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Thilo Sarrazins "Feindliche Übernahme"

Laura Döing
31. August 2018

Überwiegend kritisch äußern sich deutsche Medien zu dem neuen Buch des Skandal-Autoren Thilo Sarrazin zum Islam. Es könne die Gesellschaft spalten, wird befürchtet.

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Buchvorstellung Thilo Sarrazin
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

"Ideologische Sprengköpfe" ("Stern"), "apokalyptisch" ("Bild") und geschrieben mit einem "Herrenmenschendenken" ("Süddeutsche Zeitung"), so lauten die Bewertungen des Buches.

Der Finanzbuch-Verlag sieht das anders und resümiert, dass das Buch "einen Bogen von den Aussagen des Korans zur mentalen Prägung der Muslime, von da weiter zu Eigenarten und Problemen muslimischer Staaten und Gesellschaften und schließlich zu den Einstellungen und Verhaltensweisen von Muslimen in den Einwanderungsgesellschaften des Westens" spannt.  

Andere fassen den Inhalt von Sarrazins "Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" so zusammen: "In einer überwältigenden Vortäuschung von Sachlichkeit präsentiert er die Begründung dafür, warum das in 'Deutschland schafft sich ab' geschilderte Schreckgespenst auf nichts anderes als den Islam zurückgeht." So schreibt es die Professorin für Islamwissenschaften und Geschichte des Islam am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, Johanna Pink, in der Wochenzeitung "Die Zeit".

Die Vorgeschichte

"Deutschland schafft sich ab" ist das Buch, mit dem der Volkswirt und ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin bekannt und zu einem der erfolgreichsten Sachbuchautoren Deutschlands wurde. Er veröffentlichte es auf den Tag genau acht Jahre vor dem jetzigen. "Deutschland schafft sich ab" hielt sich 21 Wochen ohne Unterbrechung auf Platz eins der Bestsellerliste. Auch, weil es so umstritten war. Mit seinen Thesen zur Einwanderung, Islam und über die Vererbung von Intelligenz hatte Sarrazin Entrüstungsstürme und hitzige Debatten ausgelöst.

Sein neues Buch erscheint nun in einer Zeit, in der die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) im Bundestag sitzt. Wenige Tage vor der Veröffentlichung zogen Rechtsextreme in großer Zahl durch die Straßen im sächsischen Chemnitz, zeigten den Hitlergruß und machten Jagd auf Menschen, die sie für Ausländer hielten.

Viel Argwohn, wenig Zuspruch

Die Zeitung "Die Welt" schreibt: "Sarrazin wird polarisieren. Die einen werden das Buch als Offenbarung lesen, andere als wissenschaftlich verbrämte Volksaufhetzung."

In der Zeitung "Junge Freiheit", die der Politikwissenschaftler Gideon Botsch als "Sprachrohr einer radikal-nationalistischen Opposition" beschreibt, finden sich in einem Artikel über Sarrazins neues Buch lobende Worte. Autor Thorsten Hinz wirft darin "Politik-, Kultur- und Medienbetrieblern" Ratlosigkeit im Umgang mit Sarrazin vor: "Seine Thesen sind weithin bekannt und populär, doch im offiziellen Diskurs werden sie ausschließlich im Modus der Abwehr und Stigmatisierung thematisiert, so daß sie für den Durchschnittsbürger eine 'No-go-Area' markieren."

Infografik: Die meistgenannten Wörter Thilo Sarrazins "Feindliche Übernahme" (Quelle: DW Analyse)
Hier finden Sie zusätzliche Infos zu unserer Analyse: https://goo.gl/gwPU9B

In den klassischen deutschen Printmedien wird Sarrazin und seinem neuen Buch überwiegend mit Argwohn oder Verachtung begegnet. 

Kritik: ein Volkswirt als Islamwissenschaftler

Sonja Zekri wirft Sarrazin in der "Süddeutschen Zeitung" vor, dass er vielleicht den Koran gelesen, diesen aber nicht in seine Entstehungszusammenhänge eingeordnet habe: "Das hat Sarrazin nicht nötig, gerade im unbelasteten Angang, so seine Argumentation, erkennt er den wahren Charakter des Korans und entlarvt ihn als 'aggressiven, ungeordneten, emotionalen und wenig abstrakten Text'."

Thilo Sarrazin ist kein Islamwissenschaftler. Der 1945 in Gera geborene Volkswirt war in leitender Position bei der Deutschen Bahn tätig, später SPD-Finanzsenator in Berlin und Vorstandsmitglied der Bundesbank. Wegen seiner umstrittenen Thesen hat er 2010 seinen Posten bei der Bundesbank verloren.

Kritik: ein Buch voller Fehler

Und so werden Sarrazin von unterschiedlichen Medien auch eine Reihe von sachlichen Fehlern angelastet. Die "Süddeutsche Zeitung" widerspricht der Behauptung Sarrazins, dass allen Muslimen die Heirat mit Ungläubigen verboten sei. Außerdem seien Genitalverstümmlung und Sklaverei keine exklusiv muslimischen Verbrechen.

"Die Zeit" schreibt, dass es im Buch nur so vor Fehlern wimmele. Es sei "aussichtslos", "auch nur alle schwerwiegenden Ungereimtheiten erschöpfend aufzulisten". Sarrazin häufe in seinem Buch zwar Zitate, historische, politische und demografische Informationen an, "ob all diese Informationen exakt zutreffen oder nur ungefähr oder nur, wenn man sie aus dem Kontext reißt, oder vielleicht gar nicht, scheint dabei nachrangig zu sein".

Das Magazin "Stern" hat ein Streitgespräch zwischen Thilo Sarrazin und Redakteur Arno Luik veröffentlicht. In dem Gespräch konfrontiert Luik Sarrazin mit Fehlern in seinem Buch. So beruft sich Sarrazin auf eine Meldung, die eine Zeitung später widerrufen habe. Dies zeige, wie Sarrazin an "Fake News" festhalte. Im Streitgespräch widerspricht Sarrazin dem nicht.

Kritik: Pauschalisierung und Schwarz-Weiß-Denken

Deutschlands auflagenstärkste Zeitung, die Boulevardzeitung "Bild", schreibt, dass Sarrazin unsachgemäß generalisiere, wenn er Dinge schreibe wie die Ehre des "muslimischen Mannes" liege "zwischen den Beinen der Frau" oder, dass Muslime generell eine "Tendenz zum Beleidigtsein" hätten.

"Der Freitag" wirft Sarrazin Schwarz-Weiß-Denken vor, und vergleicht ihn mit dem deutschen Salafisten Pierre Vogel: "Er praktiziert haargenau die salafistische Herangehensweise an den Koran, indem er einzelne Verse aus dem Zusammenhang reißt und sich daran bedient wie aus einem Werkzeugkasten."

Kritik: Sarrazin spricht Muslimen Kultur ab

"Die Zeit" kritisiert Sarrazins Behauptung, der Islam habe nie eine "selbstständige islamische Baukultur" entwickelt, scharf. Mit Aussagen wie der, dass durch die Trennung von Geschlechtern die Künste in islamisch geprägten Ländern an einer "zusätzlichen Verödung" leiden würden, spreche Sarrazin Muslimen jegliche Kultur ab. Die Autorin der "Zeit" merkt an: "Die reichhaltige Tradition der arabischen Dichtung kennt Sarrazin ebenso wenig wie die blühende ägyptische Populärmusikszene; er will sie auch gar nicht kennen."

Alhambra in Spanien
UNESCO-Weltkulturerbe Alhambra in Spanien: Zutrittsverbot für Thilo Sarrazin?Bild: picture-alliance/blickwinkel/K. Thomas

Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: "Könnte man für solchen Unsinn ein lebenslanges Zutrittsverbot der Alhambra verhängen, es wäre mehr als verdient."

Wenig Zustimmung für einzelne Thesen 

Nur vereinzelt finden Aussagen Sarrazins Zustimmung bei den Kommentatorinnen und Kommentatoren. "Die Zeit" schreibt beispielsweise, dass Sarrazin recht habe, wenn er behauptet, dass die rechtliche und gesellschaftliche Lage von Frauen in mehrheitlich muslimischen Ländern prekär sei. Direkt darauf folgt die Relativierung und die Ablehnung der Weise, wie Sarrazin seine Thesen hervorbringt: "Allerdings fragt sich, wie ernst es einem Autor mit den Frauenrechten ist, der die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen in Bangladesch positiv bewertet, nur weil sie die Nettoreproduktionsrate senkt."

Auch die "Süddeutsche Zeitung" nimmt Sarrazin sein Engagement für die Rolle der Frau nicht ab: "So sehr ihn die Knechtung der muslimischen Frau dauert, so suspekt ist sie ihm doch wiederum als Mutter neuer kleiner Muslime."

Der Verlag

Dass sein bisheriger Verlag, die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) sich weigerte, sein neues Buch zu drucken, erregte schon im Vorfeld der Publikation für Aufsehen in Deutschland. Sein ehemaliger Verleger Thomas Rathnow sagte gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit", Sarrazin zeichne im Buch ein Islam-Bild, das "einer Geißel der Menschheit gleichkommt". "Feindliche Übernahme" sei "ein argumentativ schwaches Buch" und "könnte antimuslimische Ressentiments" verstärken.

Nun bringt der deutsche Finanzbuch-Verlag Sarrazins Buch heraus, laut Verlag ist zunächst eine Auflage von 120.000 Exemplaren geplant. Der Verlag vertreibt unter anderem auch eine Buchreihe des rechtspopulistischen Journalisten Roland Tichy. Schon vor der Veröffentlichung rangierte "Feindliche Übernahme" auf Platz eins der Amazon-Bestsellerliste. Dazu mag der Medienrummel seinen Teil beigetragen haben.

Presse fürchtet negative Folgen für die Gesellschaft

Die "Süddeutsche Zeitung" sieht nicht die von ihr beschriebenen Fehler im Buch oder den Duktus von Sarrazin als das problematischste an der Veröffentlichung: All dies sei zu verschmerzen, "wenn man nicht davon ausgehen müsste, dass neben Rassisten und Rechten auch Menschen das Buch kaufen werden, die ehrliche Fragen an den Islam haben, die manches nicht verstehen, vielleicht fürchten und hier die schlechtesten aller Antworten finden."

Und was sagt der Autor?

Bei der Vorstellung seines Buches in Berlin am Donnerstag gab Sarrazin zu Protokoll, er könne nichts dafür, dass Rechtspopulisten und Rechtsextreme sich auf seine Thesen stützten.

Die Kommentatoren vieler namhafter Zeitungen entlassen Sarrazin nicht so schnell aus der Verantwortung. Die "Süddeutsche Zeitung" sieht negative Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland. Denn Sarrazin beschreibe, dass er eine "allmähliche demografische Überwältigung durch den Islam" befürchte und beharre darauf, dass "wir in Deutschland und Europa das Recht, ja sogar die Pflicht" hätten, "dieser Bedrohung (...) vorausschauend entgegenzutreten".

Torsten Krauel zeichnet eine düstere Prognose für das Miteinander in Deutschland, wenn er in der Tageszeitung "Die Welt" über Sarrazins Publikation schreibt: "Sein Buch suggeriert: Es ist zu spät. Sarrazins wahre Lektion lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Muslime sind unser Unglück. Ist die Vertreibung aller Muslime aus Europa die Lösung? Das wird Thilo Sarrazin bestreiten. Aber man spürt, wohin die Dinge sich entwickeln könnten, wenn die Position, wegen des Korans sei Integration zwecklos, Fuß fasst."