Ostsee-Pipeline: Keine finsteren geostrategischen Pläne
8. September 2005Es war wie immer: Der Kanzler und sein Gast aus Moskau zelebrierten ihre Freundschaft nicht nur mit Umarmungen unter Blitzlichtgewittern, sondern auch im milden Schein eines viel versprechenden ökonomischen Großprojektes. Wirtschaftsvertreter besiegelten den Vertrag für den Bau einer Gaspipeline, die von Russland aus mitten durch die Ostsee direkt nach Deutschland führen soll. Schröder und Putin gaben dazu, wie stets bei solchen Gelegenheiten, die politischen Schirmherren.
Das Pipeline-Projekt ist ein milliardenschweres Vorhaben mit guten ökonomischen Aussichten und schwierigen politischen Implikationen. Der Kanzler sichert für Deutschlands Energieversorgung ein Stück Zukunft. Die beteiligten Unternehmen freuen sich auf Investitionen und Gewinne. Die russische Seite hat, ehe eine mögliche neue Bundesregierung sich anders besinnen konnte, noch rasch Nägel mit Köpfen gemacht.
Internationale Proteste
In Polen, den baltischen Staaten und der ohnehin derzeit schwer gebeutelten Ukraine ist man verständlicherweise empört. Man fühlt sich von den Großen ausmanövriert. Bislang nämlich floss russisches Erdgas über diese beiden Länder nach Deutschland. Dafür hat man Transitgebühren erheben können. In Warschau versteigt man sich freilich jetzt sogar zu Formulierungen wie "Putin-Schröder-Pakt". Und das erinnert dann doch fatal an den berüchtigten Pakt zwischen Hitler und Stalin. Auch Litauen zeigt sich alarmiert, spricht von angeblich drohenden Plänen zur Veränderung der politischen Landkarte Europas, die im Gewande der russisch-deutschen Energie-Allianz daherkämen.
Bei allem Verständnis für die Ängste und Sorgen der betroffenen Staaten: Diese Vermutungen gehen zu weit. Schröder mag es an politischem Feingefühl und Rücksichtnahme auf die Sorgen der kleineren Partner mangeln. Putin wiederum will ganz gewiss mit dem vorteilhaften Deal auch den unbotmäßigen Nachbarn, über die er sich so oft ärgern musste, eins auswischen. Dass hier aber finstere geostrategische Pläne zum Nachteil der neuen EU-Mitglieder geschmiedet würden, entbehrt der politischen Realität.
Bilanz einer politischen Freundschaft
Der Bundeskanzler nutzte, so kurz vor der Wahl, die feierliche Vertragsunterzeichnung, um eine positive Bilanz der deutsch-russischen Beziehungen zu ziehen. Ein Hauch von Abschied kam dabei auf. Es war, wenn der 18. September nicht eine ganz große Überraschung bringt, wohl das letzte Mal, dass Schröder seinem Gast als Kanzler gegenübertrat.
Fünf Jahre lang hat man sich, anlässlich politischer Gipfeltreffen ebenso wie bei Schlittenfahrten oder gemeinsamen Geburtstagsfeiern, bestens verstanden. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist hervorragend - das ist nicht wenig angesichts einer mit Millionen Toten belasteten Geschichte. Schröder und Putin sprachen nicht nur politisch eine gemeinsame Sprache, sondern sie haben sich auf Deutsch unterhalten können - in der Diplomatie ein großer Vorteil.
Geflissentlich übersah Gerhard Schröder freilich in diesen Jahren alles, was die schöne Harmonie hätte stören können: Den Bürgerkrieg in Tschetschenien ebenso wie die rechtsstaatlichen Defizite in Russland, die Einschränkungen der Pressefreiheit wie den Ausbau der autoritären, vom Präsidenten beherrschten Machtstruktur. Putin war und ist für diesen Kanzler eben der lupenreine Demokrat. Noch heute zollte er seinem Freund Respekt mit dem bewundernden Wort von der "atemberaubenden Entwicklung in Russland".
Es bleibt ein Makel, dass Schröder die persönliche Freundschaft nicht auch genutzt hat für offene, freundschaftliche Kritik an den vom Kreml verantworteten Defiziten. Schröders Image als Anwalt der Menschenrechte ist damit beschädigt. Seine Behauptung, er verurteile nicht öffentlich, sondern rede unter vier Augen deutliche Worte, ist unglaubwürdig. Sie hat im Übrigen keine Ergebnisse gezeitigt.
Ob die Visite ein nützliches Wahlkampfgeschenk für den um seine Wiederwahl ringenden Bundeskanzler gewesen ist, ist angesichts anhaltend negativer Befunde fraglich. Putin taugt im Übrigen kaum zum Wahlhelfer, sein Image im Westen ist ohnehin nicht das Beste. In einem aber hat der Kanzler recht: Die deutsch-russischen Beziehungen müssen gepflegt werden, unabhängig vom persönlichen Verhältnis der führenden Politiker. So gesehen darf man also gespannt sein auf die Russlandpolitik einer Kanzlerin Merkel. Sie spricht übrigens russisch.
Cornelia Rabitz
DW-RADIO/Russisch, 8.9.2005, Fokus Ost-Südost