Hirnschrittmacher gegen Parkinson
11. April 2018Allein schon der Gedanke daran, wie die Elektroden ins Gehirn eingesetzt werden, lässt so manch einen erschaudern. Tiefe Hirnstimulation - da tauchen die schlimmsten Science-Fiction-Bilder auf. Für die Patienten aber, die zu Professor Veerle Visser-Vandevalle kommen, ist eine Operation oft die einzige Chance auf ein normales Leben.
"Die Patienten, die zu mir kommen, sind meist schwerstens erkrankt. Meine Erfahrung ist, dass sie zwischen den möglichen Risiken und der oft geringen Lebensqualität abwägen", so die Professorin von der Uniklinik Köln. Die Tiefe Hirnstimulation kann diesen Menschen das Leben erleichtern.
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Akribische Planung bis ins letzte Detail
Am Vortag der Operation wird beim Patienten ein MRT (Magnetresonanz-Therapie) des Kopfes gemacht. Auf den Bildern können die Chirurgen genau sehen, wo die Elektroden implantiert werden sollen. Auch die Gefäße sind darauf zu sehen, damit die Operateure sie nicht verletzen.
"Zuerst einmal fixieren wir am Kopf des Patienten ein Gestell, den sogenannten stereotaktischen Rahmen", so Visser-Vandevalle. "Das passiert morgens gegen acht Uhr. Es folgt ein CT-Scan (Computertomographie) des Kopfes. Dieser Scan und das MRT-Bild werden übereinander gelegt. Bei einem MRT-Bild gibt es Verzerrungen, bei einem CT nicht. Es geht dabei um eine Genauigkeit von weniger als einem Millimeter." Eine spezielle Software liefert 3-D-Koordinaten vom Zielpunk, dem Punkt, an dem das Team die Elektroden einsetzen wird. In dieser Phase ist der Patient bei Bewusstsein. Schmerzen hat er nicht, er ist in einer leichten Narkose. Bis all diese Vorbereitungen abgeschlossen sind, ist es etwa elf Uhr.
Es wird ernst
Die Vorstellung, dass jemand ein Loch in unser Gehirn bohrt, ist für viele Menschen der blanke Horror. Aber beim Einsetzen eines Hirnschrittmachers ist es einer der wichtigsten Schritte, denn dort hinein implantieren die Ärzte beim Patienten dann zwei oder drei feine Mikroelektroden. Sie sind quasi das Herzstück.
"Mit ihnen können wir die elektrische Aktivität Millimeter für Millimeter messen. Dann schauen wir, wo die größte, elektrische Störung ist und führen anschließend eine Test-Stimulation durch", erklärt die Hirnspezialistin. Mit diesem Test können die Ärzte prüfen, ob beispielsweise ein Tremor-Patient noch zittert. Ist der optimale Zielpunkt gefunden, implantieren die Chirurgen die endgültigen Elektroden.
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Nicht nur Parkinson
Die meisten Patienten, die mit der Tiefen Hirnstimulation behandelt werden, leiden an Parkinson. Hirnschrittmacher werden aber auch bei Bewegungsstörungen eingesetzt wie beispielsweise bei Dystonie.
Allein in Deutschland sind davon etwa 160.000 Menschen betroffen. Bei dieser Erkrankung verursacht das Gehirn Störungen. Die Betroffenen leiden unter plötzlichen und anhaltenden Muskelanspannungen, die der Patient nicht mehr kontrollieren kann. Sogar die Augenlider können sich verkrampfen. Eine Dystonie kann auch das Sehen und Sprechen beeinträchtigen oder das Essen erschweren.
Psychiatrische Erkrankungen
Bei den psychiatrischen Erkrankungen, die Mediziner mit Tiefer Hirnstimulation behandeln, ist die Zwangserkrankung die häufigste. 'Habe ich das Licht wirklich ausgemacht? Ist der Herd vielleicht noch an?' Menschen, die daraufhin mehrfach kontrollieren, ob wirklich alles seine Ordnung hat, leiden an einer Zwangsstörung. Sie überprüften das dann nicht ein oder zwei Mal, so Visser-Vandevalle, sondern bis zu 30 oder 40 Mal.
Die Neurologin nennt ein weiteres Beispiel: "Ein Patient fährt irgendwo hin, und hat Angst, dass er jemanden angefahren hat. Dann fährt er zurück, um sich zu versichern, dass das nicht der Fall ist. Aber dann denkt er: 'Vielleicht habe ich beim zweiten mal jemanden angefahren.' Er muss also wieder zurück, und so fährt er ständig hin und her." Das liege an einer elektrischen Störung im Gehirn.
Ein bestimmtes Areal ist aktiv, wenn wir uns fragen: 'Habe ich das Licht ausgeschaltet?' Bei Zwangserkrankten bleibt dieses Areal elektrisch aktiv. Die Elektroden hemmen diese Überaktivität."
Ständig unter Strom
Die Elektroden werden mit Kabeln verbunden und an einen Generator angeschlossen. Dieser Generator wird unterhalb des Schlüsselbeines implantiert und liefert permanent Strom. Dadurch wird das Areal im Gehirn ständig mit einem hochfrequenten Strom stimuliert, mit einer Frequenz von mehr als 100 Hertz.
Zehn bis fünfzehn Prozent aller Operationen werden wegen schwerwiegender, psychiatrischer Störungen durchgeführt. Auch bei Depressionen wollen Mediziner die Tiefe Hirnstimulation einsetzen. Dieses Gebiet sei aber noch in seinen Anfängen. "In Köln haben wir bis jetzt drei Patienten behandelt. Der optimale Zielpunkt liegt noch nicht hundert Prozent fest. Jetzt werden wir eine andere Technik anwenden, die Vagus Nerv-Stimulation. Dabei wird die Elektrode nicht im Gehirn implantiert, sondern am Hals." Das sei weniger invasiv, so Visser-Vandevalle. "Eine Studie mit 400 Patienten hat gezeigt, dass diese Methode Depressionen deutlich vermindern kann." Ein weiterer Vorteil: Ein Implantat am Hals ist für die meisten nicht ganz so schlimm wie eine Operation durch die Schädeldecke.
Drei Patienten mit Depressionen hat die Gehirnchirurgin bislang operiert. Allen sei es hervorragend gegangen. Bei einem aber sei plötzlich eine Verschlechterung eingetreten. "Er hatte negative Gedanken und erwog sogar einen Selbstmord. Wir haben ihn untersucht und festgestellt, dass sein Generator leer war. Also haben wir den Generator ausgetauscht und dem Patienten ging es wieder gut." Das klingt einfach und aus der Sicht der Neurologen ist es das auch.
Elektroden gegen das Vergessen?
Auch die Möglichkeit, Demenz mit der Tiefen Hirnstimulation zu behandeln, beschäftigt die Wissenschaftler. Schon bald soll es eine europäische Studie dazu geben. "Demenzforschung ist sehr wichtig. Wir müssen die Tiefe Hirnstimulation hier so weit wie möglich nutzen", so Visser-Vandevalle.
In bisherigen Tests konnten Forscher feststellen, dass sich das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit mithilfe der Tiefen Hirnstimulation verbessert haben. Auch auf alltägliche Dinge, wie etwa sich Anziehen hatte die Methode einen positiven Effekt.
Zum zweiten Mal geboren werden
Viele der Parkinson-Patienten fühlen sich nach der Operation wie neu geboren, als sei ihnen ein zweites Leben geschenkt worden. Die Gehirnspezialistin hat tagtäglich mit schlimmen menschlichen Schicksalen zu tun, aber sie erfährt auch viel Positives. "Das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe war von einem Kind, das ich operiert habe. Es war ein neunjähriger Junge mit Dystonie. Zwei Jahre war er schon auf einen Rollstuhl angewiesen. Dann habe ich ihn operiert. Ein paar Monate später kam er in mein Zimmer gerannt. Er hatte ein Bild für mich gemalt und darauf geschrieben: 'Vielen Dank, dass ich wieder laufen kann'. Darüber hatte er ein Herzchen gemalt. Das war natürlich sehr, sehr schön."
Mit ihrer Arbeit möchten Visser-Vandevalle und ihr Team auch die breite Öffentlichkeit erreichen, über die verschiedenen Möglichkeiten von Hirnoperationen aufklären und den Menschen so die Angst vor einem solchen Eingriff nehmen.