Politische Dialog-Versuche in der Türkei
6. August 2016Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist kein Mann, der zu Entschuldigungen neigt. Stattdessen kennt man ihn als geborenen Redner, der deutliche Worte spricht. Er treibt lieber seine Gegner in die Ecke, als sich selbst aus einer heraus zu manövrieren.
So auch in der vergangenen Woche. Da sprach er mit zerknirschter Miene darüber, wie er einst die Gülen-Bewegung unterstützte. Jetzt glauben er und mit ihm viele Türken von dieser im Geheimen operierenden religiösen Vereinigung, dass sie den gescheiterten Militärputsch Mitte Juli dirigierte.
"Lange Zeit haben wir nicht erkannt, dass diese Gruppe ein Instrument war, das ganz anderen, viel finsteren Zwecken dienen sollte als wir annahmen. Dafür bitte ich Gott und die Nation um Vergebung", sagte Erdogan in ungewohnt zurückhaltender Rhetorik.
Spätestens seitdem das Bündnis zwischen Gülen und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) Anfang 2013 in die Brüche ging, haben sich Erdogan und andere AKP-Sprecher regelmäßig gegen die Anhänger des türkischen Predigers Fethullah Gülen gewandt. In seiner Rede am Mittwoch betonte der Präsident, dass Politiker aus dem gesamten politischen Spektrum mit Gülen zusammengearbeitet hatten.
Putschversuch offenbart Schwächen
Dass Erdogan die Nation um Verzeihung bat, verdeutliche, wie erschüttert die politische Ordnung der Türkei seit dem Putschversuch ist, sagt Behlul Ozkan, Professor für Politik und internationale Beziehungen an der Istanbuler Marmara-Universität.
"Der Putschversuch hat gezeigt, dass Erdogan und die AKP schwächer sind als bislang angenommen. Der Präsident selbst bekam das sehr deutlich zu spüren, als er während des Aufstands nur knapp mit dem Leben davonkam", so Ozkan gegenüber der DW. Seit dem Putsch gebe es nun aber Signale, die eine mögliche Normalisierung der türkischen Politik andeuteten - "weg von den allzu autoritären Tendenzen, die wir bislang sahen".
Parteiübergreifende Gespräche
Seit dem Putschversuch gab es bislang seltene Zeichen der Einheit zwischen der Regierungspartei AKP und Teilen der politischen Opposition. Wiederholt traf sich der Vorsitzende der AKP, Premierminister Binali Yildirim, mit den Führern anderer Parteien, allerdings ohne die kurdische HDP.
Am 25. Juli lud Erdogan selbst Parteichefs zu einem Treffen. Daran nahmen neben Yildirim der Chef der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, sowie der Leiter der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Devlet Bahceli, teil. Es fehlte wieder die HDP.
Am Mittwoch erklärte Yildirim, es sei an der Zeit, "dass wir eine neue Seite aufschlagen und Regierung und Opposition sich zusammenschließen". Auch das zeige, dass an der Spitze des politischen Lebens in der Türkei nach dem Putschversuch eine zaghafte, noch nie da gewesene Atmosphäre des Konsenses entstanden sei, so Ozkan zur DW.
Pragmatische Erwägngen
Auch das AKP-Mitglied Harun Armagan sieht eine neue, versöhnliche Stimmung zwischen den politischen Führern aufziehen. "Der Putschversuch hat den Menschen klargemacht, dass eine polarisierte Gesellschaft anfälliger für antidemokratische Angriffe ist. Die politischen Führer und die Menschen haben verstanden, dass ein vereinter Standpunkt das System als Ganzes stärken kann."
"Den Putschversuch haben Zivilisten vereitelt. Viele Menschen haben ihr Leben verloren. Jetzt kommt es darauf an, dass die politischen Parteien ihre Gegensätze verringern, sich zusammenschließen und eine gemeinsame Antwort auf den Putschversuch finden. Dazu sind wir durchaus und auch langfristig in der Lage", so Armagan gegenüber der DW.
Auch Ozkan ist überzeugt, dass ein Konsens ebenso im Interesse Erdogans und seiner AKP wie auch der Oppositionsparteien CHP und MHP ist. Für deren Führung wäre eine solche politische Öffnung durchaus von Vorteil.
"Der Führer der MHP braucht Erdogans Unterstützung gegen die Dissidenten in seiner eigenen Partei. Und die CHP wünscht sich seit langem, zu einem funktionierenden Rechtsstaat zurückzukehren", so Ozkan.
Kalte Schulter für die Kurden
Doch die Erwärmung der AKP und der Opposition füreinander schließen andere von der Entspannungspolitik aus. So erhielt die kurdische Demokratische Volkspartei (HDP) keine Einladung in den Präsidentenpalast. Die linksgerichtete Partei steht für eine radikalere Opposition.
"Die HDP gerade nach dem Putschversuch auszuschließen, ergibt keinen Sinn", sagte ein Parteisprecher. "Das zeigt vielmehr, dass die Folgen des Putschversuches immer noch nicht verstanden worden sind."
Das Verhältnis zwischen der AKP und den nicht-kurdischen Parteien beruht in erster Linie auf einer gemeinsamen Sichtweise des Putsches und der Abneigung gegen die Gülen-Bewegung. Ob das als Basis reicht, ist allerdings offen. Es könnte auch ein vorübergehendes Phänomen sein, glaubt Burak Kadercan, Professor für Strategie und Politik am Naval War College in Newport, Rhode Island, USA.
"Ich würde nicht sagen, dass es eine Allianz zwischen diesen Parteien gibt. Eher hat der Putsch die bisherigen Differenzen übertüncht. Die Opposition derzeit wenig Grund, einen Streit mit der Regierung vom Zaun zu brechen", so Kadercan weiter.
Erdogans letzte Chance
Es bestehe weiterhin die Chance, dass der durch den Putschversuch entstandene Konsens die Türkei in eine positive Richtung führen könne. Das hänge aber vor allem von Erdogan selber ab.
"Für Erdogan könnte das die letzte Chance sein, das Land vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren." Die Fähigkeiten dazu habe er. "Er kann das Land wieder einigen", so Kadercan im Gespräch mit der DW. "Ob er die Chance aber nutzt, ist schwer zu sagen."