Andy Summers: Musiker und Fotograf
28. Juli 2022Irgendwie gleichen sich die Hotelzimmer ja doch überall auf der Welt. Wenn eine Band auf dem Höhepunkt ihrer Karriere die ganze Welt bereist, kann das schonmal eintönig werden, egal, wo sie gerade gastiert, ob in New York, in Tokio, in Berlin oder in Sydney. Andy Summers, Jahrgang 1942, stieß 1977 zur Band "The Police", die soeben im gleichen Jahr von Sting und Stewart Copeland gegründet worden war. Er startete eine rasante Karriere. Eine Tournee folgte der nächsten. Was aufregend war - aber auch ein bisschen monoton: Außer der Bühne und den Fans gab es nur: Tourbusse, Flugzeugkabinen, Hotelzimmer.
Andy Summers, dessen Gitarrenriffs den Sound von "The Police" geprägt haben, wusste sich zu beschäftigen. Denn seine zweite Leidenschaft neben dem Gitarrenspiel galt der Fotografie. Er erinnert sich: "Wir waren damals eine wirklich heiße Band, und jeder wollte uns fotografieren. Und dann kam ich auf die Idee, selber zu fotografieren, ohne zu wissen, ob ich irgendein Talent habe." Er traf den Gitarristen und leidenschaftlichen Fotografen Ralph Gibson, der ihm den Tipp gab, sich eine kompakte Kamera zuzulegen, am besten eine Leica M4-2. Diese Kultkamera überzeugte Summers - er ging raus auf die Straßen von New York und "fotografierte wie wahnsinnig", erzählt der fast 80-Jährige anlässlich der Ausstellungseröffnung in Wetzlar.
Entspannt plaudert Andy Summers über seine ersten Jahre als Musiker und Fotograf, über zumeist weibliche Fotografen in New York, die über und über mit Taschen voller Kameras und Objektiven behängt waren, über seine Faszination für die Städte und Menschen in Marokko, in Japan, in China, in Bolivien.
Viele verschiedene Motive gehören zu Summers' Sammlung: Straßenszenen wie ein Tango tanzendes Paar in Buenos Aires, ein Mann mit einem Baby auf dem Arm, ein Kind auf einem Sprungbrett im Schwimmbad, Frauen mit nackten Brüsten und Tätowierungen, Er knipste Landschaften sowie Nonsens-Bilder mit irgendwelchen urkomischen Situationen. Beim Betrachten der Bilder glaubt man, das Lachen und Gekicher im Hintergrund förmlich hören zu können. Ein jedes Foto habe eine Geschichte, sagt Summers beim Rundgang durch die Ausstellung.
Ein Raum der Ausstellung beschäftigt sich mit seiner Zeit auf Tournee mit "The Police". Hier hängen Bilder von ihm, Gitarre spielend im Hotelbett sitzend. Endlose Hotelflure. Ein wehender Vorhang im Hotelzimmer, eine Ecke mit leeren Flaschen und vollen Aschenbechern. Junge Frauen, Groupies, Publikum. Endlose Weiten beim Blick aus dem Fenster des Tourbusses, Greyhound-Romantik, Flugzeugturbinen. Sting macht Blödsinn, Stewart Copeland vor einem Gebäude - irgendwo im Nirgendwo.
Summers hielt die überschäumende Energie der Konzertbesucher, die pulsierenden Städte des Tourneeplans und die nächtlichen Ausflüge fest. Seine Fotos wurden schnell zu einem "coolen visuellen Gegenstück zur Musik", spiegeln eine Art urbanen Surrealismus wider. "Ich fotografiere Dinge oft so, dass man kaum noch erkennt, was ich eigentlich abbilde," erzählt Summers. "Ich gehe an die Grenzen dessen, was mit einer Kamera machbar ist. Dadurch entstehen oft ganz fantastische Bilder, die an alltäglichen Dingen etwas zeigen, was man ansonsten an ihnen nicht gesehen hätte." Der Name der Ausstellung "A Certain Strangeness" - eine gewisse Seltsamkeit - ist Programm. Einmal wollte eine Frau in Los Angeles von Summers, dass er errät, wo sie ihre Tätowierung habe. Entgegen seiner ersten Vermutung, dass da etwas im Intimbereich zu entdecken sei, entblößte die Frau ihre Unterlippe mit drei Dollarzeichen.
Farbfotografie hat Summers nie so gereizt wie Schwarzweiß-Aufnahmen. Daher gibt es in der Wetzlarer Ausstellung auch kein einziges Farbfoto zu sehen. Die monochrome Optik und die für viele Leica-Fotos so typische Intimität gepaart mit einer durch Schärfe und Körnung hervorgerufenen Dramatik geben Summers' Beobachtungen einen ganz besonderen Reiz. Da wird selbst eine Setliste von einem Police-Konzert zum fotogenen Sujet - nicht nur, weil die Titel darauf legendär sind…
Für den Musiker Andy Summers ist Fotografie lediglich eine andere Form von Musik. "Es ist egal, ob es Malerei ist, Schriftstellerei oder Filmemachen - ich finde immer Musik darin." Jede Form, jede Linie, jede Beschaffenheit könne man auf Musik übertragen. "Überall ist Rhythmus".
Die Ausstellung "A Certain Strangeness" mit über 150 Fotografien aus den Jahren 1979 bis 2018 ist im Ernst Leitz-Museum in Wetzlar vom 28. Juli bis 5. Oktober 2022 zu sehen.