Osteuropa auf Gegenkurs
16. März 2016Ungarns Premierminister Viktor Orban bleibt die Speerspitze der sogenannten Visegrad-Staaten im Kampf gegen eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik. Zwei Tage vor dem EU-Gipfel hat Orban in seiner Rede zum ungarischen Nationalfeiertag seine Position in der Flüchtlingskrise erneut bekräftigt. Eine Umverteilung von Migranten aus der Türkei nach Europa würde er nicht akzeptieren, sagte er. Über zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen inzwischen seine harte Haltung in der Flüchtlingspolitik. Orban will in einem Referendum darüber entscheiden lassen, ob die Ungarn den EU-Verteilungsquoten zustimmen.
"Keine Illusionen über die politische Agenda"
Ähnliche Positionen gibt es auch in anderen osteuropäischen Staaten, vor allem in Tschechien und der Slowakei. Daher habe er Bedenken über einen Erfolg des bevorstehenden EU-Gipfels, sagt der österreichische Südosteuropa-Experte Gerald Knaus in einem DW-Interview. Eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise werde es nur beschränkt geben, so Knaus, der die Denkfabrik "Europäische Stabilitätsinitiative" (ESI) leitet. Vor allem das "Lobbying" des ungarischen Premierministers habe dazu geführt, dass inzwischen mehrere Länder dessen Politik übernommen hätten.
"Wenn Orban und andere dann am Rand stehen und das sabotieren wollen, weil sie eine andere politische Vision haben von der Zukunft des Flüchtlingsrechts, von der Zukunft Europas, dann kann man sich das nur merken für die Zukunft und darf keine Illusionen haben über die politische Agenda, die dahinter steht", so Knaus. "Aber das darf einen nicht aufhalten."
Rumänien zögerlich willig
In Brüssel hofft man dennoch auf eine Kompromisslösung. Einige osteuropäische EU-Staaten - wie Rumänien oder Bulgarien - wollen die Position Orbans nicht mittragen. Allerdings ist auch die Ausgangslage eine andere. Rumänien ist bisherkein "Eldorado" für Flüchtlinge. Das Land gehört nicht zum Schengen-Raum und der Lebensstandard ist verhältnismäßig niedrig. Rumänien liegt auch nicht an der "klassischen" Balkan-Route, ist also auch als mögliches Transitland bisher nicht attraktiv gewesen. Dennoch gibt es Pläne zur zusätzlichen Sicherung der Grenzen, sollten sich die Flüchtlinge infolge der Grenzschließungen auf dem Balkan über neue Umwege - und dann auch über Rumänien - nach Westeuropa auf den Weg machen.
Im September 2015 hat sich Rumänien - ähnlich wie die vier Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei ("Vierergruppe") - gegen eine verpflichtende Flüchtlingsquote ausgesprochen, sich aber nicht generell gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen gesperrt. Deren Verteilung müsse aber nach Ansicht des rumänischen Premierministers Dacian Ciolos auf freiwilliger Basis geschehen, abhängig von den realen Möglichkeiten der Staaten, Migranten aufzunehmen und zu integrieren.
Anfang März sind die ersten 15 Flüchtlinge aus einem Hotspot in Griechenland in Rumänien angekommen. Insgesamt hat das Land die Aufnahme von 6351 Flüchtlingen zugesagt. In der Bevölkerung ist dies nicht unumstritten. In einer Umfrage von Ende 2015 haben sich 75 Prozent der Befragten dagegen ausgesprochen. Andererseits werden humanitäre Leistungen für Kriegsflüchtlinge aus Syrien von einer Mehrheit akzeptiert.
Fremdenfeindlichkeit in Bulgarien
Als Transitland sieht sich Bulgarien mit anderen Problemen konfrontiert. Zurzeit kommen monatlich etwa 1500 Flüchtlinge ins Land, hauptsächlich aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Sie wollen meist weiter über Serbien nach Westeuropa reisen. Bulgarien gilt als mögliche Ausweichroute für Flüchtlinge, doch sie sind dort nicht willkommen. In einem arabischen "Flüchtlingshandbuch" rangiert Bulgarien auf Platz eins unter den Ländern, die die Asylbewerber meiden sollten. Fremdenhass und Islamophobie seien in Bulgarien weit verbreitet, heißt es dort.
Die bulgarische Regierung akzeptiert zwar die Quotenregelung und ist bereit, die rund 1600 EU-Quoten-Flüchtlinge zu übernehmen, der Großteil der Bevölkerung lehnt die Flüchtlinge allerdings ab. Über zehntausend Menschen aus mehrheitlich islamischen Ländern kamen mit der ersten Flüchtlingswelle der Jahre 2013/14 nach Bulgarien. Sie berichteten häufig über eine schlechte Behandlung seitens der bulgarischen Behörden und der Bevölkerung insgesamt. Diese Berichte wurden von Menschenrechtlern - auch von ProAsyl - veröffentlicht.
Polen wollen keine Flüchtlinge
Polen war noch unter der alten Regierung das einzige Visegrad-Land, das sich im letzten Moment nicht an die Abmachung der "Vierergruppe" hielt. Ähnlich wie Rumänien verpflichtete sich das Land noch im Herbst 2015 zur Aufnahme von rund 7500 Flüchtlingen im Rahmen des europäischen Quoten-Verteilungssystems. Zuvor schon, im Juni 2015, war die damalige liberale polnische Regierung ebenfalls bereit gewesen, sich an der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu beteiligen - mit der Aufnahme von 4000 Flüchtlingen. Die neue national-konservative Regierung in Warschau sieht die Beschlüsse von damals kritisch, doch trotz der entsprechenden Rhetorik will sie sich an die Zusagen halten. Bis Ende März 2016 sollen die ersten hundert Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in Polen ankommen. Alle sollen "sorgfältig überprüft werden", kündigte Premierministerin Beata Szydlo an. Bei neuen Entscheidungen auf europäischer Ebene ist Polen aber gegen die Flüchtlingsquoten und die zusätzliche Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen.
Auch in Polen ist die Gesellschaft in der Flüchtlingsfrage gespalten. Laut Umfragen von Ende 2015 waren 73 Prozent der Befragten der Meinung, Polen könne sich die Aufnahme von Flüchtlingen nicht leisten. Gleichzeitig aber waren 53 Prozent dafür, dass sich ihr Land als EU-Mitglied an der europäischen Lösung des Problems beteiligen soll.
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise hängt jetzt wesentlich davon ab, ob alle Beteiligten sich an die Abmachungen halten. Davon ist auch der Südosteuropa-Experte Knaus überzeugt: "Gelingt der Deal mit der Türkei, dann beruhigt sich auch Resteuropa."