Parlament der Ukraine lässt Regierungschef durchfallen
20. September 2005Zwölf Tage nach der Entlassung der ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko hat das Parlament dem amtierenden Nachfolger die erforderliche Mehrheit verweigert. Die Kandidatur von Jurij Jechanurow fand am Dienstag (20.9.2005) in Kiew nur die Zustimmung von 223 Abgeordneten der 450 Abgeordneten. Das sind drei weniger als benötigt.
Das Abstimmungsergebnis ist auch eine schwere politische Niederlage für Präsident Viktor Juschtschenko, der Jechanurow ernannt hat. Der 57-Jährige verpasste die Mehrheit wegen zahlreicher Enthaltungen. Juschtschenko hatte die Abgeordneten zuvor aufgerufen, sich nicht "in Intrigen zu stürzen" und das Land nicht zu "zerreißen". Es gehe nicht um das Schicksal Jechanurows, sondern um das der Ukraine. Gemeinsam mit dem Parlament wolle er für Stabilität sorgen. Bei ihrer Entscheidung müssten die Abgeordneten "nationale Interessen" berücksichtigen. Jechanurow, ein Wirtschaftsfachmann ohne eigene politische Ambitionen, sagte, er wolle für eine Stabilisierung der Wirtschaft sorgen. Gleichzeitig versprach er eine "transparente" Arbeit der Regierung; es werde "keine Experimente" geben.
Vorwürfe von Timoschenko
Juschtschenkos frühere Weggefährtin, die entlassene Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, warf dem Präsidenten vor, nichts gegen Korruption in seinem Umfeld getan zu haben. Sie glaube nicht, dass er sich von seinen Vertrauten trennen werde, da er auch familiär eng mit ihnen verbunden sei. Auch glaube sie nicht daran, dass eine strafrechtliche Verfolgung des Präsidenten möglich sei.
Zum Ausgang der Abstimmung äußerte sich Juschtschenko zunächst nicht. Er könnte Jechanurow dem Parlament nun entweder erneut vorschlagen oder einen neuen Kandidaten auswählen. Bis dahin leitet Jechanurow die Regierungsgeschäfte kommissarisch weiter. Juschtschenkos Stabschef Oleg Rybatschuk schloss nicht aus, dass der Präsident Jechanurow noch einmal in der Rada zur Abstimmung stellen könnte. Dazu liefen am Dienstag Verhandlungen mit einzelnen Abgeordneten der Opposition. Als andere Kandidaten nannte Rybatschuk den sozialistischen Innenminister Juri Luzenko oder den bisherigen Geheimdienstchef Alexander Turtschinow, einen Parteigänger Timoschenkos.
Ermittlungen wegen Korruption
Juschtschenko hatte am 8. September seine heillos zerstrittene Führungsmannschaft entlassen, in der sich alle Parteien gegenseitig der Korruption bezichtigt hatten. Timoschenko, seine ehemalige Verbündete der "orangefarbenen Revolution" verkündete daraufhin ihren Bruch mit dem Lager von Juschtschenko. Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine teilte am Dienstag mit, es gebe keine Ermittlungen wegen Bestechlichkeit gegen Timoschenko. Dagegen seien mehrere Strafverfahren eingeleitet worden, in denen der frühere Sekretär des Sicherheitsrates, Pjotr Poroschenko, eine Rolle spiele.
Beobachter in Kiew befürchteten, dass der Verfall der Wirtschaft sich bei einer nur eingeschränkt arbeitsfähigen Übergangsregierung weiter beschleunigen werde. Juschtschenkos Macht wird Anfang 2006 weiter schrumpfen, wenn eine Verfassungsreform die Regierungsbildung weitgehend dem Parlament überträgt. Im März 2006 wird in der Ukraine eine neue Oberste Rada gewählt. Dabei will die charismatische Timoschenko gegen Juschtschenkos Parteienbündnis Unsere Ukraine konkurrieren. (stu)