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Ai Weiwei beim Poesie-Festival Berlin

Elizabeth Grenier bb
30. Mai 2018

Wer sind die Gewinner der Globalisierung, wer ihre Verlierer? Ai Weiwei und der Dichter Yang Lian geben mit ihrer Kunst unbequeme Antworten auf diese Fragen - so auch bei "Elegie und Aufbruch" beim Poesiefestival Berlin.

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Deutschland Lesung Elegie und Aufbruch 19. Poesiefestival Berlin
Bild: DW/E. Grenier

Ai Weiweis Nachstellung des Fotos vom gestrandeten Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi mag zwar nicht seine technisch ambitionierteste Arbeit gewesen sein, dafür aber eine seiner meistdiskutierten. Kurdis lebloser, an den Strand gespülter Körper war zum Sinnbild der Misere unzähliger Flüchtlinge geworden.

Mit einem T-Shirt, das eine gezeichnete Version Ai Weiweis bei seiner Nachstellung dieser Szene zeigt, wird dem Werk "Aiweiwei am Strand" nun eine Metaebene hinzugefügt. Wahrscheinlich wird die cartoonhafte Darstellung diejenigen, die Ai Weiweis Kunstwerk geschmacklos fanden, nicht unmittelbar umstimmen. Doch ein einfacher Vers des Dichters Yang Lian auf der Rückseite des T-Shirts verleiht dem vielfach reproduzierten Motiv zusätzlichen Ausdruck - und wirft die Frage auf, ob wir uns nicht alle einmal Zeit nehmen und die Pose nachstellen sollten: 

"Refusing to let / the poem sink into / dead indifferent / beauty."

Präsentiert wurde das Shirt am Dienstag (29.05.2018) während der Veranstaltung "Elegie und Aufbruch" im Rahmen des 19. Poesiefestivals Berlin. Zu dem Event hatte das Haus der Poesie die drei chinesischen Künstler Ai Weiwei, Yang Lian und Zheng Xiaoqiong eingeladen.

Foto von Ai Weiwei, Yang Lian und Zhen Xiaoqiong bei "Elegie und Aufbruch" im Rahmen des 19. Poesiefestivals Berlin.
V.l.n.r.: Ai Weiwei, Yang Lian und Zheng Xiaoqiong bei der Lesung "Elegie und Aufbruch" in BerlinBild: DW/E. Grenier

Kritiker im Exil

Die Biografien von Ai Weiwei, geboren 1957, und Yang Lian, geboren 1955, weisen überraschend viele Parallelen auf: Mao Zedongs Kulturrevolution zerstörte ihre Familien. Beide mussten als Kinder in Arbeitslager. Zur Zeit leben beide im Exil in Berlin, weil sie die Repressionen der chinesischen Behörden zu spüren bekommen. 

Yang Lian ist ein etablierter Dichter. Ai Weiwei, Sohn von Ai Qing, einer der bedeutendsten modernen Poeten Chinas, lotet erst noch verschiedene Formen der Poesie aus. So wird auch die Geschichte seiner jüngsten Dokumentation "Human Flow" in Versen erzählt, die von Dichtern wie Nazim Hikmet aus der Türkei, dem Syrer Adunis oder dem Palästinenser Mahmud Darwisch stammen. 

Touristen-Gondeln werden zu Flüchtlingsbooten

Gleich mehrere Gedichte Yang Lians sind eine Hommage an Ai Weiweis soziales und regimekritisches Engagement. Im Rahmen von "Elegie und Aufbruch" las er Ausschnitte aus zwei seiner Gedichte vor: "Negationssätze eines Sonnenblumenkerns" schrieb Yang, als Ai in China inhaftiert war. Das Gedicht bezieht sich auf Ais berühmte Installation "Sonnenblumenkerne", die von 2010-2011 in der Tate Modern zu sehen war. Das Gedicht endet mit dem Vers, den auch die Rückseite des T-Shirts ziert. 

"Venedig Elegie" lautet der Titel des neuesten Gedichts von Yang. Darin befasst er sich mit den Opfern der Migration und Globalisierung - ebenfalls Fokus von Ai Weiweis Arbeiten in den vergangenen drei Jahren. Die Verse des Gedichts nehmen zwar Bezug auf die romantische Vorstellung von Venedig, doch verwandeln sich die schwankenden Gondeln in überfüllte Boote, die schließlich im Mittelmeer untergehen.

Ai Weiwei und Yang Lian signieren Bücher und T-Shirts bei der Lesung "Elegie und Aufbruch" beim 19. Poesiefestival Berlin.
Ai Weiwei und Yang Lian signieren Bücher und T-Shirts Bild: DW/E. Grenier

Harte Fabrikarbeit als Stoff für Poesie

Wahrscheinlich lenkte vor allem Ai Weiweis Teilnahme das Medieninteresse auf die Lesung, doch der erfrischendste Gast des Abends war jemand anderes: die Dichterin Zheng Xiaoqiong. 

Sie wurde 1980 in der Provinz Sichuan geboren und wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. "Wir waren froh, wenn wir eine Mahlzeit am Tag hatten", sagt sie. 2001 verließ sie ihre Heimat und arbeitete in Niedriglohnfabriken in Dongguan im Südosten des Landes. Die harten Arbeitsbedingungen verarbeitet sie in ihren Gedichten. 

"Es ist schwer vorstellbar, dass es irgendein Land geben soll, in dem es als kluge Entscheidung gilt, Dichter zu werden. Aber noch mehr gilt das für die Ärmsten und am meisten Benachteiligten, die versuchen, in Chinas wahnsinnigen Wirtschaftszonen Fuß zu fassen", schreibt die chinesische Medienexpertin Megan Walsh. Das trifft auch auf Zheng Xiaoqiong als eine der Vertreterinnen der Gastarbeiter-Poesie zu, eines Genres, das in China immer populärer geworden ist. 

2007 gewann die damals noch unbekannte Dichterin überraschend eine wichtige chinesische Auszeichnung, den Liqun Literaturpreis. Er erlaubte es ihr, den Fließbändern in der Fabrik den Rücken zu kehren und für einen Zeitschriftenverlag zu arbeiten. Inzwischen ist Zheng regelmäßig zu Poesie-Lesungen auf der ganzen Welt eingeladen - nach Berlin geht es für sie nach Hamburg und Bremen.

Zheng Xiaoqiong bei der Lesung "Elegie und Aufbruch" beim 19. Poesiefestival Berlin.
Zheng Xiaoqiong las in Berlin ihr Gedicht über Gastarbeiter vorBild: DW/E. Grenier

Realität des globalisierten Chinas ist komplex

Für Ai Weiweis und Yang Lians Generation waren innerstaatliche Repressionen der Hauptfeind. Doch heute sei die Realität in China weitaus komplexer als vor dem Ende des Kalten Krieges, erklärt Ai. Die Globalisierung bringe Bauern dazu, in Fabriken zu arbeiten und Güter für den Rest der Welt zu produzieren, sagt Yang. Damit seien sie ganz weit unten. Die derzeitige Situation ist "dem Zynismus und der Gier der gesamten Welt geschuldet", so der Dichter. 

"Während ich die kleinen Versatzstücke zu einem Gedicht zusammengebaut habe, habe ich mich mit der ganzen Welt verbunden gefühlt", berichtete Zheng Xiaoqiong vor ihrer Lesung. In ihrem Gedicht beschreibt sie, wie sie die Arbeit krank gemacht hat: "Ich unterdrücke den Schmerz / mit Anstrengung die Wut". 

Ein neues Leben

Auch wenn Zheng die Arbeit in der Fabrik aufgegeben hat, so hat sie immer noch Kontakt zu ihren früheren Kollegen und verarbeitet deren Erfahrungen in ihren Werken. Mit den Behörden habe sie aufgrund ihrer Arbeit noch nie Probleme gehabt, sagt sie im Gespräch mit der DW. Doch so oder so: Was für sie zählt ist, dass sie das tut, was sie für richtig hält. "Das fühlt sich gut an." 

Oder, wie sie es in einem anderen Gedicht über ihre einstigen Kollegen ausdrückt: "Jedes unbedeutende Leben hat eine endlose Bedeutung."