Dachau 70 Jahre danach
30. April 2015Es war eine stille Gedenkstunde an einem Ort mit tragischer Vergangenheit. Auf den Bänken vor der kleinen "Todesangst-Christi-Kapelle" saßen hunderte polnische Priester in festlichen Gewändern sowie 40 polnische Bischöfe. Sie alle kamen um auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau eine Messe für die ermordeten Opfer zu feiern. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von München und Freising, Reinhold Marx, war ihr Gast und einer der wenigen deutschen Geistlichen vor Ort.
Dachau - ein besonderer Ort für Polen
Viele Pilger trugen weiß-blau gestreifte Tücher um den Hals, auf denen in Schwarz "Dachau" und ein großes rotes "P" standen. Der Buchstabe ist ein Symbol der Verfolgung des polnischen Volkes durch die Nazis, polnische Gefangene mussten überall das "P" auf ihrer Kleidung tragen.
Unter den 200.000 Gefangenen im KZ Dachau bildeten Polen die größte Nationalität. Fast jeder dritte stammte von dort, informiert eine Gedenktafel auf der Rückseite der Kapelle. Unter ihnen waren auch fast 2000 polnische Priester, von denen 868 ermordet wurden.
Dass die Opferzahlen höher sind als unter allen anderen Nationalitäten, liegt daran, dass die Nationalsozialisten gegen die polnischen Geistlichen als einflussreiche Vertreter der Führungsschicht ihres Landes mit besonderer Härte vorgingen. Ab Ende 1940 deportierten sie auch Inhaftierte aus anderen Lagern nach Dachau. "Die Hirten von der Herde zu trennen" war Teil der vernichtenden Sklavenpolitik der Nazis gegenüber den slawischen Völkern, insbesondere gegenüber Polen, sagte Marx in seiner Gastpredigt. "Dass es 70 Jahre später möglich ist, dass so viele polnische Priester hier sind und ich als Gast zu dieser Messe eingeladen bin, erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit", sagte er. Schließlich sei es ein "besonderer Ort für die Kirche in Polen".
Dachau - Ort des Schreckens
Der KZ Dachau bei München gilt unter den deutschen Konzentrationslagern als der "Prototyp". Es wurde gleich nach der Machtübernahme durch Hitler 1933 für politische Gefangene errichtet und sollte das Muster für weitere Lager sein. Nach dem Überfall auf Polen 1939 schickten die Besatzer Eliten aus ganz Europa dorthin. Von 30 Baracken mussten in vielen hauptsächlich polnische Priester einsitzen.
Einer von ihnen war der in den 90er Jahren seelig gesprochene Stefan Ferlichowski. 1941 wurde er von den Nazis nach Stutthof, Sachsenhausen und anschließend nach Dachau gebracht. "Mitten im Elend setzte er seinen priesterlichen Dienst fort und versuchte vor allem denen zu helfen, die keine Hoffnung mehr hatten", erzählte der junge Priester Sławomir Ałaszewski, der seines Vorbilds wegen nach Dachau pilgerte. Als Anfang 1945 eine Typhus-Epidemie ausbrach, nahm Ferlichowski den Kranken die letzte Beichte ab und starb wenige Wochen vor der Befreiung selbst an der Seuche.
Abgesehen von Vertretern der katholischen Kirche ist in Polen nicht vielen Menschen das Schicksal der polnischen Priester in Dachau bekannt, sagt Sławomir Ałaszewski. Er selbst habe kurz vor seiner Weihe erstmals davon gehört.
Aus der Geschichte lernen
Umso häufiger will die Kirche heute daran erinnern. Aber auch an die hoffnungsvollen Schicksale, wie das vom Bischof Kazimierz Majdański. Als junger Priester verbrachte er sechs Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau, wo er mehrfach Opfer pseudomedizinischer Experimente wurde. Als er deshalb schwer erkrankte, gab ihm ein deutscher Häftlingspfleger, Heini Stöhr, heimlich das rettende Medikament. Nur deshalb überlebte Majdański. Jahre später setzte er sich für die deutsch-polnische Versöhnung ein.
"Gerade polnische und deutsche Christen hätten eine besondere Berufung ihre Erfahrung in die gegenwärtige Geschichte Europas einzubringen, sagte Erzbischof Marx zu den Pilgern. Zwar könne es angesichts der gegenwärtigen Kriege und Konflikte auf die Frage, ob die Menschheit 70 Jahre danach klüger geworden sei, "wohl keine eindeutige Antwort geben", doch umgekehrt seien sich Deutsche und Polen "heute näher als wahrscheinlich je in ihrer gemeinsamen, so leidgetränkten Geschichte".
Die polnische Pilgerreise nach Dachau ist Teil einer Reihe von Treffen beider Kirchen in diesem Jahr. Anlass ist der 50. Jahrestag des historischen Briefwechsels zwischen beiden Bischofskonferenzen. 1965 schrieben polnische Bischöfe an die Deutschen: "Wir vergeben und bitten um Vergebung". Im November jährt sich der Briefwechsel mit dem berühmten Satz, der als Beginn eines langen Versöhnungsprozess gilt. Dann ist schon wieder eine Pilgerreise geplant - diesmal reisen die deutschen Bischöfe an den Wallfahrtsort Tschenstochau.