Planspiele an der Canary Wharf
27. Juni 2016Ganz gleich, ob die internationalen Großbanken in London bereits die Weichen für Job-Verlagerungen auf den Kontinent gestellt haben oder ob sie noch abwarten: Der Gegenwind für die Erfolgs- und Bonus-verwöhnten Banker in der Londoner City und dem Finanzdistrikt an der Canary Wharf wird durch den Brexit stärker. Mittelfristig könnten bis zu 100.000 Jobs in der Finanzbranche auf der Insel verloren gehen, so das düstere Szenario einer Studie von PricewaterhouseCoopers.
Eines der schlagendsten Argumente für den Finanzplatz London war bislang das 'Passporting', das die Briten der Europäischen Union in zähen Verhandlungen abgerungen haben. Diesen EU-Finanzmarkt-Pass, den nur Großbritannien besitzt, nutzen vor allem Schweizer und US-Banken, um von London aus ihre Finanzdienstleistungen in der gesamten EU zu verkaufen. Der Vorteil: Sie müssen sich dabei nur an die vergleichsweise laxen britischen Finanzmarktregeln halten und nicht an die oft viel strikteren Gesetze auf dem Kontinent. Ein weiterer angenehmer Nebeneffekt – vor allem aus Sicht der US-Investmentbanken: Den strengeren deutschen oder französischen Kündigungsschutz können Goldman Sachs oder JP Morgan mit einem EU-Brückenkopf in London umschiffen. Doch nach dem Brexit wäre es damit wohl vorbei.
Standortfaktor Passporting
"Wenn Großbritannien morgen nicht mehr Mitglied des Europäischen Binnenmarktes ist, dann kann auch die Londoner City den EU-Finanzmarkt-Pass nicht behalten", kündigte bereits der Chef der französischen Notenbank und EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau im Gespräch mit dem Radiosender 'France Inter' an.
Niemand glaubt ernsthaft daran, dass innerhalb kürzester Zeit Tausende von Jobs aus London nach Frankfurt, Paris oder Dublin verlegt werden. Trotzdem macht London als EU-Brückenkopf für die US-Finanzbranche oder für Schweizer Großbanken nach dem Vollzug des Brexit immer weniger Sinn. Außerdem werde die EU-Finanzpolitik nach dem Ausscheiden der Briten insgesamt stärker Euro-zentriert sein, meint Jonathan Hill.
Im Financial Times-Interview geht der zurückgetretene britische EU-Finanzkomissar davon aus, dass sich in Zukunft die strikteren französischen und deutschen Vorstellungen bei der Finanzmarktregulierung durchsetzen werden. Jonathan Hill ist davon überzeugt, dass es ohne britisches Dagegenhalten ungemütlich wird für die Londoner Finanzbranche. Auch der geplante gemeinsame europäische Finanzmarkt würde jetzt stärker an den Interessen der Eurozone ausgerichtet, glaubt Hill.
Termingeschäfte rund um den Euro in Gefahr?
"Bei einem Austritt Großbritanniens aus der EU können die Behörden der Euro-Zone nicht länger tolerieren, dass ein großer Anteil von Finanztransaktionen im Ausland abgewickelt wird", betonte unlängst Christian Noyer, ehemaliger Vize-Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB).
Schon seit längerer Zeit versucht die EZB, das globale Geschäft mit Zinsterminkontrakten unter ihre Aufsicht zu bekommen. Das nach Schätzungen der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) 383 Billionen Euro schwere Geschäft wird zur Hälfte über eine Tochter der Londoner Börse abgewickelt.
Frankfurt am Main könnte von einer Verlagerung dieses Geschäfts profitieren, auch wenn man an die geplante Fusion der Deutschen mit der Londoner Börse denkt. Und einige Tausend Jobs werden wohl ebenfalls nach Frankfurt verlagert, glaubt Hubertus Väth, Geschäftsführer des Interessenverbandes Frankfurt Main Finance, der auf seiner Website Umzugswillige anlockt. Väth zufolge habe es in den vergangenen Monaten viele "sehr konkrete Anfragen" internationaler Unternehmen gegeben. "Konservativ geschätzt" könnten demnach binnen fünf Jahren 1,5 bis zwei Prozent der Londoner Finanzjobs nach Frankfurt wechseln, sagt Väth. "Das wären mindestens 10.000 Arbeitsplätze".
Beispiel Deutsche Bank
Für Deutsche Bank-Chef John Cryan wäre Frankfurt die erste Wahl, wenn es um die Verlagerung eines Teils der 8000 Londoner Jobs seiner Bank geht: "Für uns würde es, wenn überhaupt, Frankfurt werden." Dass das alle Banken so sehen, ist aber eher unwahrscheinlich. Dublin bringt sich bereits seit Monaten als englisch-sprachiger Standort bei US-Finanzkonzernen in Stellung. Und die Schweizer Credit Suisse hat zwar ihr Hedgefonds-Geschäft vor einem halben Jahr in die irische Hauptstadt verlagert. Daneben wurden aber auch Tausende von Credit Suisse-Stellen aus Kostengründen ins polnische Breslau verlagert - auf der Landkarte der internationalen Finanzzentren bisher eher ein dunkler Fleck.