen zustehen"
US-Präsident Barack Obama verurteilte den "brutalen und bösartigen Mord". In einer Erklärung des Weißen Hauses heißt es: "Wir rufen die russische Regierung zu raschen, überparteilichen und transparenten Ermittlungen auf." Nemzow habe sich dafür eingesetzt, "dass seine Mitbürger die Rechte erhalten, die allen Menschen zustehen".
Erschüttert zeigte sich auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Nemzow "war eine Brücke zwischen der Ukraine und Russland, und diese Brücke wurde von den Schüssen eines Mörders zerstört", schrieb Poroschenko auf Facebook.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande verteilten die Tat ebenfalls und würdigten Nemzows Einsatz für die Demokratie.
"Der Mord ist keine Überraschung"
Nach Informationen des früheren georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili hatte Nemzow an einem Bericht über die russische Verstrickung in den Krieg in der Ostukraine gearbeitet. Er habe die russische Öffentlichkeit informieren wollen, sagte Saakaschwili dem US-Sender CNN. Die Ermordung Nemzows sei für ihn keine Überrschung. "Ich bin nur überrascht, dass er nicht schon früher getötet wurde."
Wie kaum jemand in der russischen Opposition galt der sportliche und attraktive Nemzow als großer Charismatiker. Der promovierte Physiker war für viele Russen aber auch Inbegriff der chaotischen 1990er Jahre. Der damalige Präsident Boris Jelzin hatte den liberalen Reformer, der zunächst Gouverneur in Nischni Nowgorod war, nach Kräften gefördert. 1997 wurde Nemzow zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Im folgenden Jahr schied er aus der Regierung aus.
Allgegenwart des Präsidenten
Während sich viele seiner Mitstreiter mit dem "System Putin" arrangierten, hielt Nemzow kritische Distanz zum Kreml. Den Einschüchterungen durch die Behörden hatte er immer wieder getrotzt. Weil er gegen Haftstrafen für Putin-Gegner auf die Straße gegangen war, wurde er vor einem Jahr selbst zu mehreren Tagen Gefängnis verurteilt.
Doch Nemzows Bemühungen um politischen Einfluss blieben begrenzt. Immer wieder sah er sich dem Vorwurf ausgesetzt, die zersplitterte Opposition in Russland nicht einen zu können. Er selbst führte dies auch auf die Allgegenwart des Präsidenten in den Medien zurück. "Wer kann schon populär sein", sagte er einmal in einem Interview, "wenn im Fernsehen immer nur Putin gezeigt wird?"
Nach dem Mord an der Kreml-kritischen Journalistin Anna Politkowskaja im Jahr 2006 wurde mit Nemzow die zweite bekannte Figur der Opposition in der mittlerweile 15-jährigen Amtszeit Putins getötet. Weitere Regierungsgegner starben unter ungeklärten Umständen, so der frühere Sowjet-Spion Alexander Litwinenko und der Oligarch Boris Beresowski. Der frühere Chef des Öl-Konzerns Yukos, Michail Chodorkowski, saß jahrelang in Haft. Der kritische Blogger Alexej Nawalny wird ebenfalls festgehalten. Andere bekannte Oppositionelle wie der frühere Schachweltmeister Garry Kasparow gingen ins Ausland.
jj/sti (dpa, apf, rtr, munzinger)