Otto Piene - "die Sonne kommt näher"
20. Juli 2014Eigentlich sollte mit der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie und der Deutschen Bank Kunst Halle Berlin: "Otto Piene - More Sky", das Frühwerk des deutsch-amerikanischen multi-media-Künstlers Otto Piene gewürdigt werden - die Aufbruchszeit der 50er, 60er und 70er Jahre, die die Kunst aus ihren Gattungen und Grenzen befreite und nachhaltig veränderte. Um es vorwegzunehmen: das ist ihr auf sehr authentische Weise gelungen. Nach der Eröffnung, inmitten der Vorbereitungen für sein "Sky Art Event", verstarb der 86-jährige Künstler ganz plötzlich in Berlin - die Schau wird so zu einer Erinnerung nicht nur an das Werk, sondern auch an den Menschen Otto Piene.
Am Leben zu sein, haben wir nicht erwartet
Als 16-Jähriger wurde Otto Piene in seiner Heimat Westfalen als Flakhelfer eingezogen. Er erlebte die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs und geriet in Gefangenschaft: "Ich war wirklich erstaunt, als der Krieg zu Ende war und uns gesagt wurde, ihr könnt bald nach Hause gehen, dass ich am Leben war. Das haben wir nicht erwartet. Und daraus wurde dieser enorme Impuls, etwas daraus zu machen, was der Mühe und des großen Rahmens wert war, nämlich eine andere, eine bessere Welt. Und das ist ja auch maßvoll gelungen, wenn auch nicht endgültig. Denn damals dachten wir, es gibt nie wieder Krieg."
Eine bessere Welt zu schaffen durch eine neue Kunst, die herkömmliche Grenzen überwindet, das blieb zeit seines Lebens Otto Pienes künstlerisches Credo. Nach den Verheerungen des Krieges und der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland empfanden in den 50er Jahren viele Künstler so: sie suchten neue, unkompromittierte Ausdrucksmittel. In der Musik etwa experimentierte Karlheinz Stockhausen erfolgreich mit Sinustönen, auch Joseph Beuys suchte in der bildenden Kunst nach neuen Wegen.
Neuanfang mit der Gruppe ZERO
1958 gründete Otto Piene gemeinsam mit Heinz Mack in Düsseldorf die Gruppe ZERO, der sich später auch Günther Uecker anschloss. Die Künstler verbanden ihren Neuanfang mit der Faszination für die natürlichen Elemente, besonders für das Licht. Die Farbe trat dabei zurück zugunsten monochromatischer, vor allem weißer Bilder und Strukturreliefs. Der studierte Zeichner und Maler Otto Piene bezog jedoch auch die Elemente Luft und Feuer als gestalterische Mittel ein: in seinen Rasterbildern beobachtete er die Lichtbrechung, in seinen Rauch- und Feuerbildern die Wirkung von Flammen. Wie er sich experimentierend schrittweise von der zweidimensionalen Leinwand in den dreidimensionalen Raum bewegte, zeigt sehr anschaulich und - wie Otto Piene kürzlich lobte - "auf pure, reine Weise" die Ausstellung in der Deutschen Bank KunstHalle.
Die 60 ausgewählten Arbeiten aus seinem Frühwerk, von 1951 bis 1977, geben einen Einblick in die Gedankenwelt des Künstlers. Deshalb bewegt man sich in der Ausstellung "wie in einem vollgestellten Labor oder einem Experimentalraum", erläutert der Kurator, Joachim Jäger, der die Neue Nationalgalerie leitet: "Nur so sieht man, wie sich aus dem einen Projekt das nächste entwickelt hat, wie letztlich alles miteinander zusammenhängt."
Ein schwebender "Regenbogen" für die Olympiade
Aufgegeben hat Otto Piene die Farbe jedoch nie. Er machte sie, im Gegenteil, sogar zum Thema, die Farben des Regenbogens. Seit 1964 arbeitete er am neu eingerichteten Center for Advanced Visual Studies am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT), im amerikanischen Boston - zuerst als Stipendiat, vier Jahre später bereits als dessen Direktor. In der damals ganz neuen, interdisziplinären Zusammenarbeit von Naturwissenschaftler, Ingenieuren und Künstlern - die es in Deutschland noch nicht gab - fand er optimale Bedingungen, um seine Visionen zu verwirklichen: temporäre, flüchtige Licht- und Luftskulpturen in den grenzenlosen Himmel aufsteigen zu lassen. "Inflatables", große aufblasbare Objekte für den öffentlichen Raum bestimmten dann jahrzehntelang die Arbeit des Künstlers international, von Tokio bis New York. Ein spannender Dokumentarfilm zeigt die aufwendige Installation des mit Helium gefüllten schwebenden "Regenbogens", den Otto Piene für die Abschlussfeier der tragisch überschatteten Olympischen Spiele, 1972, in München entworfen hatte - ein Hoffnungssymbol.
1120 handbemalte Dias bringen die Sonne näher
Die Neue Nationalgalerie zeigt - im zweiten Teil der Ausstellung - allnächtlich von 22 bis 3 Uhr Otto Pienes Dia-Performance "The Proliferation ot the Sun", ''Die Sonne kommt näher' - ein bisher "völlig unterschätztes Schlüsselwerk der 60er Jahre", wie Kurator Joachim Jäger meint. Sieben Projektoren lassen dabei 1120 vom Künstler handbemalte Dias mit abstrakten runden Formen in Regenbogenfarben erstrahlen. Die rhythmisch und visuell strukturierte Licht- und Farbschau nimmt den Zuschauer sofort für sich ein, weil sie anders wirkt als heutige Computeranimationen, authentischer. Und damit auch fragiler und vergänglicher, so wie die mit Luft gefüllten "Sterne" des "Sky Art Events", die schwankend im Wind doch noch in den Nachthimmel Berlins aufstiegen, geduldig erwartet und bewundert von tausenden Zuschauern - ein Gruß an ihren Schöpfer.