Pfennig: "Formal ist das ein Putsch"
23. Mai 2014DW: Das thailändische Militär hat die Regierung abgesetzt und die Verfassung zum Teil außer Kraft gesetzt. Bewerten Sie das als Putsch oder, wie Thailands Militärchef sagt, als notwendigen Schritt, um die Situation zu beruhigen?
Werner Pfennig: Formal ist das ein Putsch. Die Militärführung hat lange versucht, sich aus den Auseinandersetzungen herauszuhalten. Anfang der Woche hat sie die Repräsentanten der streitenden Parteien dann zu sich gebeten und sie aufgefordert, nach Wegen für eine Einigung zu suchen. Dazu waren sie aber offenbar nicht in der Lage. Deshalb hat das Militär jetzt erklärt, es müsse für Ruhe und Ordnung sorgen, die Wirtschaft Thailands sei in Gefahr, es werde sich um Reformen bemühen.
Interessant fand ich: Früher war bei solchen Erklärungen immer ein Bild des Königs im Hintergrund zu sehen. Das hat dieses Mal gefehlt. Trotzdem denke ich, dass das Königshaus und vor allem der Thronrat unter Führung des ehemaligen Generals Prem hier Regie geführt haben.
Die thailändische Armee gibt sich jetzt als ausgleichende Kraft. Welche Rolle hatte sie in der Vergangenheit?
Als Streitkraft zur Verteidigung des Landes hat sie nie eine große Rolle gespielt. Sie ist ein Machtfaktor innerhalb der seit den 1930er Jahren bestehenden konstitutionellen Monarchie in Thailand, aber vor allem ist sie eng mit der Wirtschaft verbunden: Der Chef der Hafenverwaltung war stets ein Admiral, der Chef der größten Fluglinie war fast immer ein hoher Offizier der Luftwaffe. Viele hochrangige Militärs sind quasi Geschäftsleute in Uniform. Auch deshalb ist die Armee nicht daran interessiert, dass im Land über längere Zeit Unruhe herrscht. Das ist schlecht für die Währung und schlecht fürs Geschäft.
Wie beurteilt die Bevölkerung diesen Putsch?
Thailand ist ein gespaltenes Land - was die politische Anhängerschaft und was die Verteilung des Vermögens betrifft. Seit den 1970er/80er Jahren hatte Thailand über viele Jahre ein jährliches Wirtschaftswachstum von gut zehn Prozent. Aber der neu gewonnene Reichtum wurde sehr ungleich verteilt. Der ehemalige Premierminister Thaksin Shinawatra aus dem roten Lager verstand es, sich unter anderem mit Kleinkrediten und einer minimalen Gesundheitsversorgung große Sympathien zu erwerben. Er hat die Loyalität der Bevölkerung in der Mitte und im Norden Thailands. Bangkok und der Süden tendieren zum - königstreuen - gelben Lager. Das Militär steht in der Mitte. Wenn es sich eindeutig auf eine Seite schlagen sollte - vermutlich eher auf die gelbe - dann sind große Unruhen in Thailand leider nicht auszuschließen.
Wird denn nun die Rechnung des Militärs aufgehen und wieder Ruhe einkehren?
In der Vergangenheit waren Militärputsche fast immer unblutig. Die Auseinandersetzungen, die es in den vergangenen Jahren in Thailand hauptsächlich in und um Bangkok gibt, sind das nicht. Auch in den vergangenen Wochen hat es wieder 30 Tote gegeben. Da hat sich etwas verändert. Die Ungeduld der Menschen ist gestiegen, sie wollen Lösungen für die Probleme ihres Landes.
Es wird auch einiges davon abhängen, wie lange der jetzige König noch lebt und ob vor seinem Tod die Nachfolge geklärt wird. Dass der König sich nicht dazu erklärt hat, hält das Land in einem gewissen Schwebezustand. Die beiden streitenden Gruppierungen bringen sich für die Zeit danach in Stellung. Klar ist, dass das Militär nicht an der Macht bleiben wird. Es hat getan, was es schon bei früheren Putschen tat: Es sagt, es müsse das Königshaus, den Staat und die Religion schützen und deshalb die korrupte Regierung absetzen. Das Militär hat sich aber nie in Tagespolitik oder Verwaltungsabläufe eingemischt. Allerdings hat es in der heutigen Erklärung auch Reformen angekündigt. Es wird spannend zu sehen, welche das sind, wie es diese Reformen durchsetzen wird - und mit wem.
Werner Pfennig arbeitet im Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften
des Instituts für Koreastudien der Freien Universität Berlin.
Das Gespräch führte Jennifer Fraczek.