"Orbán sät Hass in Ungarn"
20. April 2018DW: Die regierungsnahe Zeitung "Magyar Idök" aus Ungarn hat eine Liste veröffentlicht mit Namen von Ungarn-Korrespondenten. Dort fällt auch Ihr Name und sie werden heftig angegriffen. Wie haben Sie erfahren, dass dort über sie hergezogen wird?
Keno Verseck: Ich lese die Zeitung regelmäßig. In diesem Fall hat mir aber ein ungarischer Freund den Link des Artikels geschickt. Wenn man sich diesen Artikel durchliest, dann wird einem etwas mulmig. Es ist kein gekennzeichneter Meinungsartikel oder ein Hintergrundbericht, in dem jemand konkrete Kritik übt und sich sachlich mit etwas auseinandersetzt, sondern es ist ein leicht blutrünstiger Artikel. Und nach der Aufregung über uns Journalisten kommt dieser Absatz mit einer Auflistung von Namen und der Aufforderung an die Regierung, Maßnahmen gegen uns zu ergreifen. Das ist schon eine eigene Qualität. Zumal man sagen muss, dass die "Magyar Idök" in Ungarn das quasiamtliche Verlautbarungsmedium der Regierung ist.
Wie könnte sich das nun auf Ihre Arbeit und die der Kollegen auswirken?
In meinem Fall ist es schon seit längerem so, dass ich praktisch einen Totalboykott von Orbán und seiner Partei Fidesz erlebe: Ich bekommen keine Interviews - nicht mal auf niedrigster lokaler Ebene. Die Regierung plant aktuell, das sogenannte "Stopp-Soros"-Gesetz zu erlassen. Das sieht die Möglichkeit von Ausweisungen oder Einreiseverboten vor, wenn man in irgendeiner Form illegale Migration unterstützt. Angenommen, wir berichten dann über illegale Migration, dann könnte die Regierung auch gegen uns Einreisesperren verhängen oder uns ausweisen. Ich glaube aber, dass dieser Artikel in erster Linie ein Mittel ist, um uns einzuschüchtern.
Und sind Sie eingeschüchtert?
Ich persönlich glaube nicht, dass in der jetzigen Situation für uns wirklich Gefahr droht. Ich werde meine Arbeit weiter machen wie bisher. Allerdings bin ich seit 35 Jahren in Ungarn journalistisch tätig. Als Ende der 80er-Jahre Ungarn noch eine kommunistische Diktatur war und ich das erste Mal dort journalistisch recherchierte, war das Klima nicht so furchterregend wie heute. Heute erlebe ich als Journalist, dass Leute zutiefst eingeschüchtert sind. Kaum jemand will seinen Namen nennen, wenn man sich als Journalist vorstellt. Die meisten gehen einfach wortlos vorbei. Andere sagen ganz kurz etwas. Wenn jemand redet, dann ist es so gut wie immer ohne den Namen. Und ab und zu wird man sogar beschimpft. Es ist ein sehr unangenehmes, trauriges Klima, in erster Linie für Ungarn und die Menschen im Land.
Viktor Orbán ist kürzlich ziemlich fulminant wiedergewählt worden. Nutzt er diese Kraft nun für einen Feldzug gegen die Zivilgesellschaft?
Ja, das denke ich schon. Es gibt zwar die Hoffnung in diplomatischen Kreisen, dass sich Orbán jetzt nach diesem überwältigenden Wahlsieg etwas pragmatischer gibt. Die Realität sieht etwas anders aus: Vier Tage nach der Wahl hat eine andere regierungsnahe Wochenzeitung die sogenannten "Soros-Söldner"-Liste veröffentlicht. Da stehen über 200 Namen drauf. Viktor Orbán hat die Veröffentlichung der Liste nun auch verteidigt. Nun gibt es diesen Artikel über uns Auslandskorrespondenten - über unabhängige Journalisten, deren Berichterstattung die Orbán-Regierung offenbar als schmerzhaft empfindet. All das deutet nicht darauf hin, dass es irgendwie eine Entspannung gibt oder irgendeine Art von Pragmatismus einkehrt. Sondern im Gegenteil: dass jetzt noch mal die Zügel angezogen werden oder Orbán zeigen möchte, wie mächtig er ist.
Was passiert mit der ungarischen Gesellschaft momentan, wenn Orbán zunehmend zivilgesellschaftliche Akteure unter Druck setzt?
Ich habe lange in Ungarn gelebt. Ich spreche diese Sprache, und Ungarn ist auch Teil meines Lebens und meiner Identität. Deshalb macht mich die Entwicklung sehr traurig. Ich denke, dass Orbán und seine Partei - wobei Orbán ja in großem Maße die Partei ist - das öffentliche Klima vergiften und Hass säen. Das kann auf Dauer diesem Land nicht guttun. Und man sieht es auch: Ungarn gleitet ab in Vorurteile, und Orbán spaltet das Land. Und diejenigen, die sich machtlos fühlen oder die keine Mittel mehr sehen, dagegen anzugehen, verlassen das Land.
Keno Verseck ist freier Journalist und schreibt regelmäßig für Spiegel-Online und für die Deutsche Welle über Mittel- und Südosteuropa.