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Politik

Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes

15. April 2020

Polens Abtreibungsgesetz ist restriktiv, dennoch diskutiert das Parlament über seine Verschärfung. Wegen der Corona-Einschränkungen des öffentlichen Lebens werden die Gegner kreativ und erfinden neue Protestformen.

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Polen Proteste gegen strengeres Abtreibungsrecht
Warschau: Blitze auf den Autoscheiben - das Symbol der Proteste.Bild: Reuters/Gazeta /M. Jazwiecki

Hupende Autos blockieren halbleere Straßen von Warschau. Auf den Autoscheiben sieht man gemalte Blitze - das Symbol dieser Proteste. Die Plakate auf den Autos rufen zur Ablehnung neuer Abtreibungsrestriktionen auf. Mit Schutzmasken vermummte Gesichter weisen auf die Hashtags in den sozialen Medien wie etwa "die Hölle der Frauen" (#pieklokobiet). Diejenigen, die wegen "social distancing" lange Schlangen vor den Läden stehen müssen, tragen Transparente mit Protestparolen und Appellen an Politiker wie etwa "Kämpft gegen das Virus, nicht gegen die Frauen". Einige tragen schwarze Regenschirme, auch ein Symbol der Frauenproteste der letzten Jahre in Polen.

So bringen liberale Polen in den Corona-Zeiten ihren Unmut gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes zum Ausdruck.

Polen Proteste gegen strengeres Abtreibungsrecht
Origineller Protest in Corona-ZeitenBild: Reuters/Gazeta /M. Jazwiecki

Scharfe Regelungen

Für die Abtreibung gelten in Polen seit 1993 Regelungen, die zu den schärfsten in Europa gezählt werden. So ist Abtreibung nur bei Lebensgefahr für die Mutter, bei schweren Fötusschäden und bis zur 12. Abtreibungswoche auch bei Straftaten wie Vergewaltigung oder Inzest zugelassen.

Ein Arzt, der die Abtreibung vornimmt, muss theoretisch mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren rechnen. Die rund 830.000 Mitglieder der Volksinitiative "Stoppt Abtreibung" fordern ein strikteres Abtreibungsverbot auch bei schwer kranken und missgebildeten Föten. Nur noch zwei Ausnahmen sollen gelten: Lebensgefahr für die Mutter und Straftat.

Rückenwind der Regierung

Die Gesetzinitiative liegt schon seit Herbst 2017 im Sejm, dem polnischen Parlament. Dennoch bringt sie die PiS-Mehrheit gerade jetzt auf die Tagesordnung, knapp einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen und mitten in der Pandemie. Für die Pressesprecherin der Initiative "Stoppt Abtreibung", Kaja Godek, hat es eine symbolische Bedeutung, weil "wir jetzt den Bedarf, das Leben zu schützen, besser verstehen".

Die Initiative bekommt Rückenwind von der regierenden PiS. "Eine eugenische Abtreibung dürfte nicht gesetzlich zugelassen sein", sagte Vizepremierminister Jacek Sasin (PiS) im Vorfeld der Debatte im Parlament. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski hatte schon mehrmals seine Unterstützung geäußert. Falls die Verschärfung des Gesetzes angenommen wird und Frauen auch Kinder ohne Überlebenschancen austragen müssten, könnten diese laut Kaczynski im katholischen Sinne "getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen tragen".

Ein mögliches Ablenkungsmanöver

Das umstrittene Thema während der Corona-Pandemie und kurz vor den Wahlen zu diskutieren, ist für die Opposition nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver. "In Zeiten, in denen Menschen um ihr Leben kämpfen, Unternehmen insolvent werden, viele ihre Arbeit und Wohnungen verlieren, will das Parlament über Projekte der Fanatiker diskutieren", empört sich Barbara Nowacka, eine der führenden Politikerinnen der größten Oppositionspartei Bürgerkoalition (KO). Damit wolle die PiS die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den wichtigen Problemen wie fehlende Schutzmasken und mangelhafte Ausrüstung der Krankenhäuser ablenken.

Die Präsidentschaftskandidatin der Bürgerkoalition, Malgorzata Kidawa-Blonska, ist gegen die Verschärfung der Abtreibungsregelungen. "Wir Politiker müssen den Frauen Bedingungen gewährleisten, in denen sie sich sicher fühlen. In jeder Wahlperiode kommen wir mindestens zweimal auf dieses Thema zurück und jedes Mal wird versucht, den Frauen diese schwierige Entscheidung wegzunehmen", sagt Kidawa-Blonska.

Polen Proteste gegen strengeres Abtreibungsrecht
Der rote Blitz - dass allgegenwärtige Symbol der ProtesteBild: Reuters/Gazeta /M. Jazwiecki

Ein Dauerstreit der polnischen Politik

Die Abtreibung ist in Polen ein ständig wiederkehrendes Thema, das seit 1989 fast in jedem Wahlkampf diskutiert wird. Besonders präsent ist es seit 2015 geworden, nachdem die nationalkonservative PiS erneut an die Macht kam. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Frauenproteste stattgefunden, darunter sogenannte "schwarze Märsche" von schwarzgekleideten Frauen. Kleiderbügel wurden zum Symbol für drastische illegale Abtreibungsmethoden.

Das geltende restriktive Gesetz zwingt viele Frauen, illegal oder im Ausland abtreiben zu lassen. In Polen finden 1.000 legale und geschätzt 150.000 illegale Abtreibungen statt.

"Wir Frauen werden so behandelt, als ob wir kein Gewissen und keine Moral hätten", empört sich im DW-Gespräch die Schriftstellerin und Feministin Sylwia Chutnik, die die Frauendemos mitorganisiert. "Wir Frauen werden als Instrument bei verschiedenen politischen Spielen verwendet", sagt Chutnik.

In der Kampagne gegen die Verschärfung der Abtreibungsregelungen engagieren sich bekannte Persönlichkeiten, darunter das aus Polen stammende Top-Model Anja Rubik. "Leider müssen wir wieder um unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und Würde kämpfen", schreibt sie auf ihrem FB-Profil. Auf einer Hand hat sie einen roten Blitz gemalt, der die diesjährigen Proteste symbolisiert.

Laut Umfragen ist eine überwiegende Mehrheit der Polen gegen die Verschärfung der Regelungen. Letztes Jahr waren laut der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza knapp über die Hälfte der Polen für eine freie Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau