Politikverdrossene Jugend? Von wegen!
2. September 2017"Wir unterschätzen unsere Jugendlichen, ihr Wissen und ihr Interesse!", sagt Dominik Pinsdorf am Nachmittag nach der dreistündigen Diskussion bei "Jugend trifft auf Politik" im großen Saal des Bornheimer Rathauses. Bei diesem Satz ärgert sich der Vorsitzende des Jugendstadtrings Bornheim aber nicht, im Gegenteil. Pinsdorf ist begeistert, strahlt regelrecht vor Zufriedenheit über die Veranstaltung.
Drei Stunden zuvor: Gut 65 Schüler aus den Bornheimer Schulen sind an diesem Freitagmittag gekommen, um mit fünf Politikern zu diskutieren: Norbert Röttgen (CDU), Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Matthias W. Birkwald (Die Linke), Alexander Graf Lambsdorff (FDP) und Sebastian Hartmann (SPD) sind auf Einladung von Dominik Pinsdorf gekommen. Drei Wochen vor der Bundestagswahl, mitten im Endspurt des Wahlkampfes. "In Zeiten, in denen Fake-News und Co. anscheinend gefährlicher denn je sind, in denen lieber gelikt, geteilt und gepostet wird, freue ich mich, dass ihr den Weg nach Bornheim gefunden habt, um euch zu informieren und im direkten Austausch mit den Politikern zu stehen", begrüßt Dominik Pinsdorf die Jugendlichen.
AfD bewusst nicht eingeladen
Einige der anwesenden Schüler zwischen 14 und 18 Jahren werden am 24. September zum ersten Mal selbst wählen dürfen. Für sie ist es die Chance, sich mit ihren Fragen und Sorgen persönlich an die Politiker zu wenden. So auch für den 18-jährigen Alexander Thomas. "Das ist meine erste Wahl. Auch wenn ich schon Präferenzen habe, bin ich bisher noch unentschieden", sagt er. Die Schüler sitzen an acht großen Tischen in dem lichtdurchfluteten großen Saal, das Grundgesetz liegt darauf. Die fünf Politiker sitzen auf dem Podium davor.
Dass die Alternative für Deutschland (AfD) in Bornheim nicht dabei ist, sei eine bewusste Entscheidung gewesen, erklärt der hauptberufliche Lokführer Pinsdorf. Die Partei stehe mit ihrem Wahlprogramm nicht nur im Widerspruch zum Motto des Bundesjugendrings "Vielfalt unter einem Dach". Auch nach den jüngsten Aussagen von Alexander Gauland über die Staatsministerin Aydan Özuguz könne man die Partei nicht ohne Bedenken einfach einladen. "Das Schöne an der Demokratie ist ja, dass man sich aussuchen kann, wen man sich einlädt", findet der 24-Jährige. Sollte die AfD nach der Wahl im Bundestag sitzen, werde der Stadtjugendring aber bei der nächsten Veranstaltung neu beraten.
Ketchup oder Mayo?
Die Moderatorin Franziska Becker, die sich selbst im Jugendparlament Monheim engagiert hat, eröffnet die Debatte mit einer schnellen Vorstellungsrunde. Zwei Minuten haben die Politiker Zeit, um sich und ihre Ideen für junge Wähler vorzustellen. Für die ersten Schmunzler sorgen dann die Entweder-oder-Fragen: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hartmann entscheidet sich für "Apple statt Android". Bei der Frage "Ketchup oder Mayo" antwortet der Linken-Politiker Birkwald, Direktkandidat in Köln, mit einer Mischung aus Lokalpatriotismus und Politikerdiplomatie: "Natürlich rot-weiß". So seicht wird der Nachmittag allerdings nicht bleiben.
Drei Diskussionsrunden zu je 15 Minuten Länge hat der Jugendstadtring für den Nachmittag vorgegeben. Zuerst "Welche Probleme sehen die Jugendlichen?", dann "Wie kann man die Probleme lösen?" und als Abschluss "Was wünsche ich mir für die Zukunft von Deutschland?" Dafür setzen sich die Politiker jeweils für eine Runde an den Tisch und stellen sich den Fragen der Schüler.
Breites Themenspektrum
Direkt von Beginn an fällt auf: Die von den Jugendlichen angesprochenen Themen sind nahezu identisch mit dem, was auch die restlichen Wähler in Deutschland bewegt: Innere Sicherheit, Rentenpolitik, Investitionen. Und die Schüler wissen auch genau, mit wem sie über welche Themen sprechen wollen. An Tisch 3 redet die Gruppe mit Anton Hofreiter über den Diesel-Skandal, die Umwelt und über die Innere Sicherheit. Erstwähler Alexander Thomas spricht gleich zu Beginn das Thema "Flüchtlinge und Integration" an, als Norbert Röttgen an den Tisch kommt. "Wir wollen natürlich helfen", sagt er mit Überzeugung, aber auch in Bornheim sei wegen der zur Erstaufnahmestation umfunktionierten Sporthalle viel Sportunterricht ausgefallen.
"Wissen Sie, was das Digitalste an der Schule ist?", fragt Alexander Graf Lambsdorff in die Tischrunde. "Na, die Pause", antwortet die Schülerin ihm gegenüber sofort. Den Spruch vom FDP-Wahlplakat kennen die Schülerinnen am Tisch 5 längst. Und sie nicken eifrig, wenn der Europapolitiker Lambsdorff sagt, dass die digitale Schule auch eine Frage der Lehrerfortbildung und nicht nur der Investitionen in Technik sei. Schließlich sind es die Lehrer, die den Digitalisierungsgrad vieler Schulen in Deutschland täglich erleben, diesen Widerspruch zwischen Snapchat in der Pause und Kreidetafel im Unterricht.
Nicht alles an diesem Nachmittag passt dabei in das vorgegebene Fragen- und Zeit-Korsett der drei Diskussionsrunden. Das hindert aber weder die Schüler noch die Politiker daran, einfach nach Interessenlage miteinander zu reden. "Es gibt einen hohen Grad an Ernsthaftigkeit und Offenheit bei den Jugendlichen", stellt der CDU-Politiker Röttgen später fest. Erst bei der abschießenden Podiumsdiskussion lässt die Aufmerksamkeit ein wenig nach. "Die Runde mit den Tischen war besser", findet Erstwähler Alexander Thomas. Mit der Antworten der Politiker zum Thema Integration ist er zufrieden, auch wenn er sich fragt, wie es mit einer europäischen Lösung aussieht.
Für das nächste Jahr plant der Stadtjugendring-Vorsitzende Dominik Pinsdorf einen Diskussionsnachmittag zum Thema Europa. Nach dem Ende der Veranstaltung schwappt bei ihm eine Mischung aus Elan, Politikbegeisterung und Adrenalin nahezu über, wenn er mit ausladenden Gesten und viel Begeisterung über den Nachmittag mit den Politikern spricht. Den obersten Knopf seines grauen Jacketts geöffnet, springt er immer wieder von Gruppe zu Gruppe. Ein Danke hier, eine Verabschiedung da, ein Resümee der Veranstaltung dort. "Ein Jugendparlament auf Bundesebene", sagt er und deutet dabei auf sein Herz, "das ist ein Traum von mir".