Polen und die Türkei - seit langem Partner
14. Februar 2023Seit Monaten warten Finnland und Schweden auf ihre Aufnahme in das nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO. Im Mai 2022 hatten sie unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs die Mitgliedschaft beantragt. 28 von 30 NATO-Mitgliedsstaaten haben zugestimmt. Nur zwei Länder blockieren: Ungarn und die Türkei.
Doch während Ungarns Premier Viktor Orban inzwischen zugesagt hat, der Norderweiterung des Bündnisses nicht länger im Weg zu stehen, knüpft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Bedingungen an seine Zustimmung. So verlangt er von Schweden, eine härtere Linie gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK und die Gülen-Bewegung einzuschlagen und Aktivisten beider Organisationen, die in Schweden Asyl gefunden haben, an die Türkei auszuliefern.
Nun möchte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki helfen, die Blockade zu überwinden. Bei einem Besuch in der schwedischen Hauptstadt Stockholm verwies er am Montag (14.02.2023) auf die ausgezeichneten Beziehungen seines Landes zur Türkei und versprach, diese zu nutzen, um auf den türkischen Präsidenten einzuwirken. In der Tat verbindet beide Länder trotz geographischer und kultureller Distanz eine lange freundschaftliche Beziehung, die auf einer jahrhundertealten gegenseitigen Sympathie fußt.
Anerkennung der Türkei als überregionale geopolitische Macht
"In den Beziehungen zwischen Polen und der Türkei spielt eine Sentimentalität eine wichtige Rolle, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden ist", sagt Bruno Surdel, Türkei-Experte des polnischen Zentrums für Internationale Beziehungen CSM der DW. "Dazu kommt auf der polnischen Seite Realpolitik: die Anerkennung der Türkei als eine überregionale geopolitische Macht."
So hat sich Präsident Andrzej Duda in den vergangenen Jahren häufig mit Erdogan getroffen. Zuletzt war Duda 2022 in Ankara, Erdogan seinerseits besuchte Polen zuletzt 2017. "Wegen langer bilateraler Kontakte zeichnet sich das Verhältnis beider Präsidenten durch gegenseitige Achtung aus", so die Einschätzung von Aleksandra Spancerska, Expertin des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten PISM.
Der gemeinsame Feind: Russland
Dabei haben sich Polen und Türken in der Vergangenheit durchaus oft auf Leben und Tod bekämpft. Im 17. Jahrhundert hatten beide Staaten - die polnische Adelsrepublik und das Osmanische Reich - am Fluss Dnjestr (heute in der Ukraine) eine gemeinsame Grenze und lieferten sich blutige Kriege. Der polnische König Jan III. Sobieski trug 1683 entscheidend zur Niederlage des Großwesirs Kara Mustafa vor Wien bei und stoppte damit den türkischen Sturm auf Europa.
Doch diese alten Konflikte sind längst vergessen. Seit 300 Jahren gelten Polen und die Türkei (bis zum Ende des Ersten Weltkriegs das Osmanische Reich) als Verbündete. "Russland, der gemeinsame Feind, brachte beide Nationen zusammen und zementierte die Freundschaft", erläutert der polnische Türkei-Experte Surdel.
Ein polnisches Dorf bei Istanbul
Als der polnische Staat am Ende des 18. Jahrhunderts unter Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt wurde und für 123 Jahre von der Weltkarte verschwand, erkannte das Osmanische Reich diese Teilung nicht an. Nach den misslungenen Aufständen gegen die Teilungsmächte wurde die Türkei zum Fluchtort für polnische Migranten. Seit 1842 gibt es nahe Istanbul ein polnisch geprägtes Dorf: "Polonezköy", polnisch "Adampol".
Es wurde von Siedlern aus Polen gegründet. Polens Nationaldichter Adam Mickiewicz bemühte sich Mitte des 19. Jahrhunderts um die Aufstellung einer polnischen Militäreinheit auf osmanischem Territorium, die gegen das Zarenreich kämpfen sollte. Der Poet selbst starb bei den Einsatz-Vorbereitungen im November 1855 in Istanbul.
Diplomatie und Technik verbinden
Auch im 20. Jahrhundert blieb das Bündnis lebendig. Polen erkannte als erster europäischer Staat 1923 die türkische Republik des Mustafa Kemal Pascha Atatürk diplomatisch an. Im Zweiten Weltkrieg, als Polen deutsch und sowjetisch besetzt wurde, konnte die polnische Botschaft in Ankara ihre Tätigkeit fortsetzen. Mehr als hundert polnische Ingenieure, die in der Hauptstadt der Türkei Zuflucht gefunden hatten, prägten entscheidend die Entwicklung der türkischen Luftfahrt.
Nach einer Unterbrechung in der Nachkriegszeit, als das kommunistische Polen und die Türkei zwei verfeindeten Bündnissystemen - Warschauer Pakt und NATO - angehörten, wurden die polnisch-türkischen Kontakte Anfang der 1990er Jahren reaktiviert. Polens Beitritt zur NATO zementierte das enge Verhältnis: Warschau befürwortete den Beitritt der Türkei zur EU und hielt sich mit der Kritik an Ankara wegen Verfolgung der Opposition nach dem Putschversuch von 2016 zurück.
Die Türkei als Vermittler in Russlands Krieg gegen die Ukraine
Mittlerweile hat Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die internationale und sicherheitspolitische Bedeutung Ankaras gestärkt. Die Türkei bot sich als Vermittler an, als es kaum Länder gab, mit denen sowohl Kiew als auch Moskau reden wollten. Das historische Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland wurde dank türkischer Vermittlung unterzeichnet.
"Polen erkennt die geopolitische Bedeutung der Türkei an, ihre Brückenfunktion zwischen dem Nahen Osten und Europa, zwischen Russland und Europa, sowie ihre militärische Stärke", erklärt der polnische Türkeiexperte Surdel. "Mit keinem anderen wichtigen Land außerhalb Europas unterhält Polen derart starke Beziehungen. Warschau nutzt das, um seine internationalen Kontakte zu diversifizieren."
Exportschlager türkische Drohne
Der Krieg finde in einer Zeit statt, in der die Kriegsführung sich "in einer radikalen Umgestaltung und einem tiefgreifenden Wandel" befinde, meint Osteuropaexperte Zaur Gasimov von der Universität Bonn. Die Türkei profitiere von dieser Tatsache. "Neue Technologien erweisen sich in den Kriegen der letzten Zeit als entscheidend. Und in diesem Bereich ist die Rolle der Türkei einzigartig: Sie ist eine Drohnenmacht mit einer expandierenden Militärindustrie", so Gasimov.
Zum türkischen Exportschlager wurde die Drohne Bayraktar TB-2, die seit 2022 auch von der polnischen Armee genutzt wird. "Polen ist heute ein wichtiger Absatzmarkt für türkische Hightech-Waffentechnologien und neben der Ukraine einer der bedeutendsten Käufer der türkischen Drohnen", so Gasimov.
Auch wirtschaftlich und kulturell expandiert die Türkei in Polen. "Die türkischen Beziehungen zu Mittelosteuropa boomen seit einem Jahrzehnt", erklärt der Osteuropa-Experte und verweist auf steigende türkische Exporte in die Region - vor allem Textil- und Nahrungsprodukte. Zudem verbringen seit Jahrzehnten viele polnische Touristen ihren Urlaub in der Türkei und türkische Studenten absolvieren ihr Erasmus-Semester an polnischen Hochschulen.
Das verheerende Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet am 6.02.2023 hat auch in Polen große Hilfsbereitschaft ausgelöst. Noch am gleichen Tag flogen 76 polnische Feuerwehrleute mit acht Suchhunden von Warschau ins Krisengebiet. Es folgte eine Gruppe Rettungsmediziner. Die polnischen Retter kamen in Adiayaman und Besni zum Einsatz und konnten im Lauf einer Woche 13 Verschüttete aus den Trümmern bergen. Sie errichteten auch ein polnisches Feldlazarett, in dem mehr als 100 Verletzte behandelt wurden.