Praemium Imperiale für Francis Kéré
12. September 2023In seinem Heimatdorf Gando in Burkina Faso gab es weder elektrisches Licht noch fließendes Wasser aus dem Hahn. Doch Diébédo Francis Kérés Vater wollte seinem ältesten Sohn eine bessere Zukunft bieten. Er wurde mit sieben Jahren als einziges von 13 Geschwistern zur Schule geschickt. Ein Privileg, für das Francis sein Dorf verlassen musste. Fernab von seiner Familie saß er mit mehr als hundert Kindern in einem düsteren, stickigen Klassenraum, in dem sich die Hitze staute. Schon damals fasste er den Entschluss, bessere Schulen - mit natürlichem Licht und besserer Luftzufuhr - zu bauen, sollte er jemals die Möglichkeit dazu haben.
Kérés Mission: nachhaltige Architektur
Heute zählt Kéré zur Elite der Architekten, die weltweit das Sagen haben. Als erster Schwarzer und als erster Architekt des afrikanischen Kontinents erhielt er 2022 den renommierten Pritzker-Preis, der auch als Nobelpreis der Architektur gilt. Nur ein Jahr später ehrt ihn nun für sein Lebenswerk auch die Japan Art Association mit dem Praemium Imperiale - eine Auszeichnung, die nicht nur in der Architektur, sondern auch in den Disziplinen Malerei, Skulptur, Musik und Theater vergeben wird. Der Aufstieg und die Honorierung der Arbeit von Francis Kéré machen Hoffnung, dass Visionen für eine nachhaltige Welt ernst genommen und umgesetzt werden können.
Ein Stipendium brachte Kéré nach Berlin
Dank eines Stipendiums zog der 1965 geborene Francis Kéré als junger Mann nach Berlin. Dort absolvierte er zunächst eine Ausbildung als Schreiner, bevor er 1995 an der Technischen Universität sein Architekturstudium aufnahm. Schon als Student realisierte er sein erstes größeres Bauvorhaben und errichtete in Gando eine Grundschule aus Lehm - eine, wie er sie als Kind selbst gerne besucht hätte.
Für seinen respektvollen Umgang mit Ressourcen und die Einbeziehung der Umgebung erhielt er 2004 gleich den Agha Khan Award for Architecture, die erste von etlichen Auszeichnungen. Fast wäre er nicht an die Universität zurückgekehrt, doch seine Professoren überzeugten ihn, sein Studium abzuschließen. 2005 gründete er mit Kéré Architecture sein eigenes Büro in Berlin. Mittlerweile hat er neben der burkinischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. International ist er längst sehr erfolgreich. Bekannt geworden ist er unter anderem für das von dem verstorbenen Regisseur Christoph Schlingensief initiierte Operndorf Afrika.
Kéré liebt Lehm - den lokalen Baustoff
Bereits mit dem Bau der Grundschule in Gando stellte Kéré unter Beweis, wie der älteste, aber auch ökologischste Baustoff der Welt moderner und widerstandsfähiger werden kann. Die Ziegel presste er aus leicht angefeuchteter Erde unter Zusatz von ein wenig Zement, wodurch sie fest und wasserdicht werden. Gleichzeitig konstruierte er den Bau so raffiniert, dass dieser keine Klimaanlage braucht - und erwies sich so als Großmeister der Luftzirkulation.
Statt Raubbau an der Natur zu betreiben, nutzt Kéré die Möglichkeiten vorhandener lokaler Baustoffe und setzt sie ressourcenschonend ein. Sein Motto: die natürlichen Gegebenheiten nutzen und nicht gegen sie arbeiten. Das gelingt ihm auch, weil er seine Gebäude im Einklang mit dem Verlauf der Sonne baut und natürliche Schattenspender nutzt.
Mehr Qualität trotz weniger Ressourcen
"Für eine bessere Zukunft für uns alle, nicht nur in Afrika, sondern für uns alle auf diesem Planeten ist es wichtig, zurückzugehen und tatsächlich nur solche Materialien einzusetzen, die die Natur uns frei gibt und keinen Raubbau mehr an ihr zu betreiben", sagte Francis Kéré anlässlich eines seiner letzten Bauprojekte im Senegal im DW-Interview. Dort wird nach seinem Entwurf gerade das Goethe-Institut in Dakar gebaut.
Dafür lässt Kéré ebenfalls Lehm, der in der Sahel-Region aufgrund seiner temperaturregulierenden Eigenschaft schon seit Jahrhunderten zum Einsatz kommt, und Laterit nutzen. Die Gebäudewände sollen aus einer Doppelschicht Ziegel bestehen. Der Umgang mit den extremen Temperaturen ist ein zentrales Anliegen für Kéré. So ist die sprichwörtliche Krönung des Projekts in Dakar für Francis Kéré das Dach: "Wie die Krone eines Baumes spendet diese Struktur Schatten und Schutz. Hier kann man sich treffen oder auch einfach zur Ruhe kommen", sagte er anlässlich der Vorstellung des Bauvorhabens.
Gemeinschaft als Ressource
Ob in Dakar oder in der Republik Benin, wo er derzeit das neue Parlament baut: Kérés Ansatz folgt traditionellen Regeln und basiert auf einem ganzheitlichem Konzept, in dem größtenteils einheimische Arbeiter eingesetzt werden: "Bauen ist eine große Aufgabe und das bedarf vieler, vieler Leute, die zusammenarbeiten, die aber auch viel Erfahrung haben und ihr Wissen auf die nächste Generation übertragen", so der Architekt im Gespräch mit der DW. "Das heißt, es ist ein Gemeinschaftsereignis, und das habe ich in meinen Projekten sehr gut eingeführt."
Bereits seit dem Bau der Dorfschule in Gando engagiert sich Kéré für eine Architektur, die die Energie der lokalen Gemeinschaft nutzt, voller Luft und Licht ist und Identität und Stolz vermittelt. "Natürlich möchte ich Qualität und Komfort schaffen. Aber vor allem möchte ich, dass das Ergebnis die Menschen inspiriert", sagt er anlässlich der Preis-Verleihung des Praemium Imperiale. So auch im aktuellen Projekt, dem Parlament der Republik Benin, das den traditionellen afrikanischen Palaverbaum inkorporiert und für demokratische Werte und kulturelles Bewusstsein steht.
Ein Preis in fünf Kategorien
Der Praemium Imperiale zählt zu den wichtigsten Kunstpreisen der Welt. Er wird seit 1989 jährlich durch die Japan Art Association verliehen. Das japanische Kaiserhaus hatte ihn ins Leben gerufen, um des 1987 gestorbenen Prinzen Takamatsu zu gedenken. Vergeben wird die Auszeichnung für Malerei, Skulptur, Architektur, Musik sowie Theater/Film. Der Preis ist mit jeweils 15 Millionen Yen (derzeit rund 95.000 Euro) dotiert. Die festliche Verleihung findet im Oktober in Tokio durch das japanische Kaiserhaus statt.
Zu den früheren Preisträgerinnen und Preisträgern des Praemium Imperiale gehören unter anderem Architekten wie Norman Foster und Rem Koolhaas, der Regisseur Martin Scorsese , der 2022 verstorbene Modedesigner Issey Miyake, die Fotokünstlerin Cindy Sherman und der Maler Georg Baselitz.