Oscarpreisträger von Donnersmarck fordert Film-Quote
30. März 2015"Kino!" heißt schlicht und ergreifend ein Buch über seine Leidenschaft, das Kino. Florian Henckel von Donnersmarck hat in den vergangenen Jahren immer wieder über einzelne Aspekte des Films geschrieben, in Zeitungen und Monatsmagazinen veröffentlicht. Der Suhrkamp-Verlag hat diese Aufsätze jetzt herausgegeben. Nachzulesen sind dort Ansichten eines Regisseurs, der in den letzten zehn Jahren nur zwei Filme gedreht hat, aber reichlich Erfahrungen in der Welt des Kinos sammeln konnte.
In Hollywood bekam er für sein Debüt, das Stasi-Drama "Das Leben der Anderen", einen Oscar. Danach drehte er in Amerika mit den Weltstars Angelina Jolie und Johnny Depp "The Tourist". Von Donnersmarck ist eine singuläre Erscheinung innerhalb der deutschen Kinoszene. Seine Ansichten über Hollywood und den deutschen Film, über Sprache und Kultur, lassen aufhorchen. Wir trafen den Regisseur zum Gespräch.
Deutsche Welle: Herr von Donnersmarck, das Jahr 1977, Sie waren vier Jahre alt, wurde für Sie zu einem entscheidenden Jahr. Sie entdeckten das Kino. Wie kam es dazu?
Florian Henckel von Donnersmarck: Mit vier Jahren bin ich versehentlich in einen Film hineingeraten, den ich eigentlich gar nicht sehen sollte. Mein Vater dachte, es würde "Dr. Dolittle und seine Tiere" gezeigt werden, de facto brachte das Filmmuseum des "Museum of Modern Art" in New York, wo wir den Film sehen sollten, "Varieté" von E. A. Dupont, ein Drama um Mord, Erotik und Eifersucht im Artistenmilieu. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Es ist ja eigentlich immer das Interessanteste für Kinder, verbotene Sachen zu sehen. Und das in voller Größe auf der Leinwand zu erleben! Mit vier Jahren genau die Sachen, über die sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde, zu erleben: Das war sehr aufregend!
Literatur galt als wichtiger...
Bei Ihrer Arbeit lassen Sie sich - darauf stößt man immer wieder in Ihrem Buch - nicht nur vom Kino inspirieren. Auch die klassische Hochkultur spielt eine wichtige Rolle. Sie haben einmal gesagt, bei Ihren Eltern hätten Sie mit einem Film nicht punkten können, wohl aber mit einem Buch, das beim Suhrkamp-Verlag erscheint. Dazu ist es ja jetzt gekommen. Was meinen Sie damit?
Das war ein Scherz, der aber, wie alle Scherze auch etwas Wahrheit enthält: Film galt bei meinen Eltern viel weniger als Literatur. Man wusste zwar von Hitchcock und Bergman, die wirklichen Größen aber hießen Bertolt Brecht und Max Frisch. Daher hat das Buch zu "Das Leben der Anderen", das ich bei deren Verlag veröffentlicht habe, meinen Eltern wahrscheinlich mehr gesagt als der Film.
Warum haben Sie das Buch geschrieben? Was gefällt Ihnen am Schreiben?
Ich finde das Schöne beim Schreiben ist, dass man sich über seine eigenen Gedanken klar wird. Es gab einige Thesen zum Kino, die ich für mich selbst prüfen wollte. Und eigentlich weiß man erst, ob man etwas wirklich bis zu Ende durchdacht hat, wenn man es aufgeschrieben hat und der Gedanke auch in geschriebener Form bestehen kann. Ich wollte auch für mich herausfinden, was es eigentlich ist, was mich am Kino fasziniert. Warum mich dieses Medium nicht loslässt. Und warum ich das Gefühl habe, dass es noch relevant ist - auch in unserer heutigen Zeit.
Zwischen Hollywood und Deutschland
Sie beschreiben Ihr Verhältnis zu Hollywood als zwiespältig, schätzen einige Dinge sehr, andere weniger. Was gefällt Ihnen an Hollywood, was nicht?
Was mich an dem, was man normalerweise Hollywood nennt, fasziniert, ist, dass da wirklich Leute versuchen die große Leinwand ganz auszumalen. Das ist Rubens, was da gemacht wird. Die ganz großen Geschichten. Die ganz großen Bilder. Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, dass ein Film auch bei den Menschen, bei den Figuren bleibt. Dass die menschlichen, intimen Momente erhalten bleiben. Das ist bei den großen Hollywood-Schinken manchmal nicht so gegeben. Es gibt natürlich auch phantastische "Superhelden"-Filme, die "Spiderman"-Trilogie von Sam Raimi oder den ersten "Batman" von Tim Burton oder auch den ersten "Batman" von Christopher Nolan. Aber oft sind diese Filme auch einfach nur Digital-Spektakel. Sie berühren einen nicht.
Was fehlt denn hier in Deutschland? Woran liegt es, dass der deutsche Film - bei allen Stärken und der Vielfalt - vielleicht nicht genügend Beachtung findet?
Eigentlich haben wir in Deutschland die besten Startbedingungen, wirklich großes Kino zu machen. Man muss auch sagen, bis zum Ende der Stummfilmzeit war Deutschland für Hollywood der größte und wichtigste Konkurrent. Ich glaube, dass das wieder so werden könnte. Wir haben einfach fabelhafte Schauspieler hier, die ihre Kunst auf den vielen Bühnen in öffentlicher Trägerschaft erproben können. Wir haben eine sehr gut funktionierende Filmförderung. Wir haben auch sehr gute Filmemacher.
Nur ist es halt so, dass die Filme die hier hergestellt werden, oft gar nicht so richtig in die Kinos kommen. Wir haben gar keine Möglichkeit in Deutschland die guten deutschen Filme zu entdecken. Weil die Amerikaner mit ihrer große Marktmacht, von der ich ja in meinem Leben sehr stark profitiert habe, in wirklich jeden kleinsten Saal drängen. Und deshalb denke ich, dass wir uns ein bisschen an den Franzosen orientieren sollten und einen Raum schaffen sollten, in dem deutsche Filme auch gezeigt werden können.
"Eine Art von Kulturquote"
Das wäre dann vielleicht eine Art von Kulturquote, wo man also sagt, wenn ein Kino zwölf Leinwände hat, dann müssen eben zwei oder drei davon von kulturell hochstehenden deutschsprachigen Filmen bespielt werden. Und vielleicht weitere zwei oder drei von anderen europäischen Filmen. Das halbe Schlachtfeld gehörte dann immer noch den Amerikanern. Und es wäre ja dann nicht so, dass der Staat vorschreiben sollte, welche Filme gespielt werden. Die Kinobetreiber könnten sich das dann natürlich aussuchen. Aber wir müssen den Kinogängern hierzulande die Möglichkeit geben, das deutsche und das europäische Kino zu entdecken.
Sie schreiben, dass sich durch diese Verhältnisse in Deutschland und in Amerika eine sehr unterschiedliche Kinobesuchskultur entwickelt hat.
Ja. Ein Amerikaner geht durchschnittlich drei Mal so viel ins Kino wie ein Deutscher. Woran liegt das? Die Amerikaner sind ja nicht andere Menschen als wir. Es liegt daran, dass viele der großen amerikanischen Filme eben amerikanische Geschichten erzählen. Und man sieht halt lieber seine eigenen Geschichten auf der Leinwand. Die Superhelden sind nun einmal nicht unsere Mythologie. Wir haben unsere eigene Mythologie.
Patriotismus für das Kino
Sie sprechen in einem Aufsatz diesbezüglich von "Patrioten des Film". Was ist nötig, damit auch wir Deutsche solche Patrioten werden?
Mit dem Wort in dem Text meine ich, dass die vermeintlich amerikanisch-patriotischen Filme von deutschen Regisseuren - etwa "Air Force One" und "Independence Day" - nicht als Anbiederung von Wolfgang Petersen und Roland Emmerich bei den Amerikanern zu verstehen sind, sondern so, dass Amerika für uns Deutsche halt das Land des Kinos ist. Und der amerikanische Präsident für sie mehr eine Art Kino-Symbol ist, als der Regierungs- und Staatschef eines echten Landes. Ihr "Patriotismus" für Amerika ist in Wirklichkeit ein Patriotismus für die Welt des Films.
Gleichzeitig scheint mir aber, dass Sie es bedauern, dass auch in Europa ein solches Gewicht auf amerikanische Kultur gelegt wird.
Mich macht es einfach ein bisschen traurig, wenn ich mit Jugendlichen spreche und die wirklich nur amerikanische Schauspieler, nur amerikanische Rock-Bands, nur amerikanische Fernsehserien kennen. Ich frag mich dann oft: Ja, seht Ihr denn nicht, dass wir damit auf dem Weg sind, uns zu einem amerikanischen Vasallen-Staat zu entwickeln? Ich wünsch mir einfach, dass wir vielleicht das kulturelle Selbstbewusstsein der Franzosen auch hier entwickeln können.
Florian Henckel von Donnersmarck: Kino!, mit zehn Illustrationen von Adam Batchelor, Suhrkamp 2015, 18 Seiten, ISBN 978-3-518-46513-4.