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Pionier der Pop Art

17. November 2017

Vom Plakatmaler zum Kunststar: James Rosenquist lernte das Malen auf einem Gerüst hoch über dem Times Square. Eine gute Schule: Der Amerikaner gilt als Ikone der Pop Art.

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Rosenquist Retrospektive im Museum Ludwig in Köln
Bild: DW/S. Oelze

Pop Art - mit dem Label konnte James Rosenquist Ende der 1950er Jahre gar nichts so richtig anfangen. Er verstand sich vielmehr als "Neuer Realist". Es war der britische Kunstkritiker und Kurator Lawrence Alloway, der 1958 erstmals den Begriff "mass popular art" für die neuen Künstler prägte, die sich - zunächst in England - mit den Folgen der Massenkultur auseinandersetzten. Als Alloway 1963 die Künstler Lichtenstein, Rauschenberg, Warhol, Dine, Johns und Rosenquist in einer Ausstellung in New York versammelte, kam dies einem kunsthistorischen Erdrutsch gleich. Die sechs Männer, die sich teils zuvor gar nicht kannten, firmierten nun als eine gemeinsame Bewegung.

James Rosenquist, der sich sein Brot als Plakatmaler verdiente und in luftiger Höhe über dem Times Square Werbe- oder Filmreklamen anfertigte, machte sich seine Fähigkeiten auch künstlerisch zunutze. Als Werbemaler sah er sich mit der Hochglanzwelt der Konsumwelt konfrontiert: Er schuf zum Beispiel für zwei New Yorker Kinos überlebensgroße Werbung für Hollywood-Filme oder Werbung für schnelle Autos. "Ich habe Werbeplakate über jedem Süßwarenladen in Brooklyn gemalt", erzählt der "Michelangelo der Plakatwand" in seiner Autobiografie. 

Stillleben der Massenkultur

Bevor Rosenquist sich ans Werk begab, fertigte er kleine Vorlagen an, die er dann ins Gigantische übertrug. Die Vorliebe fürs große Format stammt aus dieser Zeit. Die aktuelle Ausstellung im Museum Ludwig mit dem Titel "Eintauchen ins Bild" konzentriert sich auf diese Werke. Rosenquist wählte seine Motive aus Anzeigen und Plakatwerbung, vor allem dem Life Magazin, zerschnitt sie und kombinierte sie neu, bevor er sie auf großformatige Leinwände übersetzte.

Rosenquists Installation "Forrest Ranger" im Museum Ludwig
Kunst, die im Weg hängt: Rosenquists "Forrest Ranger" im Museum LudwigBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Anders als seine Pop-Art-Kollegen spritzte Rosenquist, der nach einem Kunststudium in Minnesota 1955 in New York bei dem deutschen Migranten George Grosz Unterrichtsstunden genommen hatte, die Farben nicht auf die Leinwände, auch benutzte er weder Schablonen noch Siebe. Er malte mit einem breiten Pinsel, und schuf so eine kraftvolle Dynamik aus Farbe und Form. Rosenquist interessierte das Detail aus nächster Nähe, Formen, die das Blickfeld sprengten. "Periphäres Sehen" nannte er dieses Spiel mit dem Sehen, bei der das Naheliegende unscharf wurde, genauso wie alles Entferntere im Blickwinkel verschwamm.

Kritik am Vietnam-Krieg

Das Prinzip der Collage verwandte er auch für sein zentrales Werk "F-111", das mit seinen mehr als 50 Einzelleinwänden einen ganzen Raum füllte. Nebeneinander gehängt ergeben sie eine Gesamtlänge von 26 Metern. Rosenquist entwickelte "F-111" passgenau für die Räume der legendären Galerie von Leo Castelli in der New Yorker Upper Eastside, wo er es erstmals in den Jahren 1964/1965 präsentierte. Dieses Werk, das längst einen Ehrenplatz im Museum of Modern Art innehat, ist jetzt zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Es verrät viel über die künstlerische Utopie, den aufklärerischen Impetus von James Rosenquist. Dem Betrachter blieb nichts anders übrig, als sich dem Kunstwerk zu stellen und sich so mit allen Widersprüchen seiner Zeit auseinanderzusetzen.

James Rosenquist: F-111 (Foto: picture-alliance/dpa/O. Berg)
Mit F-111 kritisierte der Künstler 1964/65 den VietnamkriegBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

"F-111" entstand nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Vietnam. Es vereinigt den gleichnamigen Jagdbomber, ein lächelndes Mädchen unter einer Trockenhaube, Spaghettinudeln und den atomaren Feuerball einer Nuklearbombe in einer Vision der amerikanischen Kultur, die einer schockierten Öffentlichkeit 1965 die Verwandtschaft von Fortschrittsglaube, Zerstörung und Katastrophe darlegte. Und das in den schrillsten und knalligsten Farben. Dieses Künstler-Environment sorgte für einen Schockzustand, weil es plakativ und subversiv zugleich war. "F-111" war eine Anklage und eine Frage zugleich: Warum führen wir Krieg, statt uns für die Erziehung unserer Kinder zu engagieren und gegen den Hunger zu kämpfen?

Rosenquists Kunst klagte die Regierung an

Rosenquist selbst wuchs in ärmlichen Verhältnissen in North Dakota auf und wusste, wie es ist, mit hungrigem Bauch aufzustehen und in die Schule zu müssen. In allen seinen Werken schimmert diese Überlebensthematik durch, existentielle Sorgen, die sich mit politischen vereinen.

James Rosenquists Installation "Home Sweet Home"
"Home Sweet Home Horizon": Installation, aus der von unten der Nebel kriechtBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Im Museum Ludwig sind neben diesem Schlüsselwerk erstmals auch noch zwei weitere dieser großformatigen Environments zu sehen, die Rosenquists Suche nach einem neuen grenzüberschreitenden Werkbegriff dokumentieren. In dem geradezu psychedelisch wirkenden Environment "Horizon Home Sweet Home" von 1970 holt er nicht nur reale Gegenstände in die Kunst, sondern verwendet aluminisiertes Mylar und Trockeneisnebel, so dass sich Werk und Betrachter gleichermaßen entmaterialisieren. Aus Düsen am Boden dringt weißer Nebel. Die Füße sind nicht mehr zu sehen. Der Betrachter spiegelt sich in den glänzenden metallischen Flächen, die alle vier Wände bedecken. Auch mit diesem Werk wich Rosenquist von den Erwartungen ab, die an seine Kunst gerichtet waren.

Ausdehnung des Bildraums

Diese allumfassenden Erfahrungen erweiterten den Bildbegriff und stellen ihn zugleich in Frage. In Köln war ein Environment von Rosenquist schon 1970 zu sehen, in der Galerie von Rolf Ricke, die sich auf die junge US-amerikanische Avantgarde-Kunst spezialisiert hatte. Überhaupt gab es in den 1970er Jahren enge Verbindungen zwischen Köln und New York. Auch der Sammler Peter Ludwig, der in den USA gerne auf Einkaufstour ging, kaufte schon früh James Rosenquist-Werke für seine Sammlung. Und bereits 1972 widmete das Wallraf-Richartz-Museum Rosenquist eine große Ausstellung in Köln.

In der jetzigen Ausstellung im Museum Ludwig wird auch das Zustandekommen der Riesenbilder dokumentiert. Dank mühevoller Recherche haben Museumsmitarbeiter Rosenquists Vorlagen aus Illustrierten zutage gefördert - etwa das Kuchenstück auf dem John F. Kennedy-Gemälde "President Elect": Es stammt aus einer Werbeanzeige für eine Backmischung. Jedes dieser Stillleben der Konsumwelt ist nicht nur ein Kommentar auf die Massenkultur, sondern auch erstaunlich politisch und gesellschaftskritisch. Nach solchen Haltungen muss man in der heutigen Kunst manchmal lange suchen.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion