Der Karikaturist Tomi Ungerer – ein Porträt
24. Februar 2009Die Kinderbücher mache er vor allem für das Kind in sich, sagt der 77-Jährige. Für den kleinen Jungen, der sich an den viel zu frühen Tod des Vaters erinnert, an die Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg – und an unzählige Bücher. "Nach dem Geschirr sind Bücher das Wichtigste in einem Haus", sagt Ungerer rückblickend. Als die Deutschen als Besatzungsmacht im Elsass das Französisch verboten hatten, versuchte der Jugendliche, sich anzupassen: In der Schule war er der deutsche Hans, zu Hause der Franzose und bei seinen Spielkameraden der Elsässer. Schon auf dem Gymnasium wurde ihm ein "perverses und subversives Wesen" bescheinigt – von Ungerer widerspruchslos akzeptiert.
Nichts wie weg aus dem Elsass
Er bestand das Abitur nicht und zog in die Welt. "Ich bin nach Norwegen, in Lappland durch die russischen Linien und wieder zurück." Eigentlich wollte er Geologie studieren. Bis heute interessiert er sich für Geologie und Mineralogie. 1956 wanderte Tomi Ungerer mit 60 Dollar in der Tasche und einigen Zeichnungen nach New York aus. Er sprach bald schon bei den wichtigsten Art-Direktoren der Stadt vor – mit Erfolg.
Ungerer nahm kein Blatt vor den Mund
In New York verkehrte Ungerer mit namhaften Schriftstellern und Illustratoren, aber blieb ein Einzelgänger. Und als solcher nahm der Elsässer kein Blatt vor den Mund. Er bezog offen Position gegen Segregation, Rassismus und Diskriminierung. Trotz einer liberalen Aufbruchsstimmung in den USA stießen seine satirischen und erotischen Karikaturen auf immer mehr Kritik. Der US-Polizei war er ein Dorn im Auge, das FBI ließ Tomi Ungerer überwachen. Er sagt von sich, er schlage im Leben gerne Haken, möglichst krasse. Mit seinem Umzug in die Einöde nach Kanada 1971 gelang ihm das meisterhaft. Auf dem eigenen Hof wurde er zum Viehzüchter, Schlachter und Koch.
Europäer mit elsässischen Wurzeln
Von Kanada übersiedelte er 1976 mit seiner Frau nach Irland. Aber bis heute kehrt er regelmäßig ins Elsass zurück: "Als Elsässer habe ich diesen elsässischen Minderwertigkeitskomplex, Gott sei Dank, sonst wäre ich nicht, was ich bin", schmunzelt er und erklärt, "wenn ich den Krieg nicht gesehen hätte, wie ich es gesehen habe, wäre ich kein Pazifist geworden. Hätte ich nicht in der Nazizeit gelebt, hätte ich dann auch nicht mein ganzes Leben Gewalt, Faschismus, Extremismus bekämpft."
Der unermüdliche Workaholic
"Ich bin ein netter Typ. Ich mache nur Zeichnungen über eine böse Gesellschaft" ist eine von Ungerers Devisen. Er trotzte Krebs und drei Herzinfarkten. Heute sitzt er an seinem nächsten Buch – über seine Jahre in Amerika. In den vergangenen 45 Jahren schuf der Workaholic rund 40.000 Zeichnungen und veröffentlichte über 140 Bücher.