Warum Filme von Frauen so wichtig sind
1. November 2019Männer geben nach wie vor den Ton an in der Filmwelt. Zu diesem Ergebnis kommt die kürzlich veröffentlichte Studie der Kinderhilfsorganisation "Plan International" mit dem Titel "Rewrite her Story!". Ins Visier nahm sie die jeweils zehn erfolgreichsten Kinofilme des vergangenen Jahres in 20 Ländern. Sie untersuchte sie auf ihre Frauen- und Männerrollen - sowohl in optischer Hinsicht als auch bezüglich des Redeanteils.
Männer in Führungsrollen, Frauen als Sexobjekte
Aus Sicht der Frauen fallen die Ergebnisse ernüchternd aus: Männer reden doppelt so viel, haben doppelt so viele Rollen - und wenn Frauen in Erscheinung treten, dann weitaus häufiger halbnackt, nackt, in freizügiger Kleidung und oftmals als diejenigen, die sich um die Probleme der Männer kümmern und ihnen dabei helfen, zu einem besseren Menschen zu werden.
Viele der untersuchten Filme vermitteln die Botschaft, dass Männer in Führungspositionen gehören und Frauen - selbst wenn sie als starke Persönlichkeiten gezeigt werden - meist Sexobjekte sind.
Filme aus Männerperspektive
Eine der Ursachen dürfte sein, dass die 56 Streifen der Studie allesamt unter der Regie von Männern entstanden sind; bei gerade mal jedem zehnten Film war eine Frau am Drehbuch beteiligt, und nur ein Viertel der Filme wurde von einer Frau produziert. Stereotype Geschlechterbilder halten sich demnach weiterhin hartnäckig und Frauen fehlen alternative Vorbilder.
Das habe "Auswirkungen auf das Verständnis von Gleichberechtigung bei Mädchen und jungen Frauen auf der ganzen Welt, die diese Filme schauen", resümiert Plan-International-Chefin Maike Röttger. Um mehr Gleichberechtigung zu erreichen, brauche es ein Gütesiegel, das Filme auszeichne, die sowohl Frauen als auch Männer in zeitgemäßen Rollen darstellen. Das Motto der Studie bringt auf den Punkt, warum das so wichtig ist: "If you can see it, you can be it" - "Du kannst nur werden, was du siehst".
"Eine Aufmerksamkeit, die weiblich ist"
"Porträt einer jungen Frau in Flammen" (Original: "Portrait de la jeune fille en feu"), der seit diesem Donnerstag (31.10.2019) in den deutschen Kinos zu sehen ist, wäre gewiss ein Kandidat für das von Röttger geforderte Gütesiegel. Die Französin Céline Sciamma führte Regie und schrieb das Drehbuch (für letzteres wurde sie beim Filmfestival in Cannes ausgezeichnet), hinter der Kamera stand Claire Mathon und auch das Produzententeam ist weiblich. Der Plot kreist um vier Protagonistinnen. Männer kommen im Film nicht vor.
Doch ist es tatsächlich entscheidend, ob eine Frau oder ein Mann Regie führte, das Drehbuch schrieb oder einen Film produzierte? Verena Lueken von der FAZ hält es bei diesem Film für unausweichlich, einen Blick auf die Tatsache zu werfen, dass hier eine Regisseurin am Werk war: "Weil in jedem Bild, in jedem Augenblick der Stille, jedem gesprochenen Satz, jedem Blick eine Aufmerksamkeit liegt, die weiblich ist insofern, als sie in Filmen von Männern nicht zu finden ist. Ein Abtasten von Körpern mit der Kamera, das keine Spur von Voyeurismus zeigt. Eine Hingabe von Liebenden jenseits von Macht. Eine Erzählhaltung, die auf den Pfeilern der genauen Wahrnehmung davon steht, in welcher natürlichen Position Frauen sich zur Welt befinden - in der Position der Kämpfenden nämlich, notgedrungen und täglich."
So erzählt "Porträt einer jungen Frau in Flammen" die Liebesgeschichte zwischen der Malerin Marianne (Noémi Merlant) und ihrem Modell Héloise (Adèle Haenel) im Frankreich des 18. Jahrhunderts vor der Revolution: Marianne soll Héloise auf Wunsch deren Mutter porträtieren. Héloise aber wehrt sich standhaft dagegen, Modell zu sitzen, da das Porträt für ihren künftigen Mann in Mailand bestimmt ist, den sie nicht kennt. Für Héloise ist es die einzige Möglichkeit der Rebellion.
Vor allem bei gemeinsamen Spaziergängen an den Klippen versucht Marianne, sich das Gesicht von Héloise so einzuprägen, dass sie es später doch noch zu Papier bringen kann. Die verstohlenen Blicke, die sie ihr dabei immer wieder zuwirft, bleiben jedoch nicht unbemerkt. Und so freunden sich die beiden Frauen zuerst an - und verlieben sich schließlich rettungslos ineinander.
Frauen, die sich selbst genug sind
Céline Sciammas Liebesgeschichte ist angesiedelt in einer männlich dominierten Welt. Die Liebe zwischen Frauen durfte noch nicht sein. Erst mit der französischen Revolution 1789 und dem zwei Jahre später in Kraft getretenen Code pénal (Strafgesetzbuch) war Homosexualität kein Strafbestand mehr.
Doch Sciammas Protagonistinnen trotzen den gesellschaftlichen Erwartungen des vorrevolutionären Frankreichs. Wenn es an einer Stelle im Film um Abtreibung geht, stellt die Regisseurin das Recht auf den eigenen Körper erst gar nicht zur Debatte. Bei Sciamma sind sich die Frauen selbst genug und helfen sich gegenseitig. Ganz anders als in den erfolgreichen Filmen der Plan-International-Studie.
Vielleicht gibt es bald mehr solcher Filme - auch von Männern.