Paris ruft höchste Alarmstufe aus
5. Oktober 2020Der erste Kaffee am Morgen und das letzte Glas Wein am Abend - die Bars in Paris sind Zentren des sozialen Lebens. Von diesem Dienstag an aber müssen sie für 14 Tage schließen, um eine neue Welle von Corona-Infektionen einzudämmen. Die französische Hauptstadt ruft die höchste Alarmstufe aus und versucht mit partiellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens einen erneuten totalen Lockdown zu verhindern.
Ein Bremsmanöver für Paris
Der Polizeipräfekt von Paris nannte die neuen Regeln ein "Bremsmanöver", die Epidemie verbreite sich derzeit zu schnell. Deswegen tritt von Dienstag an eine Reihe neuer Einschränkungen ein, bei denen die Schließung der Bars für die meisten Pariser wohl am spürbarsten sein wird. Der Gastronomieverband macht sich auch bereits Sorgen um ihr langfristiges Überleben: Die Kurzarbeit, die inzwischen von der Regierung bis Ende des Jahres verlängert wurde, könne nicht alles auffangen, es werde wohl Arbeitsplatzverluste geben.
Verboten werden außerdem der Verkauf von Alkohol und Musik auf öffentlichen Plätzen nach 22 Uhr. Untersagt sind auch Studentenpartys und Treffen von mehr als zehn Personen in der Öffentlichkeit. Hochzeiten in Kirchen und Standesämtern mit bis zu 30 Personen sind zwar erlaubt, die anschließende Feier, etwa im Restaurant, dagegen nicht. Sporthallen, Schwimmbäder und Fitnessclubs bleiben weiter geschlossen, außer für Schulen.
Universitäten müssen den Zugang für Studenten auf 50 Prozent ihrer Kapazität beschränken, das heißt die großen Hörsäle dürfen nur zur Hälfte besetzt sein. Ähnliche Beschränkungen gelten auch für Sportanlagen im Freien und für Einkaufszentren: Dort soll auf vier Quadratmeter Fläche nur noch ein Besucher zugelassen werden.
Zwar bleiben im Großraum Paris die öffentlichen Verkehrsmittel weiter in Betrieb, allerdings hat die Arbeitsministerin für ganz Frankreich dazu aufgerufen, in den roten Zonen des Landes so weit wie möglich auf Homeoffice zu setzen.
Restaurants dürfen noch offen bleiben
Von der neuen partiellen Schließung des öffentlichen Lebens sind die Restaurants allerdings ausgenommen. Sie sollen jedoch die Adressen ihrer Besucher aufnehmen, um das Verfolgen von Infektionsketten zu erleichtern. Es dürfen nur noch sechs Personen an einem Tisch sitzen und wer nicht isst, muss eine Maske tragen. Man wird sehen, wie gut das bei den individualistischen Franzosen funktioniert, die zunehmend gegen die Corona-Regeln revoltieren.
Die Regelung für die Gastronomie gilt als Kompromiss, weil eine zweite Schließung der Restaurants Ende September wie zum Beispiel in Marseille zu Protesten und zivilem Ungehorsam geführt hatte. Die Stadt will sich übrigens jetzt von den zentralistischen Vorschriften aus Paris abnabeln und eine eigene Behörde zur Bekämpfung der Epidemie einrichten.
Alle vierzehn Tage sollen die neuen Einschränkungen überprüft werden, um sie mit dem Anstieg der Infektionen abzugleichen. Die Hoffnung ist, mit solchen Teilmaßnahmen drastischere Schließungen zu vermeiden. Der Totalstopp der französischen Wirtschaft in diesem Frühjahr hatte zu einem Einsturz der Wirtschaftsleistung von fast 14 Prozent geführt. Zuletzt war sie beinahe wieder auf Vor-Covid-Werte angestiegen und es gab Hoffnung auf eine deutliche Erholung. Umso größer ist jetzt die Angst vor einem zweiten Lockdown. Je mehr Teile der Ökonomie wieder abgewürgt werden müssen, desto nachhaltiger wird der Schaden sein, so befürchten die Volkswirte.
Angst vor zweitem Lockdown in Frankreich
Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, hofft trotz der neuen Einschränkungen, dass das "Leben in der Stadt weiter gehen kann, wirtschaftlich, kulturell und sozial". So bleiben Theater, Kinos und Museen geöffnet, wenn auch mit beschränkten Besucherzahlen. Allerdings leide die Hauptstadt bereits massiv unter der Corona-Krise, sagt Hidalgo: "Die ökonomische Lage hat sich sehr verschlechtert, denn wir sind eine Stadt, die von internationalen Besuchern abhängt."
Paris hat in diesem Sommer 16 Millionen Touristen weniger verzeichnet als normal. Die Ausflugsboote auf der Seine waren kaum gefragt, die berühmten Kaufhäuser und Luxusboutiquen blieben leer. Die Hauptstadt hat rund 7 Milliarden an Einnahmen verloren, landesweit fehlen durch den Einsturz des Tourismus bis zu 40 Milliarden Euro in den Kassen.
Die neuen Einschränkungen wurden jetzt durch einen rapiden Anstieg der Infektionszahlen im Großraum Paris ausgelöst. Die Ansteckungen waren über 250 Fälle pro 100.000 Einwohner gestiegen und derzeit sind bereits 36 Prozent der Intensivbetten in den Krankenhäusern wieder belegt. "Wir haben im Großraum Paris täglich 3500 neue Fälle", und es gebe 203 bekannte Ansteckungsherde, etwa in Firmen oder Altenheimen, erklärte Aurélien Rousseau, Chef der lokalen Gesundheitsbehörde, in einer Pressekonferenz gemeinsam mit der Bürgermeisterin und dem Polizeichef.
Zwar habe man inzwischen genug Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und Medikamente, um gegen eine zweite Ansteckungswelle zu kämpfen, aber es fehlt an Personal: "Der Druck auf das medizinische Personal ist sehr hoch", erklärt Rousseau. In den nächsten zwei Wochen werden man sehen, ob die Intensivstationen wieder zu 50 Prozent ausgelastet würden, derzeit stiegen die Zahlen kontinuierlich.
Viele SARS-CoV-2-Fälle in Altenheimen
Probleme gibt es auch erneut in den Altenheimen der Region, von denen jedes sechste neue Corona-Fälle meldet. Dennoch soll das drakonische Besuchsverbot vom Frühjahr nicht wieder eingeführt werden. Heimleiter und Familien hatten dagegen protestiert und die Vereinsamung der Heimbewohner beklagt. Jetzt sollen zumindest bis zu zwei Familienmitglieder nach Anmeldung zugelassen werden.
Wie andere Länder in Europa versucht auch Frankreich die Balance zu finden zwischen einem gefährlichen Anstieg der Infektionen, verbunden mit der Überlastung des Gesundheitssystems, und der Eindämmung des wirtschaftlichen Schadens. Im Frühjahr hatte Paris extrem rigide Regeln erlassen und seine Bürger weitgehend entmündigt. Jetzt wird sich zeigen, wie viel Bereitschaft zur Kooperation mit den Behörden bei den Franzosen noch vorhanden ist und ob die an diesem Dienstag beginnende halbe Bremsung des öffentlichen Lebens ausreicht, um die Epidemie einzugrenzen.