Partnerschaft mit Potenzial
8. Februar 2012Komplexe Themen stehen auf der Agenda des diesjährigen EU-Indien-Gipfels in der indischen Hauptstadt Neu Delhi: die Lage in Pakistan und Afghanistan, die Sanktionen gegen den Iran, die Vertiefung der Zusammenarbeit im Energiesektor und natürlich das bereits seit vielen Jahren diskutierte Freihandelsabkommen. Die Verhandlungen dazu sind ins Stocken geraten, auch wenn für beide Seiten die Vorteile klar auf der Hand liegen. Die Europäische Union wünscht sich freien Zugang zum indischen Markt, der aufgrund seiner Größe von 1,2 Milliarden Menschen und seiner extrem jungen Bevölkerung besonders attraktiv ist. Indien fürchtet, dass es viele Unternehmer und Wirtschaftszweige in Indien mit einer europäischen Konkurrenz nicht aufnehmen können.
Die EU ist bereits Indiens größter Handelspartner. 2010 lag das Handelsvolumen bei 86 Milliarden Euro, das ist ein Anteil von knapp 15 Prozent am gesamten indischen Außenhandel. Auf Seiten der EU beträgt der Handel mit Indien nur 2,4 Prozent des Handelsvolumens. "Da ist noch viel Luft nach oben", so könnte man den verzweifelten Appell von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso beim letzten EU-Indien-Gipfel in Brüssel Ende 2010 zusammenfassen: "Ein Freihandelsabkommen würde das Potential freilegen, welches in unseren beiden Volkswirtschaften bisher weitgehend verborgen liegt. Lassen sie uns 2011 das Abkommen unterschreiben." Trotz aller Bemühungen scheint jedoch auch dieses Mal eine Einigung unwahrscheinlich.
Unterschiedliche Ausgangspositionen
Seit knapp 50 Jahren unterhalten die Europäische Union und Indien diplomatische Beziehungen. Lange Zeit galt das von vielen als kommende Supermacht gepriesene Indien als armes Entwicklungsland ohne große Zukunft. Man teilte zwar mit Indien grundlegende Werte wie Demokratie, Freiheit oder die Achtung der Menschenrechte. Doch erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die Nuklearmacht Indien auch von der EU als ernstzunehmender politischer Partner wahrgenommen, der in einer der unruhigsten Regionen der Welt seit langem ein Garant für Stabilität und Sicherheit ist.
Der Wirtschaftswissenschaftler Praveen Jha von der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu Delhi sieht Indien, das kaum von der gegenwärtigen globalen Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen ist, daher in einer neuen Machtposition: "Wenn wir uns nur das Heute anschauen, dann sehen wir, dass die EU vor einer Vielzahl von Herausforderungen steht, und dass Indien, das bisher in der Vergangenheit immer weit hinter der EU in allen Fragen zurücklag, ziemlich stark ist." Dieser Trend sollte laut Jha auch noch einige Zeit anhalten. Denn Indien kann seit Jahren mit Wachstumsraten von rund acht Prozent aufwarten. Zudem bröckele es im Gefüge des 27-Staaten-Blocks EU gewaltig, so Jha.
Rivalität mit China
Indien verfolgt jedoch ehrgeizige Ziele. Denn noch ist Indiens Nachbar und alter Rivale China dem südasiatischen Land einen Schritt voraus. Die EU und China gingen schon einige Jahre vor Indien eine strategische Partnerschaft ein. China ist nach den USA der zweitgrößte Handelspartner der EU. Der indische Ökonom Praveen Jha betont, dass Indien trotz aller Bemühungen China auf absehbare Zeit nicht das Wasser reichen kann: "Wenn wir uns Chinas Wachstum und die Geschwindigkeit dieses Wachstums anschauen, dann ist Indien davon weit entfernt."
Indien habe weltweit im Gegensatz zu China viele Sympathien damit gewinnen können, dass es ein demokratisch organisiertes Land sei, so Jha. Doch die jüngsten Skandale in Indien, in die selbst hochrangige Politiker verwickelt waren, haben Indiens Ansehen extrem geschadet. So sitzt Manmohan Singhs ehemaliger Telekommunikationsminister Andimuthu Raja derzeit wegen Korruptions- und Betrugsvorwürfen im Gefängnis. Die Commonwealth Games 2010 verschlangen wegen Bestechung und Missmanagement Unsummen. Dieser Imageverlust sei selbstverschuldet, so Jha: "Durch all diese Skandale hat Indien sehr viel von seiner Strahlkraft eingebüßt. Indien hat immer versucht, sich für ausländische Investoren als ein Land zu präsentieren, in dem es gute industrielle Rahmenbedingungen gibt." Es habe natürlich auch in China immer wieder Skandale gegeben. "Aber das, was in Indien in der letzten Zeit passiert ist, ist in der gesamten Geschichte des Landes einmalig. Und davon profitiert China ungemein."
Die EU wird am 10. Februar 2012 von EU-Präsident Herman von Rompuy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Handelskommissar Karel de Gucht in Neu Delhi vertreten werden. Nur vier Tage später findet in Peking dann der EU-China-Gipfel statt.
Autorin: Priya Esselborn
Redaktion: Hans Spross