"Kunst lässt sich nicht abstellen!"
16. November 2016DW: "Die Minarette sind unsere Bajonette und die Gläubigen unsere Soldaten." Schürt jemand, Herr Haslinger, der solche Zeilen öffentlich vorträgt, religiösen Hass?
Josef Haslinger: Das würde ich sagen, ja! Es ist eine martialische Sprache, die einen Feind sucht.
Wären Sie Richter - würden Sie jemanden dafür ins Gefängnis werfen?
Nein (lacht), das ist ja ganz was anderes. Die Frage ist, ab welchem Punkt wird der geschürte Hass so groß, dass man diese Person dafür sanktionieren muss: Wo beginnt Verhetzung? Und wo herrscht freie Meinungsäußerung? In jeder funktionierenden Demokratie ist die freie Meinungsäußerung ein weites Feld. Sie muss sehr weit gespannt sein. Man darf erst dann einschreiten, wenn Gefahr für Leib und Leben Anderer droht.
"Wer zu Gewalt aufruft, verliert die Unterstützung des PEN"
Das heißt, auch solche, nennen wir sie extremistische Aussagen, sind vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt?
Ja. Selbstverständlich darf man extremistische Positionen vertreten, solange man nicht andere Menschen damit unmittelbar in Gefahr bringt.
Würde der PEN sich schützend vor einen Autor stellen, der wegen eines solchen Zitats im Gefängnis schmort?
Der PEN stellt sich prinzipiell nicht schützend vor Autoren, die zu Gewalt aufrufen. Wenn jemand zur Gewalt aufruft, hat er die Unterstützung des PEN verloren.
1999 musste Recep Tayyip Erdogan, damals noch Bürgermeister von Istanbul, hinter Gitter, weil er das eben erwähnte Zitat brachte. Heute ist er Staatspräsident und lässt unliebige Schriftsteller und Journalisten wegsperren. Fördert das Erdogans Glaubwürdigkeit?
Die Glaubwürdigkeit Erdogans besteht eigentlich nur unter seinen Anhängern. Es gibt niemanden in der westlichen Welt, der rechtsstaatliche Prinzipien vertritt, der für die Freiheit der Meinungsäußerung eintritt - und der Erdogan noch für glaubwürdig halten kann.
"Can Dündar ist ein sehr würdiger Preisträger"
Die Autorenvereinigung PEN, deren Präsident Sie sind, verleiht in dieser Woche ihren Hermann Kesten-Preis an die türkischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül. Warum gerade an diese beiden?
Wir haben diesen Beschluss noch vor dem Putschversuch in der Türkei gefasst, noch bevor der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung auf Can Dündar gerichtet war. Mittlerweile muss man auf Can Dündar nicht mehr aufmerksam machen. Aus Gründen der Publicity wäre es nicht notwendig, ihm den Preis zu verleihen. Auf der anderen Seite hat Can Dündar sich die ganze Zeit über für seine Kollegen eingesetzt. Er hat von seinen demokratischen Positionen nichts preisgegeben. Insofern ist er ein sehr würdiger Preisträger.
Das heißt, Sie fühlen sich in Ihrer Entscheidung durch die aktuellen Ereignisse bestätigt. Was ist Ihre Botschaft?
Unsere Botschaft ist, dass wir Menschen, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung auch in schwierigen Zeiten Gebrauch machen, unterstützen und eine solche Position als vorbildlich darstellen wollen.
Zur Zeit, Herr Haslinger, stehen - laut Reporter ohne Grenzen - rund 120 Journalisten wegen Terrorvorwürfen vor türkischen Gerichten, allein 140 Journalisten sind in Haft. Wie ist es um die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei bestellt?
In der Verlagslandschaft herrscht noch eine gewisse Liberalität. Das hat sich jetzt auch auf der Buchmesse Istanbul gezeigt. Es gab durchaus Verlage, die Bücher von Autoren anbieten, die im Gefängnis sitzen. Wenn also ein Autor im Gefängnis sitzt, heißt das nicht automatisch, dass seine Bücher verboten sind. Wenn ein Autor jedoch gleichzeitig Kolumnist für eine Tageszeitung ist, dann ist er im Augenblick wesentlich mehr gefährdet. Der Staat hält diesen kleinen Sektor der Öffentlichkeit, der sich Buchmarkt nennt und an dem ja auch nur wenige Menschen beteiligt sind, für nicht sehr bedeutend. Hingegen gelten Tageszeitungen und Fernsehstationen, die die Massen erreichen, als bedeutend. Und wenn sich dort jemand kritisch zu Staatschef Erdogan und seinen Positionen äußert, dann ist er gefährdet.
"Auch wenn ich nicht weiß, wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktatoren zu überwinden", hat die türkische Schriftstellerin Asli Erdogan in einer Botschaft aus dem Gefängnis geschrieben. Sie, Herr Haslinger, sind selbst Schriftsteller. Hat Asli Erdogan Recht?
Im Prinzip hat sie recht. Das hat sich immer wieder herausgestellt. Und wenn Sie in diesen Tagen die Autobiografie von Wolf Biermann lesen, wird Ihnen klar, was das heißen könnte und auch geheißen hat hier in Deutschland: Literatur, Kunst, Musik, überhaupt kritische intellektuelle Positionen kann man zwar unterdrücken. Aber die Kunst lässt sich nicht abstellen!
Außerdem ist die Welle der Solidarität mit Asli Erdogan und anderen verfolgten Autoren, die durch die Welt geht, sehr groß. Ich glaube nicht, dass das türkische Regime sich langfristig davon unbeeindruckt zeigen kann.
Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger, Jahrgang 1955, ist seit Mai 2013 Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. PEN ist die Abkürzung für "Poets, Essayists, Novelists". Die Organisation setzt sich für die Freiheit der Kultur und des Wortes ein.
Das Interview führte Stefan Dege.