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Experte: Saudische Kulturoffensive unzulänglich

28. Februar 2018

Kino, Oper, Entertainment - der konservative Wüstenstaat wandelt sich. Davon profitieren vor allem Frauen, sagt der Saudi-Arabien-Experte Sebastian Sons. Weil der Staat sie als Arbeitskräfte braucht.

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Leinwand mit Bewegtbild in Saudi-Arabien, Jeddah.
Erste Filmvorführung seit 35 Jahren in der Hafenstadt DschiddaBild: Reuters/R. Baeshen

Deutsche Welle: Herr Sons, in Ihrem Buch "Auf Sand gebaut: Saudi-Arabien - Ein problematischer Verbündeter" nennen Sie das Land eine "Black Box", aus der kaum etwas herausdringt. Und was man hört, klingt nicht sehr vielversprechend. Steht es so schlimm um die Menschenrechte oder die Rechte von Frauen?

Sebastian Sons: Man muss unterscheiden zwischen politischer und gesellschaftlicher Öffnung in Saudi-Arabien. Wir sehen durchaus eine gesellschaftliche Öffnung, die vor allem den Frauen zugute kommt. Ihre rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren, nicht erst unter dem neuen König und dem Kronprinzen, deutlich verbessert. Der historische Höhepunkt ist jetzt die Aufhebung des Fahrverbotes für Frauen.

Aber das spielt in Saudi-Arabien gar nicht so eine große Rolle, weil es viel stärker darum geht: Wie werden Frauen besser in den Arbeitsmarkt integriert? Viele von ihnen sind sehr gut ausgebildet und wollen teilhaben am Wirtschaftsleben. Viele junge Frauen drängen darauf, auch die Geschlechterverhältnisse zu verändern. Das heißt: Hier ist vieles im Wandel und davon profitieren viele Frauen. Vor allem, weil der junge Kronprinz Mohammed bin Salman seine Politik insbesondere auch für Frauen macht. Auf der anderen Seite ist die politische Situation nicht besser geworden. Die Menschenrechtslage ist weiterhin katastrophal. Die Zahl der Todesurteile und der politisch Inhaftierten ist unter dem neuen König und seinem Sohn noch einmal deutlich angestiegen. Hier wird sehr repressiv gegen Kritiker vorgegangen, gegen Opposition, vor allem auch gegen die schiitische Minderheit im Osten des Landes. Man darf nicht in die Falle tappen, gesellschaftliche Öffnung mit politischer Öffnung gleich zu setzen.

Deutschland Sebastian Sons Experte der DGAP
Saudi-Arabien-Experte Sebastian SonsBild: DGAP

"Vision 2030" heißt der gewaltige Umbauplan des jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Er will sein Land aus der Falle der Ölabhängigkeit führen. Was genau hat er vor?

Dieses Reformprogramm soll tatsächlich das Wirtschaftssystem Saudi-Arabiens komplett neu aufstellen. Es geht zum Beispiel darum, dass man die Abhängigkeit vom Erdöl reduziert und dass man andere Wirtschaftsbereiche fördert, darunter zum Beispiel den Tourismus. Was viele nicht wissen: Die zweitwichtigste Einnahmequelle ist der Religionstourismus durch Millionen von Pilgern, die jedes Jahr nach Mekka und Medina kommen. Das soll ergänzt werden durch Kultur- und Freizeittourismus, zunächst für arabische Touristen und für Saudis selbst, die man im Land halten möchte.

Saudi Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman
Kronprinz Mohammed bin Salman Bild: Reuters/Saudi Press Agency

Hier sollen Milliarden für Projekte am Roten Meer investiert werden. Daneben wird der Entertainment-Sektor ausgebaut. Das betrifft auch die Kultur: Kinos wurden eröffnet, Konzerte werden durchgeführt, Opernhäuser sollen eröffnet werden. Auch das soll Geld im eigenen Land belassen und ausländische Investoren dazu bewegen, ihre Mitarbeiter ins Land zu schicken. Hinzu kommt ein dritter Pfeiler: Die Anziehungskraft Saudi-Arabiens soll erhöht werden. Saudi-Arabien soll attraktiv als Drehscheibe des Handels, als Standort für Investitionen werden. Das sind drei Pfeiler dieser umfassenden "Vision 2030". Zugleich geht es um Privatisierungen und um Kürzungen von Subventionen. Es geht darum, Steuern einzuführen. Für Saudi-Arabien sind das historische Änderungen, die den Gesellschaftsvertrag auf den Kopf stellen werden.

Auch die Gesellschaft möchte Mohammed bin Salman auf die neuen Zeiten einstimmen. Aber kann man solch einen Kulturbruch von oben verordnen?

In Saudi-Arabien wird vieles von oben verordnet. Aber nur dann, wenn man der Überzeugung ist, dass die Gesellschaft die Veränderungen mitträgt. Saudi-Arabien ist eine junge Gesellschaft. 70 Prozent der Menschen sind unter 30 Jahre alt. Viele von denen haben im Ausland studiert und wollen jetzt auch ein neues, freieres, offeneres Leben führen. Darauf geht der junge Kronprinz ein, der sich auch als Sprachrohr dieser jungen Gesellschaft versteht. Und bisher werden diese Änderungen sehr wohlwollend, fast schon mit Euphorie aufgenommen. Vor allem die jungen Menschen setzen ihr ganzes Vertrauen in den jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman und erhoffen sich von ihm, dass er nicht nur diese verstaubte, verkrustete Gesellschaftsstruktur aufbricht, sondern ihnen auch wirtschaftliche Partizipationsmöglichkeiten gibt.

Saudische Frau mit Sonnenbrille hinterm Steuer
Frau am Steuer: Ab Juni ist das auch in Saudi-Arabien überall erlaubtBild: DW/ T. Alsultan

Man darf auch nicht vergessen: Saudi-Arabien ist zwar durch das Öl ein reiches Land, aber nicht alle Menschen sind reich. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent. Das ist enorm. Und so ist es die Hauptaufgabe der "Vision 2030", die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen zu senken. Und wenn Mohammed bin Salman das erreicht, wird er gefeiert werden. Wenn er damit scheitert, wird die Kritik an ihm wachsen.

Aber was ist mit dem Klerus? Könnte der den Umbruch in dem streng islamischen Land wieder abwürgen, noch bevor er so richtig begonnen hat?

Es hängt stark davon ab, um welche Inhalte es geht. Bisher hört man vom Klerus weniger, als zu erwarten gewesen wäre. Das liegt auch daran, dass nicht nur in den letzten Jahren, sondern eigentlich schon in den letzten Jahrzehnten der Klerus innerhalb Saudi-Arabiens zu einer Art Juniorpartner verkommen ist, dass er also viel stärker Erfüllungsgehilfe des Königshauses ist als ein eigenständiger Akteur. Und auch im Klerus setzen sich wirtschaftliche Sichtweisen durch - etwa, dass Frauen nicht mehr daran gehindert werden dürfen, arbeiten zu gehen, weil es die saudische Wirtschaft nicht mehr aushält, wenn man einen wesentlichen Teil der Bevölkerung vom Arbeitsmarkt ausschließt. Beim Fahrverbot für Frauen hörte man weniger Kritik vom Klerus als erwartet. Aber es gibt natürlich weiter rote Linien, an die sich auch das Königshaus hält. Die Allianz mit dem wahhabitischen Klerus ist nach wie vor zu wichtig, als dass man sie komplett brechen könnte.

Bücher in einem Kulturcafé in Dschidda
Bücher in einem Kulturcafé in DschiddaBild: DW

Bis jetzt hat Deutschland teure Waffen nach Saudi-Arabien verkauft, aber in Riad existiert nur ein kleines deutsches Sprachlern-Institut. Ist die Zeit reif für ein ausgewachsenes Goethe-Institut?

Ja, die Zeit ist definitiv reif. Deutschlands Kulturpolitik zeigt daran schon lange Interesse. Aber es wird oftmals von saudi-arabischer Seite verhindert. Nach wie vor ist es politischen Stiftungen nicht erlaubt, in Saudi-Arabien zu arbeiten, was deutsche Kulturarbeit erschwert. Aber ich meine, dass man Initiativen auch ohne die traditionellen deutschen Kulturinstitute starten kann. Zum Beispiel gibt es Initiativen, die saudische und iranische Staatsbürger an einen Tisch bringen, um in Zeiten dieses Konfliktes miteinander zu diskutieren. Daran sind deutsche NGOs beteiligt. Man braucht dafür Geduld und ein starkes Nervenkostüm. Aber wenn man Kontakte in der saudischen Zivilgesellschaft hat und nicht nur im Königshaus, dann kann man verstehen, was in diesem Land passiert. Saudi-Arabien ist schlichtweg zu wichtig, als dass man es kulturell ignorieren könnte.

Der Islamwissenschaftler und Historiker Sebastian Sons ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Mit ihm sprach Stefan Dege.