"Eigentlich müsste die Union vorn liegen"
3. April 2017DW: Herr Prof. Niedermayer, in den jüngsten Umfragen liegen Union und SPD etwa gleichauf, und rechnerisch könnte es eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün geben. Bei der Saarlandwahl allerdings kamen diese Gedankenspiele schlecht an. Wie sähe es auf Bundesebene damit aus?
Niedermayer: Ein nicht zu vernachlässigender Teil vor allem der westdeutschen Wählerschaft sieht die Linkspartei immer noch nicht als normale demokratische Partei an und lehnt eine Koalition mit ihr grundsätzlich ab. Deswegen steht die SPD vor einem Dilemma. Denn Schulz hat ja vor der Saarlandwahl ziemlich klar signalisiert, dass er zumindest im Saarland Rot-Rot wohlwollend gegenübersteht.
Aber die Linkspartei wäre ja nur ein Teil einer Regierungskoalition, und es wird im Moment so viel über soziale Gerechtigkeit gesprochen, dafür stünde zweifellos Rot-Rot-Grün. Was stört denn die Leute genau an so einem Bündnis?
Die Leute stört nicht die Positionierung der Linken, dass sie für soziale Gerechtigkeit eintritt. Aber viele Leute sagen immer noch, die Linken seien keine wirklichen Demokraten, ein Teil der Partei lehne das parlamentarisch-demokratische System ab. Deshalb ist es den Leuten auch nicht zu vermitteln, wenn man argumentiert, die Linkspartei sei ja nur eine von dreien und die SPD habe doch das Sagen. Denn es geht nach diesem Verständnis nicht um Kompromissbereitschaft in bestimmten Bereichen, sondern das ist dann eine Grundsatzfrage, die nicht über Kompromisse zu lösen ist.
Sollte die SPD über gewollte Regierungsbündnisse reden, um den Wählern Bescheid zu geben, oder gerade nicht darüber reden, um die eigenen Regierungschancen zu erhöhen?
Das Problem für die SPD ist, dass sie, je näher die Bundestagswahl rückt, immer mehr gezwungen sein wird, darüber zu reden, weil die Wähler wissen wollen, was sie bekommen, wenn sie SPD wählen, und der politische Gegner natürlich keine Gelegenheit verstreichen lassen wird, darauf hinzuweisen. Und dann kommt es darauf an, wie die Umfragen vor der Wahl sind. Wenn die SPD dann immer noch auf Augenhöhe mit der Union liegt, kann Schulz behaupten, Ziel der SPD sei, stärkste Partei zu werden, und die SPD habe dann nicht eine, sondern drei Möglichkeiten zu regieren, nämlich eine große Koalition unter SPD-Führung oder eine Ampel oder Rot-Rot-Grün. Dann würde sich die Frage nicht in der Schärfe stellen. Ich vermute aber, dass die Union kurz vor der Wahl in dem Umfragen deutlich vor der SPD liegen wird. Dann wird sich Schulz die Frage gefallen lassen müssen, wie er denn Kanzler werden will. Dann kommt es auch wieder auf die FDP an, die jetzt nicht genau weiß, wie sie mit einer Ampel umgehen soll.
Apropos Ampel: Welche Chancen hätte sie?
Hier ist die FDP in einem Dilemma. Parteichef Lindner hat von vornherein gesagt - und dahinter kann er nicht zurück -, dass er in Nordrhein-Westfalen keine Ampel will. Und in NRW deuten die Umfragen darauf hin, dass zwar die SPD die Wahl gewinnen wird, es aber für Rot-Grün nicht mehr reichen wird. Dann stellt sich natürlich die Frage einer Ampel, und wenn Lindner hierzu eindeutig nein sagt, aber wenige Monate später im Bundestagswahlkampf dazu ja sagt, ist das nicht so einfach für ihn.
Glauben Sie überhaupt an einen dauerhaften Schulz-Effekt?
Nein, ich glaube nicht daran. Ich glaube, dass Schulz die Werte der SPD nach vorn bringt. Aber der Schulz-Effekt wird sich in der Stärke nicht bis zur Wahl halten. Es hat sich schon in der Medienberichtersttung deutlich etwas getan. Der unkritische Schulz-Hype ist vorbei. Und es gibt eine Reihe von Gründen, warum die Union eigentlich vorne liegen müsste. Das beginnt mit dem Amtsbonus der Kanzlerin. Das hängt auch damit zusammen, dass Frau Merkel, obwohl sie schlechtere Werte hat als vor der Flüchtlingskrise, immer noch relativ gut angesehen ist, und der Vergleich mit Schulz zeigt, dass sie durchaus mithalten kann. Und drittens ist die Union in vielen inhaltlichen Bereichen, die für die Leute wichtig sind - zum Beispiel Flüchtlingsfrage, Islam und innere Sicherheit - bei den Leuten klar vorne.
Das heißt, Sie sehen gar keine Wechselstimmung im Land, weder personell, dass die Leute Frau Merkel loswerden wollen, noch inhaltlich, dass man eine andere Politik will?
Man will in der Bevölkerung auf keinen Fall eine ganz andere Politik. Und das hat etwas mit der Ablehnung von Rot-Rot-Grün zu tun. Es gibt eine gewisse Merkel-Müdigkeit, auch in der eigenen Partei, aber es gibt noch keine Stimmung im Volk "Die muss weg". Jedoch gibt es viele Leute, die sich eine SPD-geführte große Koalition unter Schulz vorstellen können. Das kann für die CDU natürlich kurz vor der Wahl gefährlich werden, je nach dem, wie die NRW-Wahl ausgeht. Wenn in NRW Ministerpräsidentin Kraft versucht, Rot-Rot-Grün zu bilden, wäre das für die SPD kurz vor der Bundestagswahl dramatisch gefährlich. Versucht Kraft eine große Koalition unter ihrer Führung, wäre das für die Union im Bund schlecht, denn das könnte für den Bund als Blaupause angesehen werden.
Was müsste Frau Merkel tun, um der unbestrittenen Popularität von Schulz Paroli zu bieten?
Sie kann sich natürlich nicht neu erfinden. Das konnte Schulz, weil er bei den Leuten kein festgefügtes Image hatte. Deswegen konnte er sich - und das hat er sehr geschickt gemacht - ein Image heranbilden, was genau zu einem sozialdemokratischen Herausforderer passt, nämlich: von unten gekommen, viele Widerstände überwunden, sich nach oben gearbeitet. Frau Merkel kann ihr Image, das sie hat, nicht verändern. Sie muss auf die Stärken von diesem Image bauen. Man wird im Wahlkampf deutlich machen: Wenn ihr für Verlässlichkeit und Kontinuität seid in unsicheren Zeiten in Europa und der Welt, müsst ihr Merkel wählen. Das muss sie nach vorne stellen. Aber sie muss jetzt auch in den Wahlkampfmodus schalten, und das tut sie ja auch. Ich hätte es allerdings etwas früher schon getan. Denn alles laufen zu lassen wie bei den letzten beiden Wahlen mit dem Satz "Sie kennen mich", das wird nicht mehr funktionieren. Man muss den politischen Gegner bekämpfen, und man muss den Leuten einen Grund geben, warum man Merkel wählen soll.
Der Parteienforscher Prof. Oskar Niedermayer arbeitet an der Freien Universität Berlin.
Die Fragen stellte Christoph Hasselbach.