Osteuropa: Gelobtes Land für chinesische Investitionen?
16. Dezember 2014Money never sleeps - Geld schläft nicht, oder sollte zumindest nicht schlafen. Nur wenn es in Bewegung ist, kann es fleißig Rendite und Zinsen produzieren. Diese Weisheit der Broker und Finanzberater kennt man in Peking sehr gut - und wendet sie auch vorbildlich an. Chinas gigantische Devisenreserven erreichen fast vier Billionen US-Dollar. "Das Wachstum in China hat sich etwas verlangsamt. In dieser Situation versucht Peking, die heimische Wirtschaft anzukurbeln, statt das Kapital in den Anleihen verschiedener Staaten zu halten", meint der Belgrader Experte für Auslandsinvestitionen Milan Kovačević.
Ausgerechnet in der serbischen Hauptstadt trifft sich ab Dienstag der chinesische Premierminister Li Keqiang mit den Staats- und Regierungschefs von 16 mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE). Der postkommunistische Raum vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer und der Adria wird zum gelobten Land für chinesische Investitionen und Exporte. Die Politiker aus elf sogenannten "neuen" EU-Mitgliedern und fünf EU-Anwärtern wollen die fernöstliche Geldquelle gerne anzapfen. "Diese Länder können auch vom chinesischen ökonomischen Expansionsdrang profitieren", so Kovačević gegenüber der DW.
Handelsvolumen noch bescheiden
Nach Budapest, Warschau und Bukarest ist das Treffen in Belgrad schon der vierte Gipfel der Gruppe 16+1 (MOE plus China). Doch das Handelsvolumen von China und der MOE-Region entspricht mit etwa 43 Milliarden Euro im Jahr gerade mal dem von China und Italien. "Der Handelsvolumen ist zwar noch niedrig, steigt aber enorm", kontert der Experte für Makroökonomie Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. In der Tat verzehnfachte sich der Warenaustausch in der letzten Dekade. Luft nach oben gibt es noch: In Peking erwartet man, dass das Volumen in wenigen Jahren bei mehr als 100 Milliarden Euro liegen wird.
Aus Sicht der MOE-Länder ist die Kooperation mit China nicht immer rosig, denn der Handel ist extrem asymmetrisch zugunsten des asiatischen Exportriesen. "Es ist schwer, aus Europa nach China zu exportieren. Die entwickelten europäischen Länder haben die dortige Konkurrenz mit Maschinen und Technik gefüttert - und das war alles", sagt Kovačević. Es sei fast unmöglich, den Chinesen Konsumgüter zu verkaufen und sich gegen ihre niedrigen Preise durchzusetzen, die auf geringe Löhne zurückzuführen sind. Christian Dreger hingegen sieht die Chance zuerst im Agrarbereich. "Durch die chinesischen Investitionen wird man auch bei industriellen Produkten allmählich vorankommen", fügt der Ökonom hinzu, der auch an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften in Peking forscht.
Dreger und Kovačević sind sich einig, dass die Zusammenarbeit der MOE-Länder mit China rein ökonomisch motiviert sei. Das sehen einige EU-Politiker anders. China spiele die europäischen Staaten gegeneinander aus, sagte der frühere EU-Handelskommissar Karel de Gucht. In einer Analyse für das "European Institute for Asian Studies" aus Bratislava schrieb der Asien-Experte Richard Turcsányi, die Gruppe 16+1 sei keinesfalls gegen die EU gerichtet, obwohl sie Brüssel umgehe. "Weder China noch die MOE-Staaten haben die Motivation, die EU zu schwächen. Anstatt ihre Partner ohne plausible Argumente zu kritisieren, sollten die westeuropäischen Länder diese lieber verstehen", schreibt Turcsányi.
Das "Brücken-Phänomen"
Das dreitägige Treffen in Belgrad dürfte ähnlich wie das letzte in Bukarest ablaufen: Die Vertreter der MOE-Länder legen diverse Projekte vor und hoffen, die Aufmerksamkeit der chinesischen Regierung oder der Wirtschaftsbosse auf sich zu ziehen. Allein im Jahr 2013 Jahr standen beispielsweise 50 Vorschläge auf dem Wunschzettel der serbischen Regierung. In den vergangenen Jahren ging es bei den Treffen zwischen China und den MOE-Ländern um Infrastruktur- und Prestigeprojekte in Milliardenhöhe: zum Beispiel die Eisenbahnstrecke Belgrad-Budapest, Autobahnabschnitte in Montenegro, Atomreaktoren in Rumänien, die Chemieindustrie in Ungarn oder Häfen in Kroatien und Bulgarien.
Doch auch diese Geschäfte sind in erster Linie für den Geldgeber China von Vorteil. Das zeigt sich an dem Beispiel der Donau-Brücke in Belgrad, die am Mittwoch feierlich eröffnet werden soll. Dafür hat eine chinesische Bank einen günstigen Kredit bereitgestellt, eine chinesische Firma ist Auftragnehmer, die Arbeiter sowie das Baumaterial kommen mehrheitlich aus China. "Man hat die Brücke praktisch importiert", gibt der serbische Experte Kovačević zu bedenken. Dabei bezahlten die chinesischen Unternehmer für dieses Projekt weder Zoll noch Steuern, bestätigte das serbische Verkehrsministerium auf Anfrage der DW.
Christian Dreger beleuchtet auch die positiven Aspekte: "Die Brücke bleibt ja in Osteuropa und verbessert prinzipiell die Erreichbarkeit von Regionen. Insofern ergeben sich auch Wachstumseffekte für die lokale Wirtschaft." Erfreut zeigte sich auch Lu Shan, Direktor der "China Road and Bridge Corporation", die einen Autobahnabschnitt in Montenegro baut. Die heimische Wirtschaft des kleinen Balkanlandes profitiere auch, sagte Shan den Journalisten: Man werde die Lebensmittel für angereiste chinesische Arbeiter schließlich in Montenegro kaufen. Traditionelle chinesische Produkte bringe man selbstverständlich aus der Heimat mit.